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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0189

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2. Tracht und Schmuck der Frauen

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Kreta ähnliche Stücke zum Vorschein kommen wie die unserer Gräber, die ja
auch auf dem Festlande völlig allein stehen und sehr wohl einen ganz selbständig
in Mykenai entstandenen Brauch darstellen können. Das Bestreben, das Antlitz
des Toten, vor allem des Fürsten, der Nachwelt unzerstört zu erhalten, hat in ver-
schiedenen Ländern und Zeiten zu ähnlichen Lösungen geführt.

Über die wichtigen Probleme des Bildnisses, der Rassenmerkmale und des
Fehlens weiblicher Masken s. unten Kap. 16.

Anders ist die Goldverkleidung der zwei Säuglingsleichen aus Grab III
zu beurteilen (Nr. 146, Taf. LIII; Einzelbeschreibung oben S. 62). Aller Orten und
zu allen Zeiten hat man kleine Kinder oft mit besonderer Liebe und Sorgfalt be-
stattet. Hier waren die zarten Glieder ganz in dünne Goldbleche gehüllt, die aus-
geschnitten, leicht getrieben und auf den Leichen selbst zurechtgedrückt wurden.
Ein Kind trug eine Maske aus vier Stücken: Obergesicht, das modernen Seiden-
masken gleicht, Kinn, mit vielen feinen Ringen behängte Ohren. Diese Gehänge
lassen an ein Mädchen denken; da aber den Frauen in unseren Grüften Masken
fehlen, und auch nur eines der Kinder eine besitzt, wird es doch eher ein Knabe
sein. Sehr bedeutsam sind die nur hier vorkommenden durchbrochenen Augen
und Lippen, durch die der Tote sehen und atmen konnte.

Den goldenen Umhüllungen der Säuglinge entsprechen die drei goldenen
Brustbleche aus Grab IV und V, Nr. 252, 625, 626 (Taf.LIV, LV), die mit Panzern
nichts zu tun haben. Vielleicht sind auch sie Abzeichen fürstlicher Würde. Über
die glatten Bleche ist kaum etwas zu sagen. Nr. 625 zeigt eine merkwürdig unver-
mittelte Verbindung von Spiralgeschlingen (unten Kap. 10) und schematisch stili-
sierten, übergroßen Brustwarzen. Es ist in seiner Art ein Unikum. Natürlich konn-
ten diese Bleche, wie die Masken, nur so auf den Leichen angebracht werden, daß
man ihre Ränder durch Tücher oder Mumienbinden verdeckte (oben S. 39).

2. TRACHT UND SCHMUCK DER FRAUEN

Eines der merkwürdigsten und bezeichnendsten Merkmale der Schachtgrä-
berfunde ist das fast völlige Fehlen von Frauen auf den figürlichen Darstellun-
gen, während sie auf Kreta in allen minoischen Perioden, ebenso aber auch auf
dem Festlande, seit der auf unsere Grüfte unmittelbar folgenden Zeit, eine so be-
deutende, ja überwiegende Rolle spielen (unten Kap. 16). Der große Goldring von
Mykenai1) mit seiner sacra conversazione von Göttinnen stimmt darin durchaus
mit minoischen Bildern überein. Und doch schließt er sich nach Fundort, Stil und
Alter eng an die Schachtgräber an, in denen nur viermal Frauen erscheinen: die
nackten Göttinnen Nr. 27 (Taf. XXVII), die Goldbleche Nr. 36 (ebenda), die

l) Seit Schliemann, Mykenae 402 Abb. 530 sehr oft abgebildet, am besten nach Photographie bei Furtwängler,
Ant. Gemmen I Taf. II 20; Rodenwaldt, Kunst der Antike 145; nach Zeichnung Evans, JHS. XXI 1901, 108 Abb. 4.

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Karo, SchachtgrSber
 
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