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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 18.1902-1903

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Zuckerkandl, B.: Von neuer polnischer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12081#0296

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-3-5?ö> VON NEUER POLNISCHER KUNST

geworden, nicht mehr verläßt. Das Werk scheinung ist Wyspianski. Dichter und
„In der Kirche" (1882 entstanden, Abb. a. Künstler von Gottes Gnaden, weiß er die
S. 274) stammt aus dieser zweiten Periode. tiefsten Accente der Heimatart anzuschlagen.
Ein Priester, die Monstranz hebend, leitet Ebenso wie er in seiner Dichtung „Die Heirat"
das Gebet ein, und die fanatisch fromme alle entschwundenen Großen der polnischen
Menge wirft sich auf die Kniee, beugt sich Nation heraufbeschwört, ebenso hat er auf
tief nieder zur Erde. Hier ist der Meister den für den Wawcl bestimmten Kirchenfenstern
tiefer, seelischer geworden. Der herrliche die Gespenster der nationalen Heiligen und
Farbenglanz dieser kirchlichen Volksscene der Polenkönige als düsteres Erinnern er-
ist nicht Hauptzweck, nicht Hauptwirkung, scheinen lassen. Aber nicht als Verlebendiger
Als entscheidendes Moment tritt die groß- einer großen, toten Vergangenheit allein schafft
zügige einigende Stimmung hervor, die die der Künstler. Keiner soll wie er die charak-
in Ehrfurcht erschauernde Menge durchbebt. teristischen Figuren des Volkes schildern,
In packender, kraftvoller Linienführung zeigt keiner wie er psychologische Eigenart deuten
Chelmonski die Vehemenz des Vorganges. können. Sein Selbstporträt (s. S. 290) zeigt wohl
Als letzte Entwicklungsstufe des Künstlers durch die energische Stirnmodellierung, durch
ist ein Schneebild aus dem Jahre 1892 zu den durchdringenden Blick und durch den
bezeichnen. Hier ist er Japaner durch die weich-traurigen Zug des Mundes das kom-
intime Naturfühlung und deren virtuoser Ueber- plizierte Empfindungsleben dieses Eigenen.
Setzung in konzentrierten Kunstausdruck. In Höchst reizvoll mit der anmutigen Weichheit
Chelmonski ist die tiefe, ehrliche Arbeit, das eines der französischen Meister des achtzehn-
individuelle Durchringen zu den neuen Stil- ten Jahrhunderts ist das „Mädchenköpfchen"
Wandlungen, welches den Künstlern Polens (s. S. 291) wiedergegeben. Das ist rosiges,
eigen ist, am prägnantesten charakterisiert. blühendes, kindliches Werden.

Eine eigenartige schwer zu definierende Er- Wie stets bei den tief im Heimatlichen

wurzelnden Völkern ist auch bei den
Polen die Landschaftsmalerei be-
sonders gepflegt und entwickelt. Sie
suchen vor allem im Naturausschnitt
Stimmungswerte. Trauer, ohne Sen-
timentalität oder Süßlichkeit, ist die
dominierende Note. Die kräftigste,
dramatischste Individualität unter
ihnen ist Ruszczvc. Das merkt man
dem düster bewegten Bilde, welches
der Künstler „Die Erde" benennt,
wohl an (Abb. s. S. 289). Derschwarze
Ackerhügel, die massige Form der
hinaufkeuchenden Pflugtiere, die
knappangedeutete Gestalt des der
Scholle Dienenden sind umspannt
von einem dämmernden, wolken-
schweren Himmel. Eindringlich und
pathetisch in Linie und Farbe ist
dies Gemälde eine Vision der alles
bestimmenden Natureinheit, des un-
verrückbaren Geschehens. Sehr viel
Millet'sche Weltanschauung liegt
darin.

Gleich koloristisch, kraftvoll und
breit im Aufbau wie im Strich ist
das Bild „Die Schleuse" (s. S. 285).
Alles ist hier so einfach, so ohne De-
tailkrämerei, so nur auf das Wesent-
liche zielend. Und doch ist das Kör-
WbMl If'win^lHfl P* %. % perliche der moosbedeckten Mühle,

- der Baumschlage, des stromenden

jacek malczevc ski ein frühlingslied Wassers meisterhaft gekennzeichnet.

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