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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Rolfs, Wilhelm: Alte Geleise - neue Pfade
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0015

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Alte Geleise''— neue Pfade.

besonderes Verdienst sei, jahraus, jahrein „Bilder
zu malen" und „Statuen zu modelliren", für^ die es
allmählich eines fast überirdisch glücklichen Zufalles
bedarf, um Käufer zu finden; — sondern die schlecht
und recht, frisch und gesund, vor allen Dingen aber
beseelt von echt künstlerischem Empfinden bekennen:
ein jeder Gegenstand, nicht bloß die Leinwand
und der Marmor, sondern auch das letzte und be-
scheidenste, zuin Gebrauche bcstinnnte, täglich benützte,
täglich geschaute Geräth kann und soll, wie einst
im klassischen Alterthum, durch die Kunst geadelt
werden. So und nur so ist ein neues Kunsthandwerk
möglich; so und nur so kann Deutschland wieder an
die führende Stelle gelangen, die ihn: durch künst-
lerisches Empfinden, ernste Schulung, technische Voll
kommenheit, liebevolle Arbeit, sinnenden Fleitz einst
gebührte, und die es unachtsain genug an die Fremde
abzutreten im Begriffe steht. Soll das Zahr lchOO
— so argumentiren diese Künstler — soll die pariser
Ausstellung uns nicht vor aller Welt eine kaum ver
windbare Niederlage bringen, so müssen wir uns
noch in letzter Stunde ausraffen und zeigen, daß auch
wir etwas können, was nicht bloße Wiederholung
des Hergebrachten ist. —

Was gilt es denn bei uns aus dein Wege
zu räumen, um in die neuen Bahner: ein-
lenken zu können, deren Anfangspunkt die
Ausstellung im Glaspalaste bezeichnen
möchte?

Nach wie vor herrscht bei uns die Nachahmung
alter Formen, alter Stile und ihre Verwendung zu
allen möglichen Zwecken häufig genug in oft ganz
mißverstandener, ja sinnloser weise, vor. Es würde
hier zu weit führen, zu untersuchen, worin dies seine
letzten Gründe hat. Die Schuld daran hat man irr
erster Linie aus unsere Akademien und kunstgewerb-
lichen Schulen geschoben, weil da zu viel Gewicht
aus das Nachzeichnen, Nachahmen, Nachempfinden,
zu wenig auf das Studiuin der Natur und die Eigen-
art des Schülers gelegt werde. Aber der Gründe
sind noch viele andere, zum Theil sind sie ganz all-
gemeiner Natur. Nicht nur sind Routine und Ge-
wohnheit, nicht nur jene vis inertiae, die Alles
tzern beim Alten ließe, in Rechnung zu ziehen, soli-
der» vor allen Dingen die ganze Zerfahrenheit, die
geistige Aebermüdung und Ncberreizung unserer Zeit,
die das natürliche, unbefangene Sehen und Em-
pfinden ohne der Bücherweisheit trübe Brille ganz
verloren zu haben scheint: zu viel Nerven, zu wemg
frische Thatkraft; zu viel historisches wissen, zu wenig
gesunden Menschenverstand; zu viel Nachempfinden,
zu wenig Ursprünglichkeit in unserem gesammten
Geistesleben — das sind charakteristische Zeichen der

Zeit, die auf allen Gebieten unserer Kulturarbeit
sichtbar werden.

Nur einem besonderen Erklärungsversuch sei mir
gleich hier erlaubt, entgegenzutreten: Das ist der oft
gemachte Vorwurf, in Deutschland habe man kein
Verständniß und daher auch kein Geld für ge-
diegene, aber theure Sachen; das deutsche
Volk wolle den Schund, den der Händler

2. Plafond, entworfen von Architekt 1H. Dülfer.

ihm vorsetzt! Das fei eine tiefeingewurzelte un-
ausrottbare Raffeneigenthümlichkeit, ganz so wie
unsere Fremdsucht. Dem gegenüber darf mit Recht
behauptet werden, daß beides, in unseren Tagen
wenigstens, falsch ist. Möglich, daß die Jahrhunderte
moralischer und materieller Verkommenheit, wie wir
sie irach dem Dreißigjährigen Kriege durchzukosten
hatten, den deutschen Sinn für ärmlichen, täuschenden
und nichtssagenden Schmuck, der wenigstens den
Schein einer freundlich heiteren Kunst über ein in
der Noth und Entsagung verödetes Leben breiten
konnte, ungebührlich gestärkt haben. Diese Nach-
 
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