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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0268

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260

III. Ergebnisse

Gefühl für die gegensätzliche Bedeutung von tragenden und getragenen Teilen
geltend: über der glatten unteren Hälfte der Wandung stehen die Bogenfriese der
Goldbecher 627, CXXIII. 220, CLXX. 912, S. 161 Abb. 78, die Rosettenbänder
von 122, CV und 351, CXI, der breite Schmuckfries von 390, CXII, die Löwen von
656, CXXVI. Bezeichnend ist dabei, daß in der Mehrzahl der Fälle ein Rahmen-
profil oben oder unten fehlt: der Mündungsrand oder die Biegung der Wandung
unter dem Schmuckfries begrenzen diesen dann notdürftig. Nur einmal wird ein
schmales Ornament als trennendes Glied zwischen Hals und Leib gelegt (391,
CXIV), ein andermal die Verzierung aus der Form aufgebaut (855, CXXXIV).
Aber auch hier ist der Künstler ganz anders verfahren als es ein Grieche getan
hätte: die große Silberkanne erweckt den Eindruck, als wäre die ganze Wandung
zunächst quergerieft (wie die Becher 392 f., CIV und 887, S. 153 Abb. 72), dann
in ihrem oberen Teil mit dem Spiral- und Bogenfriese wie mit einer schweren
Schabracke bedeckt worden. Dadurch wird der Aufbau des Gefäßes geradezu ver-
schleiert, so eindringlich im übrigen der Gegensatz wirkt zwischen dem scharf-
kantig kannelierten, tragenden Unterteil und der darauf ruhenden, überhängen-
den, gleichsam überlaufenden Last rundlich gewölbter Ornamente.

Die Gleichgültigkeit gegenüber der Struktur — nicht der Wölbung! — des
Trägers äußert sich klar bei dem Goldkännchen 74, CHI, dessen Wandung ganz
von dem im Verhältnis zum Gefäß übergroßen Spiralnetz übersponnen ist; bei den
im gleichen Mißverhältnis stehenden hängenden Blüten des Deckeltöpfchens 84,
CIV, S. 232 Abb. 97 f., bei dem Straußenei 651, CXLI, mit seinen über die Fläche
verstreuten Delphinen. Ähnlich scheinen die Künstler bei den figürlich verzierten
Gefäßen vorgegangen zu sein, soweit deren Zustand ein Urteil erlaubt. Die Krie-
ger des Fayencekännchens 123/4, S. 61 Abb. 16 sind viel zu groß für das zarte,
kleine Gefäß, das sie förmlich erdrücken: sie füllten die Wandung und greifen mit
den Köpfen auf den Hals über. Wie sich das Schlachtbild des silbernen Kraters
605 ff., CXXVIII ff. zu seinem Träger verhielt, läßt sich nicht mehr ermitteln. Auf
dem Silberrhyton 481, CXXII, S. 175 f. Abb. 84 f. bietet zwar das Schuppen-
muster eine Art unteren Abschluß; aber es ist oben ohne klare Begrenzung in die
Darstellung hineinbezogen, und diese füllte im übrigen den ganzen Trichter, offen-
bar ohne jede Rücksicht auf seine Gestalt. Ist doch sogar die belagerte Stadt mit
ihren Verteidigern nach dem Henkel zu gerichtet, so daß der Mittelpunkt der
Handlung, der Zusammenstoß zwischen den beiden Heerhaufen, statt an der Vor-
derseite des Gefäßes hinten unter dem Henkel angebracht war. Daß auf solche
Weise Träger und Verzierung sozusagen unabhängig von einander ihr Eigenleben
führen, ist eines der bedeutsamsten Merkmale dieser ganzen Kunst.

In die Eigenart des frühmykenischen Ornaments und sein Verhältnis zum
minoischen führt uns wohl am besten die Analyse einiger charakteristischer, sicher
einheimischer Werke ein; da sie Grabschmuck sind, können sie nicht aus der Fremde,
 
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