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Weigel t: Die nordfriesischen Inseln.

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und Denkweise redenden} Perserin, in dem andern der Antigone in den Mund
gelegt ist, wenn sie statt Mann und Kind lieber den Bruder von dem Tode
errettet wünscht, weil Mann und Kind ihr wohl wieder zu Theil werden kön-
nen, ein Bruder aber, da die Eltern gestorben, nimmermehr? Haben wir hier
nicht eine von den Sentenzen vor uns, die eben so gut auch hei andern Dich-
tern und Schriftstellern, namentlich solchen, die das gnomologische Element
lieben, vorkommen konnten, ohne dass es nöthig ist, an eine Uebertragung
von dem einen zum andern, oder gar an ein absichtlich gemachtes Einschiebsel
zu denken? Aber leider wird so oft bei der Erklärung das, was das nächste
und natürlichste ist, übersehen, und statt dessen eine Deutung hervorgesucht,
die, auch bei allem äusseren Schein, mit dem man sie zu umgeben bemüht ist,
doch den Boden der Willkür nicht verläugnen kann, auf dem sie erwachsen ist.
Cfiir. Bähi*.

Die nor dfriesischen Inseln vormals und jetzt. Eine Skizze des Landes und
seiner Bewohner. Zunächst bestimmt für Badegäste in Wyk auf Föhr.
Mit einer Karte der Insel Föhr und der nordfriesischen Inseln vormals und
jetzt. Von G. Weigelt. Hamburg, Otto Meissner. 185S. ISO S. in 8.
Diese kleine Schrift verdient auch ausserhalb des nächsten und engeren
Kreises, für welchen sie bestimmt ist, Beachtung und Verbreitung. In anzie-
hender Weise wird uns ein deutscher Landstrich des äussersten Nordens ge-
schildert, der jetzt nur noch als der schwache Ueberrest eines grösseren, nach
und nach vom Meer verschlungenen Ganzen erscheint, das ein mächtiger Volks-
stamm einst bewohnte, dessen Nachkommen noch jetzt alte germanische Sitte,
Kraft und Einfalt bewahrt haben und schon darum unsere Aufmerksamkeit
verdienen. In stetem Kampfe mit der Natur, abgeschlossen von der übrigen
Welt, aber doch als Seeleute bis in die fernsten Gegenden unseres Erdballes
verschlagen, haben diese Friesen einen gewissen Wohlstand errungen, der sie
ein wohlbehäbiges, zufriedenes Leben führen lässt; „Erfahrung und eine ge-
wisse ungeschminkte Bildung zeigt sich sowohl in dem Urtheil als in der
Redeweise dieser Leute; eine linkische Verlegenheit, die man so oft bei
Dorfbewohnern des festen Landes trifft, ist dem Wesen der Halligleute fremd;
sie behaupten im Gegentheil, dem Fremden gegenüber, eine bescheidene,
freundliche Sicherheit. Dazu steht ihnen ein gewisser Ernst sehr wohl; sie
sind, wie alle Friesen, nicht vorschnell, aber klar in ihrem Urtheil, und über-
haupt gilt von ihnen, was ich über den friesischen Charakter später noch zu
erwähnen Gelegenheit haben werde. Die Halligbewohner lieben ein gutes
Buch wie den geselligen Verkehr, sie statten sich fleissige Besuche auf ihren
Wurthügeln ab; die Kirche versäumen sie nicht, denn eine ungeheuchelte, von
pedantischem Pietismus freie Frömmigkeit charakterisirt fast Alle. Wenn der
Prediger hier auch nur ein sehr bescheidenes Auskommen findet, so hat er
für die Entbehrungen einen reichen Ersatz in dem leicht zu erwerbenden Zu-
trauen, der Anhänglichkeit und Liebe seiner Pfarrkinder. In minder kritischen
Fällen ist hier der Seelenarzt auch Arzt für den Leib, wie zuweilen Such
Sachwalter und Notar. Nur auf Ilooge ist der Unterricht der Jugend vom
 
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