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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Ruge, Clara: Über amerikanisches Wohnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0100

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86

INNEN-DEKORATION

Architekt Joseph MC. hugh—new-york. Speiseraum im Missions-Stil.

sich nach völlig unverkünstelter Natur und stellt
ein »Camp-Haus« gern mitten in die Waldwildnis,
um daselbst einige Sommerwochen in völligem
Nichtstun zu verbringen. Einem so vollständigen
»Dolce farniente« wie es dem reiselustigen Europäer
kaum möglich scheint, der auch in der Sommer-
frische noch stets ein gewisses Pensum an Arbeit
absolviert, wenn dieselbe auch nur in systematischer
Körperbewegung besteht. Die goldtriefenden, fran-
zösischen Parlors für die Stadtbehausung haben sich
natürlich in minder begüterten Kreisen auch eine
billige Nachahmung gefallen lassen müssen und das
reguläre aus fünf Stücken bestehende »Parlor-Set«
(Salon-Einrichtung) des kleineren Mittelstandes,
welches eine entsetzlich verflachte Auflage des
Louis XlV.-Stil bietet, ist geradezu epidemisch ge-
worden. In schlechter monotoner Fabriksarbeit aus-
geführt, mit billigen Stoffen überzogen, die eine
Imitation kostbarer Gewebe darstellen, von höchst
unsolider Beschaffenheit der Holzarbeit — so präsen-
tiert sich das »Parlor« — die gute Stube. Das
Speisezimmer ist mit billig erstellten, stillosen Stühlen
und einem Anrichtetisch ausgestattet, dessen wich-
tigster Bestandteil der Spiegel bildet, obwohl er
ganz unzugehörig scheint. Lauter für das Auge
zurechtgestrichene billige Fabrikmöbel — die wir
in noch billigerer Ausgabe in der amerikanischen
Arbeiterwohnung wiederfinden.

Es ist noch kein Dezennium her, daß die Sig-
natur der Langweiligkeit, welche diesem charakter-
losen Schema anhaftet, kaum ie unterbrochen wurde.
Trotzdem Amerika einen ganz enormen Reichtum
an verschiedenartigem Holz besitzt, schien die Mög-
keit einer auf künstlerischen Prinzipien beruhenden
und den heimatlichen Bedürfnissen entsprechenden
Möbelproduktion noch durchaus nicht zu dämmern.

Im Laufe der letzten 6 Jahre ist nun aber plötz-
lich eine Umänderung, die einen raschen Um-
schwung anzudeuten scheint, eingetreten. Derselbe
wird natürlich wie alles hierzulande bald eine durch-
greifende Gestalt annehmen und bald werden ver-
schiedene, echt amerikanische Stile in den Vorder-
grund treten und Europa darüber belehren, daß
man beginnt individuell und künstlerisch zu empfin-
den — auch jenseits des großen Wassers.

Was wir heute zu verzeichnen haben, sind aller-
dings im Vergleiche zu der enormen Vielseitigkeit
und Mannigfaltigkeit, welche Deutschlands Innen-
dekoration in den letzten Jahren produziert hat,
noch wie die ersten Anfänge des Gehens eines ganz
jungen Kindes im Vergleich zu den kraftvollen
Bergtouren des gereiften Mannes. — Aber schon
steht das Kind gerade und aufrecht — und die Sicher-
heit seiner kindlichen Schritte berechtigen zu der
Annahme, daß der heranwachsende Jüngling die
Beachtung der Welt fordern wird für seine Taten.
 
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