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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0357

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18. Die Bedeutung der Schachtgräber

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aus hethitischen Texten ein achäisches Großreich zu konstruieren, leider nicht halt-
bar ist1). Kreta hat für Mächte vom Format Ägyptens und Babyloniens, oder auch
der Hethiter, gewiß eine sehr geringe Bedeutung gehabt, das mykenische Festland
erst recht2). Dessen Beziehungen reichten im Norden wohl bis Ungarn, dem großen
Umschlagplatz zwischen der Balkanhalbinsel und Mitteleuropa. Aber es waren
bloße Handelsbeziehungen und kaum sehr bedeutende. Unsere hohe Schätzung der
kretisch-mykenischen Kultur täuscht uns leicht eine internationale politische Macht
ihrer Träger vor, die diese wohl nie besessen haben. Dennoch haben sie eine über-
aus wichtige Rolle in der Geschichte gespielt.

Nach Schliemanns Funden vom Sommer 1876 hat man bald die neuentdeckte
Kultur „mykenisch" genannt. Das war zunächst eine konventionelle Bezeichnung,
die besonders nach den großartigen kretischen Ausgrabungen des beginnenden
XX. Jahrhunderts oft als unzulänglich getadelt wurde. Unsere allmählich fort-
schreitende Erkenntnis lehrt uns heute, daß jener Name auch inhaltlich zu Recht
besteht. Mykenai bleibt die politische und künstlerische Vormacht der Peloponnes
(Ed. Meyer, a. a. 0. 246), vielleicht von ganz Griechenland, in der zweiten Hälfte
des II. Jahrtausends, und gerade die Schachtgräber bezeichnen den Wendepunkt
in der Geschichte dieses Jahrtausends, den Beginn des Aufstiegs zu Macht und
Blüte. Sie bezeichnen, zugleich mit dem Eindringen der überlegenen minoischen
Kultur, auch den Beginn bewußter Selbständigkeit gegenüber dieser fremden, un-
europäischen Macht. Das XVI. Jahrhundert v. Chr. scheint die erste Periode des
jahrtausendealten Kampfes zu sein, der im ägäischen Bereich zwischen Europa
und Asien immer wieder ausgefochten wurde und noch nicht abgeschlossen ist. Als
einzige Zeugen jener frühesten Kämpfe sind uns die Schachtgräber erhalten ge-
blieben: darin liegt ihre höchste weltgeschichtliche Bedeutung.

J) Vgl. dazu jetzt die eindringende Erörterung von F. Sommer, Die Ahhijavä-Urkunden, Abh. Bayr. Akad. 1932,
378 f., auf die mich W. Weber hinweist.

•) W. Weber, a. a. O. 9: „der älteren Welt, an deren Rande die Leute der Ägäis, keineswegs ihr ganz entrückt,
wohnten."

45 K a ro , Schachtgräber
 
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