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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Seidel, Gabriel: Zum Streit der kunstgewerblichen Anschauungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0090

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Zum Streit der kunstgewerblichen Anschauungen.

Bei dieser Gelegenheit erscheint es mir nun am
Platze, über augenscheinliche Bestrebungen der Zeit-
schrift zu sprechen, welche bezwecken, dieselbe einer
speziellen Richtung dienstbar zu machen, die eine
neue Aera von Aunsthandwerk proklamirt, welche
das noch nie Dagewesene, gänzlich Neue als allein
berechtigt erklärt, die mit jeder Tradition grundsätz-
lich brechen will und alles Vorhergegangene als
veraltet und überlebt bezeichnet. Als Produkt der
angestrebten Richtung werden die beiden bekannten
Zimmer int Glaspalast und zwar als hervorragend
epochemachende Aunstwcrke verkündet.

Wenn ttun eine Gruppe von Aünstlern ihre
Freude ait diesem Prinzips findet, so ist dagegen kein
Wort zu sagen und Niemand steht es zu, sich irgend-
wie einzumischen; aber umgekehrt ist es auch umso-
weniger zulässig, diese Grundsätze dem Vereine
selbst aufoktroyiren zu wollen und seitie Zeitschrift
und Firma hiefür zu benützen.

Nicht zulässig uitd sehr bedauerlich ist es ferner,
geritigschätzig und wegwerfend von attdereti Leistungen
und insbesondere denen von München zu sprechen.

So stehen denn die Sachen doch bei Weitem nicht.

Pier ntuß den Artikelschreibern gesagt werden,
daß iteben dent tiefen Erkennen und Zugestehen
unserer Schwächen auch gottlob in München viel
Grund vorhanden ist, sich über den frischen und
wohlthuenden Zug sehr zu erfreuen, der die Thätig-
keit auf unserem Gebiete ganz besonders auszeichnet;
jeder Frentde fühlt dies schon beim ersten Spazier-
gang durch die Stadt; gerade der neuerlich unläug-
bare Aufschwuitg in der Durchführung der Bauten
mit ihrer Ausstattung an Plastik, Stukkatur, dekora-
tiver Malerei, Schmiedewerken ist doch gewiß ein
starkes Stück sehr achtbaren Aunsthandwerkes! Nicht
nur öffentliche Bauten, sondern auch Geschäftshäuser,
Gastlokale, oft bis zu den kleinsten, und eine wahre
Unzahl von Privatwohnungen berühren gerade auch
Fremde auf das Angenehmste, so daß man tausend-
fach entzückt aussprechen hört: „Das giebt's eben
doch nur in München!"

Das können auch die Artikelschreiber tticht leugnen,
welche jetzt München wie einen Friedhof des Ge-
schmackes beschreiben, in den: das einzige Lebens-
element die beiden Zimmer int Glaspalast fein
sollen.

Aber umgekehrt ist bekanntlich auch gefahren.

Bei den überlauten Lobesfanfarcn der betreffen-
den Artikel kann der Fachmann ein Lächeln wirklich
tticht unterdrücken.

Die betheiligten Aünstler selbst, unter sich,
sprechen etwas anders und richtiger von ihren gegen-
seitigen Werken, als die maßlosen Reklameartikel.

Daß die Raumwirkung beider Zimmer, beson-
ders des zweiten, tektonisch und farbig etwas ganz
pervorragendes und Epochemachendes fei, sollte
wirklich nicht laut behauptet werden. Die beiden
arrangirenden Aünstler haben schott viele stattliche
und schöne Leistungen aufzuweisen, aber Alles von
Ihnen ist doch viel besser, als diese beiden Interieurs.

In der Aleinkuttst waren vielfach hübsche Sachen
vorhanden, die für jeden Geschmacksfreund sehr er-
freulich wareit und mit Vergnügen allseitig anerkannt
werden.

In der Aunst ist für die Güte eines Werkes
aber tticht der Stil oder die Richtung entscheidend, (so
wenig wie im Leben die Partei für den Menschen)
man ntuß nur zwischen gut und schlecht zu unter-
scheiden verstehen lernen, unbekümmert um die
Richtung.

Gegenüber dent starken Betonen einer neuen
ntodernen noch nie dagewesenen Richtung muß doch
erinnert werden, daß sich niemals mit Gewalt eine
solche machen läßt, sondern sie kommt von selbst
durch die neuett Elemente der Zeiten und durch große
Geister.

Es ist eine überflüssige Sorge, daß das Rad
der Zeit stehen bleibe, und daß unsere Werke tticht
den sehr deutlichen Stempel unserer Zeit tragen
sollten; aber der ausschließliche Ruf nach Neuem
und Modernem ohne tiefere, innere Gründe ist der
Typus des Modebazars und nicht der Aunst.

Die Gesetze der Aunst und der Schönheit sind
aber unwandelbar, weil sie Naturgesetze sind, wie
die der Statik und der Dynamik: sie beruhen alle
auf der parmonie; — aber, nach Zeit, Mrt und ge-
gebenen Verhältnissen stets verschieden in ihrer An-
wendung, bringen sie stets Neues und wirken ewig
verjüngend.

In der großen unendlichen Aette ntenschlicher
und künstlerischer Entwicklung ist jedes und auch
unser Schaffen ein neues Glied, wenn es ein har-
ntonisches ist. Die Münchener Art — und von
einer solchen können wir mit Recht sprechen — ent-
springt aus der Liebe, Anhänglichkeit und Freude
ait unserem Land und seinem Tharakter, seinen herr-
lichen Städten und Städtchen; den erhabenen stolzen
Bauwerken, Domen, Rathhäusern, Schlössern und
nicht weniger auch dem einfachen, schlichten Bürger-
und Bauernhause. Diese innerlichste Freude und
Andacht, die ihr Studium gewährt, ntuß doch einen
Feuereifer in uns entflammen, auch etwas zu schaffen,
was anklingt an ihr Wesen und ihre Schönheit. —
Natürlich im heutigen Sinne, in modernster
Weise, ganz und gar dem heutigen Zeit-
bedürfniß Rechnung tragend — ja — voran-

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