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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 47.1897-1898

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Gmelin, Leopold: Das Kunsthandwerk im Münchener Glaspalast, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7002#0402

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Das Aunsthandwcrk im Zluiitdjeticr Glaspalast.

bei wilden Völkern oder in entlegenen Bauernhöfen
(als Hausfleiß) zu finden ist — in fänden der-
selben Leute, welche sich auch an den fertigen Erzeug-
nissen erfreuen wollten. Das Schmuckbedürfniß ist
eines der ursprünglichsten Bedürfnisse des Menschen
— älter als das Verlangen, den Leib gegen die
Unbilden der Witterung zu schützen; innerhalb des
Familienverbandes erblickten die ersten künstlerischen
Versuche das Licht der Welt, und so lange diese wie
überhaupt alle im Familienverbande hervorgebrachten

556. Buffet. Für die „vereinigten Werkstätten" entworfen von
B. P ankok, ansgesührt von (D. Fritzsche.

Güter auch innerhalb desselben gebraucht wurden,
demnach also ein Güterverkehr zwischen verschiedenen
Familien ausgeschlossen blieb, so lange war das
Dasein der Aunst nicht von Marktpreisen oder von
zahlungsfähigen Liebhabern abhängig. Dieser Zu-
stand mußte sich ändert! von dem Augenblick an, da
das Bedürfniß nach Austausch der Erzeugnisse auf-
trat; und diese Aenderung ist seit Jahrtausenden
fortgeschritten, wie sie noch heute beständig fortschreitet.
Ze mehr sich die Aunst vervollkommnete, je mehr sie
in Folge dessen ihre Erzeugnisse zu Markte zu tragen
sich genöthigt sah, umsomehr war sie aus das Vor-
handensein günstiger wirthschastlicher Verhältnisse an-
gewiesen. Die Geldinittel, die der Aunst zufallen, be-

stehen inimer nur aus einem Theil des nach Befrie-
digung des Lebensunterhalts übrig gebliebenen Restes
an wirthschastlicher Araft; von der Höhe dieses Restes
hängt die der Aunst und dem Aunsthandwerke zu-
fallende Geldsumme ab.

Zst dieser Rest ein sehr beträchtlicher, dann
freilich kommt wenig darauf an, wie hoch der Preis
eines Gegenstandes ist; dein Liebhaber dient dann
einzig und allein seine Werthschätzung für den Gegen-
stand als Gradmesser für seine Gpserwilligkeit. Der
Preis spielt da oft eine sehr unbedeutende Rolle; die
Freude an einem schönen Werk der Aleinkunst wird
dadurch nicht getrübt, hingegen durch das Bewußtsein
gesteigert, daß die Gemeinde derer, die den gleichen
Gegenstand besitzen, nur eine kleine ist. Solche Leute
lassen die schönsten Maschinengewebe links liegen und
laufen den in priinitiver Technik hcrgestellten, aber
nicht für Zeden erschwinglichen Webereien Scherebeck's
nach. Die unleugbar schöne Wirkung dieser Arbeiten
ist es nicht allein, was diesen die Gunst der oberen
Zehntausend verschafft hat, sondern ihre relative
Seltenheit. Würden diese Aissen und Wandbehänge
eines Tages von einer Fabrik genau in gleicher
Beschaffenheit im Großen (also auch billiger) her-
gestellt werden — was ein gutes Geschick verhüten
möge —, so wäre die Vorliebe dafür bei den jetzigen
Aäufern mit einem Schlage dahin. Es sind also
mehr allgemein psychologische, auf der sozialen oder
materiellen Vorzugsstellung fußende, als speziell künst-
lerische Gründe, welche diesen und anderen kunst-
gewerblichen Dingen zur Zeit den Vorrang erobert
haben.

Nun liegt es in der Natur der Sache, daß jede
weitere Ausbildung und Vervollkomtnnung der
Technik unabweisbar dahin führt, Dinge, die man
bis dahin nur stückweise und nrühsam durch der
Hände Arbeit fertigen mußte, ebenso gut, aber in
größerer Zahl und mit verhältnißmäßig geringem
Arbeitsaufwand, also auch billiger herzustellen; sonst
könnte ja nicht von einem Fortschritt die Rede sein!
Sobald nun solch' ein Schaffensgebiet durch Erleich-
terung und Verbilligung der Produktion zum Geinein-
gut der Menge zu werden anfängt, regt sich bei den
sozial und materiell über der Menge Stehenden das
Verlangen, von jenem Schaffensgebiete sich einen
Theil als künstlerische Domäne vorzubehalten und
diese in einer Weise zur Entwicklung zu treiben,
daß ihre Erzeugnisse zu kostbar werden, um der
Menge erreichbar zu bleiben. Durch die Verein-
fachung und Verbilligung der Bearbeitungsinethoden
werden überdies Aräfte und Mittel frei für solche
Spezialitäten. Tiffany's und Galle's Gläser können
als Beispiele hierfür angeführt werden; ohne den
 
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