Nr, 42,
HEIDELBERGER
1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATÜR.
Czolbe: Grenzen und Ursprung der menschlichen
Erkenntniss,
(Schluss.)
„Nimmt man nun an, dass die sämmtlichen denkbaren Empfin-
dungen und Gefühle überall oder in demselben einen Raum gleich-
mässig vorhanden sind oder sich durchdringen, so müssen nach
Analogie der obigen mechanischen Thatsachen, nach der sich aus-
schliessende Bewegungen zusammentreffend als solche gänzlich
verschwinden und nur in ihrer Wirkung unsichtbar fortbestehen,
auch die Empfindungen und Gefühle als solche verschwinden, wenn
sie auch in der unendlichen, durchdringlichen Ausdehnung, dem
Raume, durchaus unverändert in ihrer ganzen zahllosen Verschie-
denheit oder Mannigfaltigkeit, deren Einheit oder Harmonie nur
die allen gemeinsame Qualität des Bewusstseins bildet, — fortbe-
stehen werden. Diesen geistigen Inhalt des Raumes darf man wohl
Welt seele nennen“ (sic, S. 201). Die „Empfindungen und Ge-
fühle“ können „nicht in die Materie verlegt werden.“ Es bleibt
also für „den naturalistischen Standpunkt, der zunächst nur
Materie, Bewegungen und Raum kennt, kaum etwas Anderes übrig,
als sie in den Raum zu verlegen“ (S. 208). Aus den Empfin-
dungen und Gefühlen „fügen sich zunächst die sinnlichen Wahr-
nehmungen und dann sämmtliche andere psychische Processe mosaik-
artig zusammen“ (S. 214). Das „Selbstbewusstsein ist nicht als
eine zweite besondere höhere Art von Bewusstsein zu betrachten“,
sondern soll sich „sehr einfach“ erklären lassen , „wenn man als
seine nothwendigen Bedingungen zunächst die Erkenntniss auf der
Basis der äussern Erfahrung ansieht und es zweitens als Thatsache
anerkennt, dass diese verschiedenen speciellen geistigen Processe in
uns gleichzeitig stattfinden“ (S. 240). Die psychischen Pro-
cesse entstehen durch „das Zusammenwirken des von der Körper-
welt erregten Gehirns mit der dasselbe durchdringenden Weltseele“
(S. 243). Das „so genannte Ich als unräumliche oder als räum-
liche, ausgedehnte, einheitliche Ursache aller psychischen Vor-
gänge“ ist „nicht eine ursprüngliche und unmittelbare Thatsache
des Selbstbewusstseins“, sondern „nnr eine spiritualistische An-
nahme, die unwillkürlich in den Menschen entstehende Hypothese,
dass die psychischen Processe nicht von Aussen veranlasst werden,
sondern dass sie auch eine im Gehirn befindliche übernatürliche
Ursache haben.“ Diese „spiritualistische Hypothese ist natürlich
LV1II- Jahrg. 9. Heft. 42
HEIDELBERGER
1865.
JAHRBÜCHER DER LITERATÜR.
Czolbe: Grenzen und Ursprung der menschlichen
Erkenntniss,
(Schluss.)
„Nimmt man nun an, dass die sämmtlichen denkbaren Empfin-
dungen und Gefühle überall oder in demselben einen Raum gleich-
mässig vorhanden sind oder sich durchdringen, so müssen nach
Analogie der obigen mechanischen Thatsachen, nach der sich aus-
schliessende Bewegungen zusammentreffend als solche gänzlich
verschwinden und nur in ihrer Wirkung unsichtbar fortbestehen,
auch die Empfindungen und Gefühle als solche verschwinden, wenn
sie auch in der unendlichen, durchdringlichen Ausdehnung, dem
Raume, durchaus unverändert in ihrer ganzen zahllosen Verschie-
denheit oder Mannigfaltigkeit, deren Einheit oder Harmonie nur
die allen gemeinsame Qualität des Bewusstseins bildet, — fortbe-
stehen werden. Diesen geistigen Inhalt des Raumes darf man wohl
Welt seele nennen“ (sic, S. 201). Die „Empfindungen und Ge-
fühle“ können „nicht in die Materie verlegt werden.“ Es bleibt
also für „den naturalistischen Standpunkt, der zunächst nur
Materie, Bewegungen und Raum kennt, kaum etwas Anderes übrig,
als sie in den Raum zu verlegen“ (S. 208). Aus den Empfin-
dungen und Gefühlen „fügen sich zunächst die sinnlichen Wahr-
nehmungen und dann sämmtliche andere psychische Processe mosaik-
artig zusammen“ (S. 214). Das „Selbstbewusstsein ist nicht als
eine zweite besondere höhere Art von Bewusstsein zu betrachten“,
sondern soll sich „sehr einfach“ erklären lassen , „wenn man als
seine nothwendigen Bedingungen zunächst die Erkenntniss auf der
Basis der äussern Erfahrung ansieht und es zweitens als Thatsache
anerkennt, dass diese verschiedenen speciellen geistigen Processe in
uns gleichzeitig stattfinden“ (S. 240). Die psychischen Pro-
cesse entstehen durch „das Zusammenwirken des von der Körper-
welt erregten Gehirns mit der dasselbe durchdringenden Weltseele“
(S. 243). Das „so genannte Ich als unräumliche oder als räum-
liche, ausgedehnte, einheitliche Ursache aller psychischen Vor-
gänge“ ist „nicht eine ursprüngliche und unmittelbare Thatsache
des Selbstbewusstseins“, sondern „nnr eine spiritualistische An-
nahme, die unwillkürlich in den Menschen entstehende Hypothese,
dass die psychischen Processe nicht von Aussen veranlasst werden,
sondern dass sie auch eine im Gehirn befindliche übernatürliche
Ursache haben.“ Diese „spiritualistische Hypothese ist natürlich
LV1II- Jahrg. 9. Heft. 42