1865,
Kr. 46. HEIDELBERGER
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen
Vereins zu Heidelberg.
1. Vortrag des Herrn Hofrath H. Helmholtz: »Ueber
den Ursprung der Kenntniss des Sehfeldes«,
am 5. Mai 1865.
2. Mittheilung des Herrn Prof. 0. Weber: »Ueber
einen Fall von Gefahr des Chloroformtodes«,
am 5. Mai 1865.
(Das Manuscript wurde eingereicht am 17. Mai 1865.)
Prof. 0. Weber berichtet über einen Fall von sehr bedenk-
licher Asphyxie durch Chloroformnarkose, in welchem sich die
Marshall-Hall’sehe Methode der künstlichen Respiration ausser-
ordentlich nützlich und einfach erwies. Ein sonst kräftiger und
gesunder Bauer hatte sich beim Herabspringen von einem Leiter-
wagen dadurch eine Verrenkung beider Oberarme nach vorn zu-
gezogen, dass er mit dem Haken seines Stiefels hängen blieb, auf
die vorgestreckten Arme stürzte und sich dabei überschlug. Beide
Schulterköpfe standen unter den Schüsselbeinen und trotz eilfmal wie-
derholter auswärts vorgenommener Versuche die Verrenkung zu heben,
war ihre Stellung unverändert geblieben. Als der Kranke in die
Klinik aufgenommen wurde, waren bereits 8 Wochen seit dem Vor-
fälle verflossen und die Arme fast gar nicht beweglich, daher so
gut wie unbrauchbar. Bei dem ersten Einrenkungsversuche lag der
Kranke auf einer Matraze an der Erde, der Stamm war durch
Leintücher fixirt und der Arm sollte elevirt werden. In dem
Augenblicke wo die Elevation begann wurde der bis dahin noch
nicht völlig betäubte Mann, der gar nicht an geistige Getränke
gewöhnt war, und eine ganz ruhig verlaufende Narkose hatte,
nachdem er ungefähr eine Drachme Chloroform bekommen, blauroth
im Gesichte, athmete nicht mehr und drohte zu ersticken. Der
Puls war sehr schwach, doch noch fühlbar. Durch zahlreiche
Versuche an Thieren belehrt, die der Vortragende in seinen »chirur-
gischen Erfahrungen« mitgetheilt hat, schien es ihm am nothwen-
digsten, vor allem die Respiration wieder in regelrechten Gang zu
bringen. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Kranke war
ganz kalt und blau und von einer spontanen Inspiration war nicht
, die Rede wiewohl der Mund weit offen stand und die Zunge auch
LVIII. Jahrg. 10. Heft. 46
Kr. 46. HEIDELBERGER
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen
Vereins zu Heidelberg.
1. Vortrag des Herrn Hofrath H. Helmholtz: »Ueber
den Ursprung der Kenntniss des Sehfeldes«,
am 5. Mai 1865.
2. Mittheilung des Herrn Prof. 0. Weber: »Ueber
einen Fall von Gefahr des Chloroformtodes«,
am 5. Mai 1865.
(Das Manuscript wurde eingereicht am 17. Mai 1865.)
Prof. 0. Weber berichtet über einen Fall von sehr bedenk-
licher Asphyxie durch Chloroformnarkose, in welchem sich die
Marshall-Hall’sehe Methode der künstlichen Respiration ausser-
ordentlich nützlich und einfach erwies. Ein sonst kräftiger und
gesunder Bauer hatte sich beim Herabspringen von einem Leiter-
wagen dadurch eine Verrenkung beider Oberarme nach vorn zu-
gezogen, dass er mit dem Haken seines Stiefels hängen blieb, auf
die vorgestreckten Arme stürzte und sich dabei überschlug. Beide
Schulterköpfe standen unter den Schüsselbeinen und trotz eilfmal wie-
derholter auswärts vorgenommener Versuche die Verrenkung zu heben,
war ihre Stellung unverändert geblieben. Als der Kranke in die
Klinik aufgenommen wurde, waren bereits 8 Wochen seit dem Vor-
fälle verflossen und die Arme fast gar nicht beweglich, daher so
gut wie unbrauchbar. Bei dem ersten Einrenkungsversuche lag der
Kranke auf einer Matraze an der Erde, der Stamm war durch
Leintücher fixirt und der Arm sollte elevirt werden. In dem
Augenblicke wo die Elevation begann wurde der bis dahin noch
nicht völlig betäubte Mann, der gar nicht an geistige Getränke
gewöhnt war, und eine ganz ruhig verlaufende Narkose hatte,
nachdem er ungefähr eine Drachme Chloroform bekommen, blauroth
im Gesichte, athmete nicht mehr und drohte zu ersticken. Der
Puls war sehr schwach, doch noch fühlbar. Durch zahlreiche
Versuche an Thieren belehrt, die der Vortragende in seinen »chirur-
gischen Erfahrungen« mitgetheilt hat, schien es ihm am nothwen-
digsten, vor allem die Respiration wieder in regelrechten Gang zu
bringen. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Kranke war
ganz kalt und blau und von einer spontanen Inspiration war nicht
, die Rede wiewohl der Mund weit offen stand und die Zunge auch
LVIII. Jahrg. 10. Heft. 46