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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1885

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Huber-Liebenau, Theodor von: Ueber gewerbliches Ausstellungswesen, [1]
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Nahezu zwei Jahrhunderte lang fand nichts Aehn-
liches mehr statt, bis die Londoner „Society for promo-
tion of arts, manufactures and commerce“ im Jahre \756
dieselbe Idee wieder aufnahm, indem sie eine preisbewerb-
ung für ausgezeichnete Gegenstände aus dem Gebiete der
Kunst- und speziell der Textil-Industrie veranstaltete und die
in Folge der ergangenen Ausschreibung erhaltenen Erzeug-
nisse der allgemeinen Besichtigung unterstellte, Hier tritt
uns ein neues Fortschrittsmoment des Ausstellungswesens
entgegen, nämlich die Durchführung der Ausstellung als
eines gemeinnützigen Unternehmens durch eine außerhalb
des Kreises seiner Interessenten stehende Korporation, ein
weiteres solches Moment aber in einer folgenden Ausstell-
ung zu Prag, welche, der Vberstburggraf Rottenham bei
der Krönung Leopold II. zum Könige von Böhmen im
Jahre s79s inszenirt hatte, um dem neuen Herrscher den
Stand der Gewerbe des ganzen Königreiches zu zeigen,
nämlich die systematische Vorführung der gewerblichen Pro-
dukte eines bestimmten ganzen Produktionsgebietes, deren
Bethätigung wenigstens dem Bestreben des gedachten Unter-
nehmers zu Grunde lag, so daß man, so mangelhaft auch
nach unserem Begriffen der Erfolg in Bezug auf die Voll-
ständigkeit war, diese Prager-Ausstellung mit Recht als die
erste Landesausstellung bezeichnen kann.

Ihre vollständig moderne Gestalt erhielten die gewerb-
lichen Ausstellungen indessen in Frankreich. Dort lagen
durch die Gräuel der französischen Revolution zu Ende des
vorigen Jahrhunderts nebst allem Uebrigen auch Gewerbe
und Handel total darnieder, als im Jahre V der Republik
oder \7ty7 nach Christi Geburt der Marquis d'Aveze vom da-
maligen Minister des Innern Frangois de Neufchateau
zum Direktor der Savonnerie, der Gobelinmanufaktur und
der porzellanfabrik in Sevres ernannt wurde. Ihr trost-
loser Zustand brachte den neuen Direktor auf den glück-
lichen Gedanken, diesen drei berühmten industriellen Insti-
tuten Frankreichs, sowie der französischen Nationalindustrie
überhaupt durch eine öffentliche Ausstellung wieder aufzu-
helfen, welche nach hiezu erholter ministerieller Genehmig-
ung in dem damals unbewohnten und leerstehenden Schlosse
St. Eloud abgehalten und am s8. Fructidor eröffnet werden
sollte. Diese Eröffnung mußte zwar unterbleiben, weil un-
mittelbar zuvor das Dekret des Direktoriums erschien, wo-
durch sämmtliche adelige Personen innerhalb Stunden
des Landes verwiesen wurden, welche Verweisung auch den
genannten Marquis traf; allein alsbald nach seiner Rück-
kehr im Jahre 1798 arrangirte er eine neue Ausstellung
im Maison d’Orsay in der Rue de Varennes zu Paris,
und zwar mit dem ganzen modernen prämiirungs- und
Verloosungs-Apparate. Die Ausstellungsobjekte bestanden
vornehmlich in Boulearbeiten, Uhren von Leroy, typo-
graphischen Erzeugnissen von de Thon und Grolier, porzellan-
arbeiten von Severs und Angouleme, Gemälden von
Vinzent und David, Stoffen und Geweben aus Lyon u.
a. m., und bezweckte auch dieses wie das vorige Unter-
nehmen, dem Volke unmittelbar vor Augen zu führen,
welche Schätze die Industrie Frankreichs zu erzeugen ver-
möge und das Interesse von den politischen auf die indu
striellen Verhältnisse des Landes zu lenken. Der Erfolg
war ein so gelungener und durchschlagender, daß man nun
regelmäßig wiederkehrende gewerbliche Ausstellungen in

größerem Stile abzuhalten beschloß. „Der thatenreiche Feld-
zug vom Jahre s7fl8" — schreibt der Franzose Flachat
hierüber — „verherrlicht durch die Siege von Arcole,
Mantua und Rivoli, erwarb den Waffen der Republik
einen unsterblichen Ruhm; Vertrauen und Hoffnung kehrten
wieder und nie erschien eine in der Krisis der Republik
entstandene Regierung mächtiger und für die Zukunft ge-
sicherter. Man verordnete denn auch eine alljährliche
glänzende Feier der Republik." Der oben erwähnte Mi-
nister des Innern, Frangois de Neufchateau, beauftragt,
diese Feier in's Werk zu setzen, brachte als aufgeklärter
Mann und warmer Freund der Kunst und Industrie,
deren großen Nutzen und Einfluß auf allgemeine Bildung
und Wohlfahrt er hochschätzte, für eine solche National-
fcier die Veranstaltung einer Industrie-Ausstellung in Vor-
schlag. Angesichts der wundervollen Werks der Kunst und
Industrie, welche nach Beendigung des italienischen Kriegs
im Jahre 1798 als Kriegsbeute mit theatralischem Pompe
in die Stadt Paris geführt wurden, und dadurch angeeifert,
nun auch zu zeigen, was einheimische Kunst und Industrie
zur Vermehrung der gloire frangaise zu leisten vermögen,
wurde dieser Vorschlag mit allgemeinem Beifalle ausge-
nommen, auf dem klassischen Platze der späteren Weltaus-
stellungen vom Jahre f867 und f878, auf dem Mars-
felde, hiefür ein eigener Industriepalast erbaut und die
Ausstellung am \0. September s7st8 eröffnet. Dem Um-
fange nach zwar noch bescheiden, — es betheiligten sich
nur ffO Industrielle daran, von welchen 23 prämiirt
wurden, — bot dieselbe gleichwohl viel des Interessanten,
worunter namentlich eine Zusammenstellung der Urmuster
des Metermaßsystems hervorzuheben ist, welcher ein be-
sonderer Pavillon gewidmet war.

Sehr lehrreich und bedeutungsvoll auch für unsere
Zeit noch, mit ihren Kämpfen für und gegen das alte
Zunftwesen, ist die Rede, womit der Minister de Neuf-
chateau die Exposition inaugurirte: „Wir leben" — heißt
es u. A. darin — „nicht mehr in jenen unglücklichen
Zeiten, in welchen die in Fesseln geschlagene Industrie
zittern mußte, wenn sie die Früchts des Nachdenkens und
des Studiums auf den Markt brachte, in welcher belästig-
ende Verordnungen und Zunftgesetze den strebsamen Er-
finder niederdrückten, in welcher die Kunst im Dienste des
Despotismus nur den schlechten Leidenschaften schmeichelte."

And diese Worte finden auch in den unmittelbar vor-
ausgegangenen Zuständen in Frankreich ihre volle Berech-
tigung und Erklärung, wenn man sich z. B. daran er-
innert, daß der berühmte Mechaniker Lenoir eines beson-
deren Staatsschutzes für feine neuen wissenschaftlichen In-
strumente bedurfte, daß die Entwickelung der Baumwoll-
und Seiden-Druckerei durch zünftige Manufakturisten völlig
aufgehalten wurde, daß die Argantffche Lampe nur unter
den größten Schwierigkeiten von Seite der zünftigen Schlosser
und Eisengießer eingeführt werden konnte, weil Argant
keiner dieser Zünfte angehörte, daß der die Papiertapeten
in Frankreich einführende Reveillon dieselben Kämpfe mit
den zünftigen Druckern, Graveuren und Webern zu be-
stehen hatte, und der Erfinder der Webemaschine nahe
daran war, von den Handwebern gelyncht zu werden.

Die letztbesprochene Lokal-Ausstellung, welche die Fran-
zosen als ihre erste Industrie-Ausstellung zu bezeichnen
 
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