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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Schumacher, F.: John Ruskin. Der Apostel der modernen engl. Kunstbewegung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0136

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John Ruskin.

sein Ausbau in die dstaillirtesten praktischen Vorschläge
herein, und die wahrhaft heldenhafte Konsequenz, init
welcher der Prediger, wo immer er konnte, in prak-
tischen Unternehmungen sein Wort in die That um-
zusetzen versuchte.

Sein Vater hinterließ ihm ein sehr bedeutendes
Vermögen, und so war er im Stande, kostspielige
Experimente zu machen und seinen eigenen Weg trotz
des Kopfschüttelns der Wenge zu gehen. Die strenge
und liebevolle Erziehung, die er von hochbegabten
Eltern in steter Fühlung mit der Natur genoß und
die frühzeitige Ausdehnung dieses Naturgefühls durch
große Reisen auf dein Kontinent gaben seinem Geiste
das entscheidende Gepräge. Zuerst äußerte sich das
ungewöhnliche Verständniß für die umgebende Welt,
das durch die eifrigsten Hebungen mit Stift, Pinsel
und Radirnadel vertieft wurde, vorwiegend aus rein
künstlerischem Gebiete. Zn seinen »Modem painters«
P8H3—s860) gab Ruskin eine Anleitung zur Natur-
betrachtung und zeigte eine Fähigkeit, das feinste Weben
einer Landschaftstimmung zu analysiren, wie sie wohl
selten wieder erreicht ist; indem er diese Beobachtungen
zu Grundsätzen für die Walkunst ausbaute, wurde
er vor allem zum Apostel seines genialen Landsmannes,
des Landschafters Turner. — Zmmer von diesem
begeisterten Naturgefühl geleitet, legte er in den Werken
»Stone3 ofVenice« (^85\ — ^85^) und »Seven Lamps
of Architecture« seinen ästhetischen Waßstab an das
Gebiet der Architektur und der eng mit ihr verbun-
denen angewandten Künste. Der Widerstreit aber,
der sich hier zwischen seinen idealen Forderungen und
dem Schaffen seiner Zeitgenossen ergab, führte ihn
dazu, dem letzten Grund der unerfreulichen künstleri-
schen Erscheinungen nachzuspüren, und das brachte
ihn auf das Gebiet der sozialen Fragen.

„Wenn das (Huellwaster des Volkslebens getrübt
und sein Lauf unlauter wird, so erlangt man keine
hellschimmernden Wasserstrahlen vermittelst mathe-
matischer Abhandlungen über ihre Formation" —
das war der Gedanke, von dem er ausging, und
hinfort sucht er seine künstlerischen Zdeale dadurch
zu erreichen, daß er von der nationalökonomischen
Seite eine Reform einzuleiten strebt.

Zn der Erkenntniß dieses engen Zusammen-
hangs zwischen der Art und nicht dem Grad der
wirthschaftlichen Entwicklung mit der pöhe der künst-
lerischen Errungenschaften liegt wohl die hauptsäch-
lichste Bedeutung von Ruskin's Wirken.

Zhr entspringen zahlreiche nationalökonomische
Schriften, von denen »Auto tbis last« (\860) und
»Fors clavigera« (Ich-ch—8^), acht Bände an die
Arbeiter Englands gerichteter Briefe, wohl die be-
deutendsten sind; ihr entspringen jene praktischen Ver-

suche, denen er sein Vermögen widmete, und die in
der Form von kunstgewerblichen Arbeiterschulen, an
denen er selbst unterrichtete, oder in Arbeiterkolonien,
die er auf eigenem Boden nach seinen Prinzipien
schaffen und wirken ließ, einen ebenso weiten Einstuß
ausübten, wie die glänzenden Reden, zu denen sich
das gebildete England in seinen pörsaal zu Oxford
drängte, und jene Wanderpredigten, mit denen
er unermüdlich seine schwere Mission auszubreiten
suchte.

Der Grundgedanke, von dem er hier ausgeht,
entspringt wiederum seinem engen Verhältniß zur
Natur, die Zustände, die sich aus ihr ergeben, werden
ausgespielt gegen das raffinirte theoretische und prak-
tische System, das die moderne Entwicklung auf allen
sozialen Gebieten großzieht.

Wir hören heute so oft mit einer gewissen Ver-
wunderung konstatiren, daß unser Zahrhundert in
allen technischen Seiten solch' gewaltige Entwicklung
aufzuweisen hat und dabei auf kunstgewerblichem
Gebiet ein völliges Stagniren zeigt; Ruskin ver-
wunderte sich nicht darüber, sondern er sieht in dieser
verblüffenden technischen Entwicklung eben den Grund
zum Ruin des edlen Gewerbes.

Zn diesem Sinne bekämpft er in erster Linie
das Prinzip der Arbeitsteilung, das unserem heutigen
gewerblichen Schaffen den Stempel aufdrückt. Die
systematische Trennung von Geistes- und Landarbeit
erscheint ihm als ein schwerer wirthschaftlicherZrrthum,
nicht nur, daß sie in ihrer Konsequenz zum tiefen sozialen
Gegensatz zwischen dem krankhaften Denker, der sich
als „Gentleman" fühlt, und dem elenden Arbeiter, der
sich unterjocht glaubt, führt, nein, vor allem leidet
die gesunde Entwicklung der Arbeit selbst darunter:
das Erfinden geräth aus abstrakten Boden, der Aus-
führung fehlt die Liebe, und wir warten vergebens
auf Werke, die sich messen können mit den kunst-
gewerblichen Leistungen jener Epochen, wo Geist
und pand liebevoll mit einander arbeiteten.

Ruskin erkennt wohl, daß es Gebiete giebt, wo
die Forderung dieses Zusammenarbeitens nicht un-
bedingt erfüllt werden kann, da aber wendet er sich
gegen die noch weit schlimmere Arbeitsteilung, die
nun auch noch die Ausführungsarbeit zerlegt in ihre
kleinsten technischen Etappen und den Menschen
vollends zur Waschine herabdrückt. „Richtig ge-
sprochen ist es nicht die Arbeit, die man teilt, sondern
die Wenschen", man „erstickt die Seele" und darf
sich nicht wundern, wenn der Stempel des Seelen-
losen so die Fabrikmarke der modernen Produkte
wird. — Mit einem Worte, in der Rückführung des
gewerblichen Schaffens auf den alten einfachen Boden
des Handwerks erblickt Ruskin die erste Vorbedingung
 
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