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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1885

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Muther, Richard: Die Deutschen Volksbücher des 15. Jahrhunderts, [2]: Vortrag, gehalten im Kunstgewerbeverein am 2. Dezember 1884
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https://doi.org/10.11588/diglit.7029#0093

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Maler hatten hinreichend zu thun, um die von den Eycks
in den Niederlanden neuerfundene Technik der Oelmalerei
sich anzueignen; das Geschäft, Bücher zu illustriren, wurde
nur von untergeordneten Handwerkern betrieben, die weder
ihren Zeichnungen einen künstlerischen Lharakter zu geben,
noch dieselben sorgfältig in Holz zu übertragen wußten.
Za, die ältesten Holzstöcke sind nicht nur an sich kunstlos,
man machte sie auch dadurch noch langweiliger, daß man sie
unzähligemale unter verschiedener Bedeutung in demselben
Buche abdruckte. Es ist ganz unglaublich, in welcher naiven
Weise man in dieser Beziehung vorging. Da haben wir
z. B. die in Augsburg um ^70 erschienene erste illustrirte
deutsche Bibel. Unzähligemale werden darin die nämlichen
Holzstöcke für verschiedene Personen wiederholt. Ein alter
Mann mit Turban und langen: Gewände muß für die
ganze Reihe der Propheten seine Dienste thun, ein jugend-
licher mit einer Krone auf dem Haupte stellt die verschiedesten
Könige dar, ein anderer mit einem Buche in der Hand
vertritt den Apostel- und Evangelistentypus, erscheint gleich-
zeitig als Petrus, Paulus, Iacobus, Johannes — die
Illustration eines ganzen Buches ist mit wenigen Holzstöcken
hergestellt.*) In der „Heiligenlegende" hat ein und der
nämliche plumpe kleine Holzstock, welcher einen geköpften
Mann darstellt, die Hinrichtung von nicht weniger als
verschiedenen Heiligen zu veranschaulichen. In der Geschichte
der Zerstörung Trojas ist für alle Schlachten, welche die
Griechen gegen die Trojaner kämpften, nur ein einziges
Bild mit ein paar aufeinander lossprengenden Rittern vor-
handen. Derselbe Holzstock, der Anfangs Iafon's und
Medea's Abschied von Aietes darstellte, wird später für
die Entführung der Helena verwendet. Daß Menelaus
neben dem Schiffe steht und seine Frau ruhig entsiiehen
läßt, darf den Beschauer nicht stören. Zn der Weltgeschichte
des Werner Rolevink sollten mehrere Städte wie Rom,
Athen, Köln bildlich vorgeführt werden. Aber nicht genug,
daß nicht der geringste Versuch gemacht ist, ein getreues
Bild der einzelnen Städte zu geben — ein und dasselbe,
wenige Eentimeter hohe Bildchen mit ein paar Thürmen
und Häusern wird dem Leser auf der einen Seite als
Rom, auf der andern als Trier, auf der dritten als Athen,
auf der vierten als Köln oder Zerufalem vorgeführt. Und
nicht nur in demselben Buche wurden die Holzstöcke immer
wieder verwendet, sie gingen auch von dem einen ins andere
über, so daß oft die Illustration eines großen Werkes
lediglich mit Holzschnitten hergestellt ist, die zehn Jahre
früher für ein ganz anderes Buch angefertigt waren.

Erst in der späteren Zeit begann man die Bücher
wirklich sachgemäß zu illustriren, und einer der Ersten, die
sich bestrebten, alles Phantastische abzustreifen und den
Bildern möglichst historische Treue zu geben, war Hartmann
Schedel. Auch er mußte in vielen Punkten noch den
Forderungen seiner Zeit sich anschließen. Das Volk war
unzufrieden, wenn es nicht von Allem eine Abbildung
erhielt; nicht nur die historischen Ereignisse, auch die Städte,
welche in den einzelnen Weltaltern geblüht, und die Personen,
welche hauptsächlich in den Gang der Geschichte eingegriffen
hatten, wollte es in Abbildungen sehen. Da nun von Städten
wie Ninive, Korinth oder Damaskus authentische Bilder

*) Vrgl. Muther, „Die ältesten deutschen Bilderbibeln", München,
Literarisches Institut von Dr. Max bsuttler, (883.

schwer zu beschaffen waren, wird auch hier noch ähnlich
wie in Rolevink's Weltgeschichte ein immerwiederkehrendes
Phantasiebild geboten. Bei den Porträts war es natur-
gemäß noch schlimmer. Schedel hätte die ganze Welt durch-
wandern können, und er hätte von den Vorfahren Ehristi,
assyrischen Herrschern, ägyptischen Pharaonen, griechischen
Göttern, Sibyllen, trojanischen Helden, jüdischen Propheten,
keine beglaubigten Porträts ausgefunden. Und so wurde
auch hier eine Anzahl von Phantasieporträts hergestellt,
die willkürlich für die verschiedensten Personen verwendet
wurden. Der Mann, den man zuerst als Hektar gesehen
hatte, mit blödem Gesicht, kurzgeschorenem Haar und faltigem
Mantel, erscheint später als Jonas, pittakus, Zeno, Teren-
tius und Ketzer Valentinian. Die Darstellung des Paris
— ein Mann mit einem bis an den Hals zugeknöpften
Mantel und einem Buch in der Hand — hatte von Anfang
an für diesen schlecht gepaßt. Dafür eignet sie sich um so
besser für Micha, Epimenides, Neemias, Epikurus, den
Ketzer Marcion, den Johannes Damascenus. Aber sobald
Genauigkeit wirklich möglich war, hat Schedel dieselbe auch
zu erreichen gesucht. So hat er von einigen Städten Deutsch-
lands und Italiens vortreffliche Bilder Herstellen lassen,
denen genaue Aufnahmen an Vrt und Stelle zu Grunde
liegen. Nürnberg, Erfurt, Würzburg, Bamberg, Straßburg,
Basel, Nlm, Venedig, Florenz und viele andere Orte sind in
seiner Ehronik durch getreue charakteristische Bilder vertreten.

Auch aus dem Gebiete der Länderbeschreibung bekommen
die Abbildungen früh einen gewissen künstlerischen und
wissenschaftlichen Werth, und in den Bildern zu Breiden-
bach's Reise ist überhaupt die höchste Höhe erstiegen, die
solche Darstellungen erreichen können. Breidenbach hatte,
um möglich sachliche Illustrationen in seinem Werke geben
zu können, den vortrefflichen Maler Erhard Reuwich aus
Utrecht mit sich ins heilige Land genommen. Dieser ver-
wendete auf die Arbeit den größten Fleiß, und so sind die
großen Ansichten von Venedig, Torfu, Rhodos, Typern,
Jerusalem von solcher Vortrefflichkeit, daß man unwillkür-
lich an Eanaletto's berühmte Städteprospekte erinnert wird,
und auch die Bilder aus dem Völkerleben des Orients
athmen eine Wahrheit und Naturtrsue, wie sie in späterer
Zeit nur von wenigen Reisebeschreibern wieder erreicht
wurde.

Auch die naturwissenschaftlichen und medizinischen
Werke sind schon frühzeitig gut illustrirt gewesen. Besondere
Sorgfalt wurde auf die zahlreichen Pflanzenabbildungen
des „Gartens der Gesundheit" verwendet. Der Herausgeber
machte, um mäglicb viele Abbildungen heilsamer Kräuter
geben zu können, eine Wallfahrt nach dem heiligen Land
und nahm wie Breidenbach einen Maler mit, der sämmt-
liche in Palästina wachsende Kräuter abzeichnen mußte.
Die Abbildungen sind zwar oft noch sehr roh und steif,
oft ist aber doch die Pflanze erkennbar, die meist ganz mit
Wurzel und Blüthe, theils nur mit Stengel, Blüthen und
Blättern dargestellt ist.

Ueber die Künstler, welche die Bilder dieser alten Bücher
anfertigten, fehlen uns größtentheils die Nachrichten. Anfangs
war ohne Zweifel der Zeichner, Formschneider und Drucker
eines Buches immer ein und dieselbe Person. Erst in den
letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts vollzog sich all-
mählich die Trennung. Maler liefern den Buchdruckern
 
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