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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0340

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332

III. Ergebnisse

zu durchblättern. Anders in der Zeit der Schachtgräber. Während eine Reihe der
wichtigsten kretischen Götter- und Kultdarstellungen gerade aus dieser Periode
stammen, findet sich in unseren Grüften nichts dergleichen. Das ist gewiß kein
Zufall, denn die Zahl der hier vereinigten figürlichen Szenen ist erstaunlich groß:
Grabstelen, Reliefgefäße aus Silber und Fayence, Ringe, eingelegte Dolchklingen,
Schieber, Gemmen, im ganzen zwei Dutzend Bilder1). Unter diesen aber kein ein-
ziges von religiösem oder kultischem Inhalt! Das wäre auf Kreta zu allen Zeiten
undenkbar, nicht minder auf dem Festlande seit den ältesten Kuppelgräbern: man
denke an die Ringe und GemmenvonVaphio, auf denen die in den Schachtgräbern
fast allein herrschenden Szenen von Jagd und Krieg so sehr zurücktreten ('JS(p.
1889, Taf. 10). Die Gleichgültigkeit der mykenischen Fürsten des XVI. Jahrhun-
derts gegenüber der minoischen Religion ist eines der wichtigsten Ergebnisse der
Schachtgräberfunde.

Es war wohl eher Gleichgültigkeit als Gegnerschaft. Denn man wird sich der
religiösen Bedeutung der Kultfassaden 26, XXVII. 242 ff., XVIII"), der adorieren-
den Frauen 36, XXVII, der Göttin 75, XXX, der Stierköpfe mit Doppelbeilen
zwischen den Hörnern 353/4,XLIV doch wohl bewußt gewesen sein. Denkbar wäre
es freilich, daß man darin nur schöne Verzierungsmotive sah. Dies halte ich wohl
für möglich bei dem Kreuz 52, XXVII, vielleicht auch bei den Altären auf dem
Elektronbecher 390, CXII f., den dekorativ verwendeten Doppelbeilen auf 190 ff.,
CLXVII und 909a, CXXXV, sowie den Schleifen aus Fayence 553/54. 558 ff., CLI f.
Sphinx und Greif spielen auf Goldblechen und Klingen dieselbe Rolle wie ge-
wöhnliche Tiere3): 29, XXVII. 47 f., XXVI. 274, XXXII. 417, S. 101 Abb. 34. 474,
XCI f.; vgl. auch 948, CLXXIV. Und es ist zweifelhaft, ob kretische Stücke wie
der Alabasterlöffel 164, CXXXIX und die Tritonmuschel 166, CXLVIII damals in
Mykenai als Kultgerät erkannt wurden.

Eines dagegen ist sicher: die beiden nackten Göttinnen 27/8, XXVII hatten
positive religiöse Bedeutung; denn gerade sie sind alteinheimische Gestalten, Nach-
kommen der seit neolithischer Zeit in Thessalien, seit dem Frühhelladischen in der
Peloponnes und auf den Kykladen, wie in ganz Anatolien und Vorderasien ver-
breiteten Typen der mütterlichen Herrin der Natur, während das der Darstellung
nackter Menschen so abholde Kreta sie bloß innerhalb zeitlich und örtlich enger
Grenzen von den Inseln übernimmt, ein halbes Jahrtausend vor den Schachtgrä-
bern4). So bezeugen jene beiden Goldplättchen also gerade den Unterschied
zwischen festländischer und kretischer Religion im XVI. Jahrhundert. Sie sind die

J) Taf. V—VII, X, XXIV, XCIIIf., CXXII, CXXIXf. S.33f. Abb.l2f. 59 Abb.Uf. 61 Abb. 16. 107f. Abb. 35ff.

2) Als Schmuckbleche sind sie aus Kreta bisher nicht belegt, wohl aber im Kuppelgrabe von Kapakly bei Volo
('Erp. dpx. 1906, Taf. 14; Bossert Abb. 309), wenn hier nicht eine Hausfassade gemeint ist.

3) Die goldenen Waagen 70/91, S. 53 Abb. 13 und 81 f., XXXIV haben m. E. ebenso wenig religiöse Bedeu-
tung wie die Schmetterlinge 2. 49. 51, XXVI ff. Zur Göttin 75, XXX Sp. Marinatos, 'Apx. 'Ecp. 1927/8, 37 ff.

*) Vgl. Evans I 48 f., vgl. 52 Abb. 14 ; Xanthoudides, Vaulted Tombs of Mesarä Taf. 7. 15. 21.
 
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