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Voigt: Lehre vom ius naturale u. s. w.

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ratio und usus et humanae necessitates verschiedene Principien sind,
dass mithin in §. 1 das ius gentium von einem andern Standpunkt
aufgefasst werde, als im §. 2, leuchtet ebenso ein, als dass die aus
dem usus hergeleiteten Zustände und Institute nicht sammt und son-
ders Producte der ratio naturalis sein können. Denn sonst müssten
auch die Kriege, in denen ein Theil im Unrecht ist, als ein solches
Product gelten. Die naturalis ratio kann nicht wohl mit Zufällig-
keiten zusammenbestehen, zu Entstehung der Kriege geben aber oft-
mals zufällige Umstände Veranlassung. Das Kriegsrecht und die
völkerrechtlichen Verhältnisse sind in dem ius gentium befasst. Hier
werden die Völker in ihrer Entgegensetzung als discretae gentes
aufgefasst, also in anderer Weise, als wo von dieser Entgegensetz-
ung abstrahirt und das den Völkern Gemeinsame als Inhalt des ius
gentium bezeichnet wird. Wenn nun in §. 11 der Institutionen de
iure nat. gent. et civ. gesagt wird: naturalia iura, quae apud omnes
gentes servantur, divina quadam providentia constituta, semper firma
et immutabilia permanent, so ist damit der Gedanke ausgedrückt,
dass gewisse Rechtsgrundsätze und Rechtsinstitute dergestalt jedem
politischen Gemeinwesen immanent sind, dass sie nothwendig von
allen Völkern anerkannt und verwirklicht werden müssen, indem
ohne dieselben ein Rechtszustand gar nicht gedacht werden kann.
Danach ist also das Empirische und Historische ein Resultat und
Erzeugniss einer ideellen Macht, mag sie als naturalis ratio oder als
divina providentia bezeichnet werden. Die iura naturalia, quae apud
omnes gentes servantur, sind realisirte, nicht blos rationell construirte
Rechte, und da sie bei allen Völkern beobachtet werden, so fallen
sie dem ius gentium zu und lassen sich nicht mit dem Hm. Verf.
S. 448 diesem gegenüberstellen. Wenn nun die römischen Juristen
die actuelle Gemeingültigkeit des ius gentium hin und wieder nur
historisch begründen und rechtfertigen, so ist damit das rationelle
Element in der Genesis des j. g. nicht geleugnet, insoweit nicht be-
sondere Rechtsinstitute, sondern die allgemeinen Grundlagen
und Principien des Rechts in Frage stehen. Die römischen
Juristen sind nicht bei der wechselnden Erscheinung stehen geblie-
ben, sondern haben in dem Wechsel ein wandelloses Princip wahr-
genommen, ohne die Grenzen zwischen dem wechselnden und un-
wandelbaren genau zu bestimmen.
Das ius naturale steht dem ius gentium insbesondere in dem
Satze gegenüber, dass die Sklaverei ein Erzeugniss des ius gentium
sei, im Widerspruch gegen das ius naturale, nach welchem alle Men-
schen frei geboren sind. Damit ist aber nicht so viel ausgesprochen,
dass die Sklaverei schlechthin gegen die naturalis ratio, gegen die
Vernunft anstosse, denn sonst würden die Römer ihr eigenes Recht
als unvernünftig bezeichnen. Dies kann um so weniger angenom-
men werden, da auf die Sklaverei die Grundsätze der Occupation
angewendet werden (Inst. 1. 2, fit. 1 §. 17), welche nicht bloss
iuris gentium, sondern auch iuris naturalis ist. Der Grundsatz: iura
 
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