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Chronik der Universität Heidelberg für das Jahr 1865.

Am 22. November wurde in herkömmlicher Weise das Fest
der Geburt des erlauchten Restaurators der Universität, des höchst-
seligen Grossherzogs Karl Friedrich, von der Universität be-
gangen. Die Festrede*) des zeitigen Prorector’s, Hofrath Kirch-
hoff verbreitete sich: »Ueber das Ziel der Naturwissen-
schaften.«
Der Redner ging davon aus, dass alle Vorgänge in der Natur,
wie unendlich mannigfaltig sie sich auch zeigen, in Bewegungen
unveränderlicher Materie bestehen; er setzte auseinander, wie die
Mechanik die Bewegung eines jeden Systemes von materiellen Thei-
len zu berechnen erlaubt, wenn die Kräfte, die auf diese wirken,
und der Zustand des Systemes — d. h. Art und Geschwindigkeit
eines jeden Theiles — für einen Augenblick bekannt sind, und
stellte als das höchste Ziel, welches die Naturwissenschaften zu er-
streben haben, die Ermittlung der Kräfte hin, die in der Natur
vorhanden sind, und des Zustandes, in dem die Materie in einem
Augenblicke sich befindet, mit andern Worten, die Zurückführung
aller Naturerscheinungen auf die Mechanik. Es folgte darauf die
Aufzählung der Kräfte, die man in der Natur erkannt hat, oder
erkannt zu haben glaubt: der Gravitation, der Molekularkräfte,
der Kräfte, welche von den Theilen des Lichtäthers und von denen
der elektrischen Flüssigkeiten ausgehn. Musste unsere Kenntniss
von diesen Kräften als eine lückenhafte und zum grossen Theile
unsichere bezeichnet werden, so war das nicht minder der
Fall für unsere Kenntniss des Zustandes der Materie. Der Redner
wies darauf hin, wie wenig wir von der Beschaffenheit der Ge-
stirne und des Erdinnern sowie von der Anordnung der Materie
in allen den Körpern, die wir greifen können, wissen. Kennten
wir die Anordnung der Materie, so bliebe noch die Frage nach
ihrer Bewegung übrig, eine Frage, die um so wichtiger ist, als

*) Dieselbe ist bereits im Druck erschienen: Vortrag zum Geburtsfeste
des höchstseligen Grossherzogs Karl Friedrich von Baden und zur akademi-
schen Preisvertheilung am 22. Novb. 1865 von Dr. G. Kirchhoff, Grossh.
Bad. Hofrath und ordentl. Professor der Physik, dermaligem Prorector.
Heidelberg 1865. Buchdruckerei von Georg Mohr. 32 S. in gr. 4.
LVIIL Jahrg. 12. Heft. 61
 
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