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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0329

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16. Anthropologische Bemerkungen zu den Masken

321

darf man aus etwaigen solchen Nachweisen einen Schluß ziehen auf entsprechende
Merkmale der bestatteten „Fürsten"?

Es dürfte angebracht sein, ein paar allgemeine Gesichtspunkte zu betonen,
die für die anthropologische Beurteilung von Bildwerken maßgebend sein müssen,
die leider ab und zu übersehen werden. Der Naturforscher muß sich bewußt blei-
ben, daß er hier nicht Naturobjekte vor sich hat, sondern Werk aus Menschenhand,
hier in unserm Fall sicher aus Künstlers Hand, im Gegensatz zu manchen unkünst-
lerischen „Malereien" an Wänden oder Plastiken verschiedenster Herkunft. Es
sind also nicht Reste früherer Menschen, wie es prähistorische Schädel, Haare, ja
in übertragenem Sinn auch noch Abdrücke oder Ausgüsse (z. B. Pompeji) sein
könnten, es sind, wie für den Historiker, Quellen, die also der Quellenkritik be-
dürfen.

Dem Bildwerk gegenüber, das wir auf Naturtreue prüfen wollen, wird man
sich der Grenzen und Beschränkungen klar werden müssen, die den Künstler ban-
den im Können, Dürfen, Wollen. Technisch und psychisch wird gerade in der
Frühzeit das Können gehemmt sein. Brauch, Kunstregel, Mode, aber auch Rück-
sicht auf die Person des Darzustellenden werden den Willen des Künstlers behem-
men können. Und innerhalb seiner Zunft wird er vielleicht einen persönlichen
Willen zur Darstellung von Form und Ausdruck mit aller Kraft wünschen.

Es ist schwer, bei Werken aus ferner liegenden Kulturen den Einfluß all
dieser Dinge gerecht abzuwägen. Die Masken zeigen technisch nicht höchste Voll-
endung, mir deucht, so manches Schmuckstück aus den Gräbern, der prachtvolle
Löwenkopf u. a. stellen gelungenere Werke dar. Gebrach es am Können oder war
der Künstler dem menschlichen Antlitz gegenüber gehemmter oder gar dem
Königsantlitz gegenüber an vorgeschriebene Formen (ältere Formen?) gebunden?
Die Masken sind nicht realistisch gebildet, nicht naturgetreu, nicht wie eine Toten-
maske. Sie sind im ganzen gewiß überhaupt nicht individuell, nicht Porträt in
unserem Sinn oder etwa wie die prächtigen Gesichter auf den Mumienbrettchen
des kaiserlich-römischen Ägypten. Und doch ist in den Gesichtern auch Persön-
liches dargestellt, das zeigt schon der Unterschied im Ausdruck oder in der Be-
handlung des Bartes bei den einzelnen Masken. Versuch und Absicht oder auch
Können ist nicht bei allen gleich. Ich schließe mich gerne darin den kurzen An-
gaben an, die Karo's Beschreibungen der Stücke enthalten. Er findet die eine
Maske aus Grab IV (253, XLVII, S. 75) „ohne jeden Versuch einer Individualisie-
rung", und 254, XLVIII scheint ihm „wohl über derselben Form getrieben, denn
die einzigen Unterschiede liegen in der Gravierung (Mund, Augenwimpern und
Brauen)". Ich habe dem nichts zuzufügen. Dagegen sind die anderen Masken
besser. Dasselbe Grab enthielt noch eine, die auch besser erhalten ist (259, XLIX):
„Der Ausdruck ist überraschend lebendig, der Versuch einer Individualisierung
möglich." Und endlich barg Grab V zwei Masken, wo der Künstler ganz gewiß
innerhalb seines Könnens und Dürfens die bestimmte Person darstellen wollte.
 
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