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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 18.1902-1903

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Zuckerkandl, B.: Von neuer polnischer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12081#0295

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VON NEUER POLNISCHER KUNST

Die Vereinigung „Sztuka" (Kunst), welche
nach innerlichen, phrasenlosen und ernsten
Lösungen modernen Kunstempfindens strebt,
gibt heute wohl das prägnanteste, zusammen-
fassendste, lebendigste Bild aller Energien,
welche die polnischen Künstler der Gegen-
wart bewegen.

International und national zugleich ist ihre
Art. Alle Errungenschaften des französischen
Impressionismus haben sie sich angeeignet.
Alle Probleme, welche die große Malkunst
der Franzosen gelöst, alle Neuerungen ihrer
Technik haben sie aufgenommen. Aber wenn
sie Franzosen durch den Stil sind, so sind
sie Polen in ihrer Empfindung.

Die große blutig-traurige Historie des Polen-
landes ist das unversiegbare Thema aller
Kunstformungen, aller Geistesäußerungen der
polnischen Dichter, Maler und Bildner.
Doch nicht wie zur Zeit Matejkos muß der
wirkliche Vorgang, muß die genrehafte Dar-
stellung eines geschichtlichen Momentes die
Erinnerung an das verlorene Vaterland wach-
halten. Die Natur ist in schwermütige
Schleier gehüllt, die Menschen sind in nach-
sinnende Trauer versenkt, der einfachen
Täglichkeit wird durch das Pathos eines leise
vibrierenden Schmerzes erhöhte Sinnes-
deutung gegeben. Die Realität des Vorganges

ersetzen die polnischen Zeitkünstler durch die
Symbolik der Stimmung.

Daß die Entwicklung der bildenden Künste
nicht wie bei den Czechen eine überstürzte,
traditionslose und daher nicht immer eine
ganz logisch ehrliche ist, zeigen wohl am
deutlichsten die Werke von Josef Chel-
monski. Er ist der verehrte Meister und
Führer. Wohl mit Recht. Als junger Mann
nach Paris gekommen, hat Chelmonski dort
die ersten Kämpfe der Freilichtmaler durch-
gekämpft. Nicht einen Adepten, nicht einen
Nachahmer, sondern einen Mitstreber Manets
muß man ihn nennen. Das Bild „Im Vor-
werk" (s. obenst. Abb.) ist anfangs der sieb-
ziger Jahre entstanden. Sicher und lebendig
im Umriß sind die Figuren des Gutsherrn,
der Frau und des Pferdehüters. Die bäumen-
den, stoßenden, widerstrebenden Pferde haben
bereits jene fluktuierende, aphoristische Linien-
führung, welche erst viel später Besnard in
seinen „lila Pferden" meisterte. Und die
weite Ferne der Ebene mit dem feingeröteten
Hauch des kühl sich senkenden Abendnebels
zeigt die ganze Differenzierungskunst der
beginnenden Meister des Impressionismus.
Zehn Jahre später ist Chelmonski aus Paris
wieder in die Einsamkeit seiner Steppen ge-
flohen, die er, ein Einsamer, ein Sonderling

Die Kunst für Alle XVIII. 12. 15. Marz 1903-

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