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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Rolfs, Wilhelm: Alte Geleise - neue Pfade
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0020

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Alte Geleise

neue Pfade.

gewonnen zu sein scheinen. Bis dahin kann man nur
die ungeheure Menge schandbarer und mißverstandener
Arbeit bedauern, vermittels deren wir so viel Gemeines
und Plattes geschaffen haben."')

Freilich ist dies nur die eine Leite der Lache.
Denn damit, daß man ein lächerliches und gefähr-
liches Vorurtheil ablegt, ist noch nicht viel gethan;
es fommt noch der wichtigere Lchritt hinzu: der
Aünstler, der bis-
her nur Oelfarbe
und Leinwand zu
behandeln brauchte,
muß lernen, ein
Handwerk und des-
sen Material zu ver-
stehen. Und hier tritt
die Alage der Fabri-
kanten, die sich oft ge-
nug bereit erklären, gern
neue Entwürfe (auch
für ihnen bisher un-
gewohnte Preise) an-
zukaufen, in ihr Recht:
daß sie unter (00 an-
gebotenen Entwürfen
nicht (0 gebrauchen
könnten, da den Aünst-
lern die Einsicht in
und die Rücksicht auf
die technischen Bedin-
gungen des Materials
und der perstellungs-
weise abgingen. Wenn
abersolcheErfahrungen
von den ohnehin nicht
zahlreichen Fabri-
kanten , die einen
künstlerischen Ent
wurs zu schätzen und
zu bezahlen wissen,
häufiger gemacht
werden, so wird das
Interesse an der-
artigen Bemühungen leicht erlahmen. Muthlos wird
bald ein Versuch ausgegeben, der viel Geld und Mühe
kostet und dennoch nicht zun: Ziele führt. Pier kann
allein die Einsicht helfen, daß es für den Aünstler nicht
genügt, Ltandesvorurtheile aufzugeben und fein Talent
in den Dienst der dekorativen Aunst zu stellen, son-
dern er muß von vorn wieder ansangen; er muß
den Muth haben, noch einmal wieder in die Lchule,

') Baillie Scott, Über die Auswahl einfacher Möbel.
(Studio X. S. \52 ff.)

diesmal in die des Lebens und der Praxis zu gehen;
muß von der Pike auf dienen und sich mit den zahl-
losen Handgriffen, dem Wesen des zu verarbeitenden
Materials erst vollkommen vertraut machen, ehe feine
eigentliche künstlerische Thätigkeit beginnt. Daß eine
derartige Abkehr von der „Hohen Aunst" nicht Jeder-
manns Lache ist und eine nicht geringe moralische
Arastanstrengung erfordert, daß die Erwerbung tech-
nischer Aenntnisse eine
langjährige Schulung,
Mühe und Arbeit und
demgenläß auch Aosten
heischt, wer wollte es
leugnen? Das sollte
aber nrie&erum dem Fa-
brikanten klarmachen,
daß ein künstlerischer,
technisch ausführbarer
Entwurf nicht zu dem-
selben Preise zu haben
ist, wie er ihn von
seinem Angestellten,
dem ii: irgend einer
kunstgewerblichen
Schule herangebildeten
Zeichner, zu berechnen
pflegt. So lange er
dessen Arbeit und die
eines wirklichen Aünst-
lers nicht von einander
zu unterscheiden weiß,
wird er sie gleich hoch
oder vielmehr gleich nie-
drig werthen. Draußen
in der kaufkräftigen,
kunstliebendeli Welt
aber, die an „präch-
tigeZimmer und ele-
gantes Hausgeräth"
künstlerische Anfor-
derungen zu stellen
weiß, wird er bald
bemerken,welches der
„Muster" vorgezogen wird — das handwerkliche, geist-,
kunst- und talentlose, oder das künstlerisch beseelte, das zu
uns in jener geheimnisvollen Sprache spricht, die aller
Aunst letztes und höchstesWerthmaaß ist. Diese kunst-
freudige Welt scheut keine Mühe und keine Aosten:
findet sie auf heimischem Boden nicht, was sie
befriedigt, so holt sie es sich aus der Fremde, un-
bekümmert um den Vorwurf, einer vaterlandslosen
Fremdzucht geziehen zu werden, den sie in diesem
Falle auch sicherlich nicht verdient. Denn so gewiß

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