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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Schwindrazheim, Oskar: Sind die "alten Meister" abgesetzt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0108

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Sind die alten Meister abgesetzt?

Einmal treffen wir auf eine vortreffliche Wahl
des Materials für diesen oder jenen Zweck, ein
andermal wüßten wir uns besseres Material dafür.
Einmal ist die Technik vortrefflich, ein andermal hat

\2<). Rupfergesäße; entworfen von Lserm. Kellner, ausgeführt
von I. !v in hart; V« der wirkl. Größe.

(Gesetzlich geschützt.)

unsere Zeit sie völlig überflügelt. Einmal könnte
die Aonstruktion garnicht schlagender das erfüllen,
was sie erfüllt, ein andermal erscheint sie unserem
Geschmack erkünstelt. Einmal empfinden wir, dieses
und jenes Verzierungsmotiv trifft den Nagel auf
den Aopf, ein andermal macht's einen bizarren oder-
unzutreffenden Eindruck auf uns. Einmal empfinden
wir einen Gedanken als durchaus national, ein
andermal begegnen wir einer uns ganz unnöthig er-
scheinenden Entlehnung aus fremden Gedanken. Ein-
mal freuen wir uns über ein lustig verwandtes
Naturmotiv, ein andermal wüßten wir für diesen
oder jenen Zweck ein weit besseres Naturmotiv statt
des dort angewandten traditionellen u. s. s. N)ir er-
kennen inr Für und Wider unseres Urtheils unser
eigentliches Ich, — aber das nicht allein, unser selbst
wird auch befruchtet durch solche Vergleiche.

Wir werden angeregt zu allerlei Gedanken, aus
die wir vou selbst vielleicht garnicht gekommen wären.
Wir werden angeregt, eine alte Technik auf ein neues
Material anzuwenden, oder umgekehrt auf ein altes
Material eine neue Technik zu übertragen. Wir
werden darauf gebracht, die Unbeholfenheit einer
Technik zu umgehen oder ein andermal geradezu aus
ihr Nutzen zu suchen. Wir lernen unter verschiedenen
Lösungsmöglichkeiten einer Aufgabe die herausfinden,
die die deutscheste ist. Wir kommen zu der Erkenntniß,
wie weit die Verwendung der getreuen Naturform
wünschenswerth ist, und wo die Naturform vou uns
in souveräner Freiheit geändert werden kann, ja
werden muß, soll das Aunstwerk seinen Zweck er-
füllen. Wir lernen erkennen, daß Verzierungslust
und Verzierungswuth zweierlei sind u. s. s.

Die letztgewählten Beispiele zeigen schon, daß
zum Erkennen und Befruchtetwerden unseres Ich
noch ein Drittes sich gesellt, was die Reibung unseres
Ich mit dem unserer alten Meister init sich bringt:
die Zügelung unseres Selbst!

Erkenntniß, Förderung und Zügelung unseres
Selbst — sind das nicht drei köstliche Früchte eines
solchen selbstständigen Studiums unserer alten Meister?

Nicht unterdrückt wird unser Selbst, gestählt wird
es! Nicht Nachplapperer der alten Meister werden
wir, selbstständig sprechen lernen wir, aber in Folge
der wohlthätigen Zügelung und Läuterung unseres
Selbst wird's ein Gesundes, Vernünftiges, was wir
sprechen — denn damit wäre nichts gewonnen, daß
wir etwa zwar absolut anders als die Alten sprächen,
daß aber das, was wir sprächen, überhaupt un-
sinnig wäre!

Ganz besonders aber bewahrt uns unsere an
unseren „alten Meistern" gestählte Selbstständigkeit
noch vor einer Gefahr, die heute für unser Aunst-
gewerbe vorhanden ist, vor der Gefahr nämlich, an
die Stelle des Götzendienstes im Tempel der „alten
Meister" den noch viel unwürdigeren, undeutscheren
im Teinpel der Ausländerei zu setzen!

Aufrechten Ganges, klaren Auges und reinen
kjerzens, treu unserem Volke, treu unserer Zeit, nruß
unser Aunstgewerbe an die Lösung der Aufgaben
gehen, die die neue Entwickelungsphase der deutschen
Aunst ihm stellt.

hoffen wir, daß es sie so gut und so deutsch
löst, wie unsere „alten Meister" sie ihrerzeit lösten!

^30. Kupferner Flaschenkühler; entworfen von kserm. Kellner,
ansgeführt von I. Winhart. '/t der wirkl. Größe.

(Gesetzlich geschützt.)

Es ist auf gutem Wege dazu, wenn es erkennt, daß
nicht in der Lehre von den „alten Meistern", sondern
in seiner bisherigen Auffassung dieser Lehre das
Gruitdübel lag, daß uns die „alten Meister" nicht
Idole, sondern Ideale sein sollen!

Hamburg fitst?.
 
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