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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0305

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12. Darstellungen von Tieren

297

Auges, beide Köpfe die zwei schalenförmigen Knötchen an der Nasenwurzel. Nur
die sonderbare Spirale der Nüstern kehrt nicht wieder. Zu der Mähne von 273
bietet das Stuckrelief Evans II 333 Abb. 188 eine gute Parallele. Jedenfalls be-
weisen diese knossischen Funde, daß unser Rhyton, auch in seiner heraldischen
Stilisierung, eine durchaus minoische Tradition verkörpert. Wir können sie aller-
dings bisher nur wenig über die Zeit der Schachtgräber zurückverfolgen (oben
S. 235 f. Anm. 1).

Wenn bei dem Rhyton alles auf die monumentale Stilisierung des einzelnen
Löwenkopfes ankommt, demnach wie bei dem Knauf 295 b die Naturform dem
ornamentalen Zweck dienstbar ist, zeigen die Bruchstücke des langen Goldblechs
119 f., XXXIII wieder das überwiegende Interesse des Künstlers für den Vorgang,
den er erzählt. Von diesem einst figurenreichen Reliefbilde, dessen Gestalten sich
hell leuchtend von einem Hintergrunde aus dunklem Holz abheben mochten, sind
leider nur noch Bruchstücke erhalten (vgl. die Beschreibung oben S. 59f.), immer-
hin genug, um die Komposition und die Verteilung der Massen verstehen zu lehren.
Dabei fällt sofort der Gegensatz zu den Insiegeln und der Dolchklinge mit Löwen-
jagd auf. Dort wird die gewaltige Größe des Löwen hervorgehoben, den nur starke
Helden bezwingen können. Hier stürzen sich ganz kleine, schlanke Tiere (Löwen
und Leoparden sind gleich groß!) auf mächtige Stiere, krallen und beißen sich an
deren Kopf fest, setzen ihnen mit sehnigem Sprung auf Rücken und Bug, wie eine
Meute Hunde.

G. Rodenwaldt hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß die bildliche
Tradition, der unser Goldblech entstammt, noch Jahrhunderte später in den Wand-
gemälden von Tiryns fast unverändert, nur auf Eber und Hunde übertragen, fort-
lebt1). Das landschaftliche B eiwerk, schräg von den Löwenleibern überschnittene
kleine Palmen, erinnert an die ungleich virtuosere Gestaltung auf dem Becher von
Vaphio (K. Müller, a. a. 0. 327, Taf. 12). Jene bildliche Tradition ist natürlich
rein minoisch, ob ihr Ursprung ins MM. III hinaufreicht, wage ich nicht zu ent-
scheiden; ebensowenig ob er auf Wandgemälden oder in der Kleinkunst zu suchen
ist. die ja der Malerei durchaus ebenbürtig, in vielem überlegen war. Mit größerer
Zuversicht dürfen wir jedoch, in Anbetracht des Fehlens minoischer Jagdbilder,
den Überfall der Raubtiere auf die Rinder als das Ursprüngliche, die tirynther
Eberhetzen als davon abgeleitet ansehen. Unser Goldblech selbst ist eine bloß mit-
telmäßige Wiedergabe eines gewiß vortrefflichen Originals, ein den Grabstelen
verwandter, bescheidener Versuch einheimischer Künstler, es den kretischen Lehr-
meistern nachzutun.

Ein lehrreiches Gegenstück bietet das goldverkleidete Kästchen 808—11,
CXLIII f., mit seinen Darstellungen von Löwen, die einmal einen Hirsch, das an-
dere Mal eine Antilope (?) jagen. Kurt Müller hat a. a. 0. 294 ff. treffend die

') Tiryns II 130; vgl. K. Müller, Arch. Jahrb. XXX 1915, 309 f., zur Datierung der Wandgemälde ins XIII. Jahr-
hundert Tiryns III 215. 218.
 
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