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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Michel, Wilhelm: Bruno Paul als Innen-Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0064

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INNEN-DEKORATION

PROFESSOR BRUNO PAUL—BERLIN. Salon bei Professor IV.

Ausführung: Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk — München.

Otto—Bremen.

Was also bei der Renaissance nur scheinbar
vorlag, ein unvermitteltes Abbrechen der künst-
lerischen Überlieferung, das ist bei dem modernen
Kunstgewerbe in vollem Umfange Tatsache ge-
worden. Die moderne kunstgewerbliche Entwick-
lung hat in dem Bestreben, in ihren Erzeugnissen
den Geist der Gegenwart darzustellen, nicht nur
die unmittelbar vorangehende Formenwelt preis-
gegeben, sondern sie hat es auch verschmäht, auf
irgend eine frühere Epoche zurückzugreifen. Was
sie an neuen Formen geschaffen hat, war auch in
dem Sinne des »schöpferischen Geistes freie Tat«,
daß ihr dabei keine entwickelungsfähige Tradition
zu Gebote stand. Den großen Zweck alles Kunst-
schaffens, die Selbstdarstellung der Zeiten, konnte
die Gegenwart nur dadurch erreichen, daß sie sich
mit einer gewaltsamen, auf vieles Wissen und rück-
sichtloses Denken gegründeten Naivetät den unzer-

störbaren Grundstoffen Material und Konstruktion
gegenüberstellte. Wir mußten eine freiwillige,
mönchische Armut auf uns nehmen, um wieder
Zugang zu den echten Quellen des Schaffens zu
gewinnen. Keine lebenskräftige Überlieferung bot
sich uns dar, die wir in frischer, lückenloser Ent-
wicklung hätten ausbauen und als Instrument unserer
Selbstdarstellung hätten heranziehen können. Unsere
Väter hatten uns kein Erbe hinterlassen, an dessen
Besitz wir uns tätig hätten erfreuen können. Bei
Licht betrachtet war jene Armut, von der ich
sprach, keine freiwillige, sondern erschreckend wirk-
lich und gezwungen. Nur daß unsere Künstler
die Tatsache dieser Armut offen eingestanden, das
war ihr freier, ihr schöpferischer Entschluß. Die-
jenigen, die dem neuen Kunstgewerbe seine »Ge-
waltsamkeit« und »Künstlichkeit« vorwerfen, tadeln
im Grunde genommen nicht uns, sondern unsere
 
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