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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 18.1907

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Vogt, Adolf: Der neue Zeichen-Unterricht und das Kunst-Gewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7501#0166

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152

INNEN-DEKORATION

PHILIPP SCHAEFEK—DARMSTADT.

Hallenstudie für ein kleines Landhaus.

Schwert spitzer, den Prügel wuchtiger darzustellen,
gelingt schon sehr bald. Sehr drastisch kommt
aber dieses Streben nach lebhaftem, gesteigertem
Ausdruck auf einer höheren Stufe zeichnerischen
Könnens zur Geltung, wenn die Knaben z. B. dazu
übergehen, Tiere nach der Natur zu zeichnen. Da
fühlen sie sich in ihrem Element! Wie freut es
sie, die Räuberphysiognomie eines Adlers mit dem
unheimlichen Blick recht zu unterstreichen, oder
das gravitätische Wesen des Hahnes, die schein-
heilige Sanftmut der Katze, die Ruppigkeit eines
Kanarienvogels noch zu überbieten. Ohne Hinweis
auf Illustrationen kann ich das Thema hier aller-
dings nicht weiter verfolgen, aber jeder, der Ge-
legenheit hat, einmal Kinderzeichnungen in größerer
Anzahl zu sehen, wird noch eine Menge Beispiele
finden, die das Gesagte bestätigen.

Jedermann wird zugeben, daß zwischen dieser
Eigentümlichkeit der Kinderzeichnungen und dem
modernen Stil, wie er sich bis zur Stunde aus-
gebildet hat, keinerlei Beziehung besteht. Es führt
kein Weg vom einen zum andern. Aber wäre
so etwas denn überhaupt möglich?

Ja. Jedes Gerät, jedes Möbel, jedes Gewebe,
— jeder von Menschen bearbeitete Gegenstand ist
in gewissem Sinne belebt. Es leben in ihm noch

die Kräfte, aus denen er entstanden, es leben in
ihm die Funktionen, denen er geordnet ist. Dieses
Leben kann in seinem Ausdruck durch künstle-
rische Mittel gesteigert werden. Die Zange greift.
Bei einer bestimmten Gestaltung der Zange kommt
dieses Greifen, Packen, Beißen noch viel drastischer
zum Ausdruck. Die Vase »faßt« eine Flüssigkeit,
auch hier kann durch den Kontur der Eindruck
des Umfassens gesteigert werden. Ein Stuhl hat
die Aufgabe, zu stützen und zu tragen. Er ist
aber auch selbst ein Organismus von Gliedern,
die einander stützen und tragen, ineinander greifen,
sich gegenseitig halten. Die eine oder die andere
Gruppe von Tätigkeiten, von Lebens-Außerungen
oder beide zusammen können betont, hervorgehoben
werden. Ein kunstgewerblicher Stil, auf diesem
Gestaltungsprinzip aufgebaut, wäre sehr wohl denk-
bar, vielleicht in keinem romanischen Land, aber
wohl in Deutschland, vielleicht auch in Skandinavien.

Das deutsche Kunstgewerbe hat sich einem
andern Stil zugewandt, ob dieser mit Recht als
ein spezifisch deutscher zu bezeichnen ist, darf
bezweifelt werden. Jedenfalls hätte man ihn nie
»Jugendstil« nennen sollen, denn gerade diese
Spielart hatte nicht die geringsten Beziehungen zu
dem Empfinden unserer Jugend.
 
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