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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 62.1911-1912

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Lory, Karl: Ein halbes Jahrhundert Kunst und Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.6844#0061

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Lin halbes Jahrhundert Kunst und Handwerk.

80 u. s;. Fenstervorhana; Entwurf und Ausführung von
Llfa Iaskolla und ihren Schülerinnen Bierhals,
L. v. Lhebeck, !N. Fey, B. Graser, A lseid, (S.
Kleemann, A. Lutz, K!. Zapf. (Details in Abb. 82 u. 83.)
Grobes Bauernleinen und Leinengarn; Filet, Leinendurchbruch,
Flachstickerei, Knüxftechnik. (Vzo d. wirkl. Größe,)

berg, und stärker vielleicht noch als in den anderen
seines Areifes war in ihm ein Gefühl entwickelt, das
seine Arbeit und seine Pläne von vornherein um den
Erfolg betrügen mußte: Der ksaß gegen die
moderne Zivilisation.

Wenn wir heute zurückblicken und uns fragen,
was denn eigentlich vor allem die Erzeugnisse des
neuen deutschen Stiles und Geschmackes sogefällig
erscheinen läßt, daß auch Widerstrebende, Eifersüchtler
und Böswillige um mehr oder weniger Anerkennung
nicht herumkommen, so müssen wir gestehen: hier
ist eine Formensprache gefunden, die den Bedürfnissen
unserer Zeit so sehr entgegenkommt, daß sie förmlich
aus diesen Bedürfnissen herausgewachfen zu fein
scheint. Das eine fühlt jeder: nicht der k)aß gegen
die moderne Zivilisation hat sie geschaffen, sondern
ein fast liebevolles Verstehen derselben, das Bestreben

mit anderen Worten, die moderne Zivilisation weiter-
zuführen zu moderner Aultur. Alan könnte darüber
sich des längeren äußern. Aber an einigen Beispielen
nur soll hier der innige Zusammenhang zwischen
dem neudeutschen Stil und den Bedürfnissen der
Gegenwart erwiesen werden. Wenn das gute Neue
übermäßiges, zweckloses Ornamentieren, wie es so
gern die Gebrauchsfähigkeit stört, verwirft, fo entspricht
das nur dem Bedürfnis einer zeitarmen und darum
zeitsparenden Periode, und wenn wir heute gegen
alle überflüssigen Schnörkel und Rinnen, Hohlkehlen
und Zierftäbe ein starkes Mißtrauen empfinden, so
wirkt unterbewußt vielleicht nicht zuletzt die Abneigung
mit, die unser hygienisch-denkendes, bazillenfurcht-
krankes Zeitalter gegen derlei Staubsammler mit er-
schwerten Reinigungsmöglichkeiten hat. Aein Wunder,
daß der „neue Stil" bei Einrichtung von Aontoren
und — Arankenhäufern rückhaltlos Aufnahme und
Anwendung gefunden hat. Es ist selbstverständlich,
daß eine Periode, die so völlig alle bisherigen Lebens-
verhältnisse umgestaltete, wie dies in der Gegenwart
der Fall ist, auch völlig neue Ausdrucksformen braucht;
mit der Wiederaufnahme historischer Zierformen ist
ihr nicht gedient. Aber nur dort kann das Neue
sich gestalten, wo man seine notgedrungene Voraus-
setzung als etwas geschichtlich, mit Notwendigkeit
Gewordenes anerkennt. Die Leute um Morris konnten
sich mit der Wirklichkeit nicht abflnden; er selber
(und so mancher von seinen Freunden) war sozial-
politischer Utopist und glaubte felsenfest an das Un-
möglichste, was es gibt: an ein Zurückschrauben der
rastlos vorwärts schreitenden Zeit. Wir in Deutschland,
speziell in Süddeutschland, in München, wir erst be-
saßen eigentlich jene Araft der Lebensbejahung, die
uns die Gegenwart hinnehmen läßt nicht etwa nur
als ein notwendiges Übel, sondern, wenn auch lange
nicht als Zdealzustand, so doch immerhin als eine
ganz brauchbare Grundlage um ein neues, schöneres,
behaglicheres Dasein darauf zu errichten. Der Wirk-
lichkeitssinn überwog hier, jener Wirklichkeitssinn,
der die wesentlichste Grundlage unserer gesamten
modernen Aultur ist, allerdings kam vielleicht noch
eines hinzu: Die ausgesprochene künstlerische Ver-
anlagung, wie sie ja dem süddeutschen Wesen vor
allem eigen ist. Zene Engländer waren alle neben
ihrer Aünstlerschaft noch Dichter, Philosophen, und
wer weiß, was sonst noch alles. Bei uns hieß es:
Bilde, Aünstler, rede nicht!

Noch mehr: Bilde, Aünstler, grüble, spintisiere
nicht! Denn haben jene Engländer zuviel „geredet",
so haben andere nach ihnen zuviel gegrübelt. Man
weiß ja, wie die von Morris und seinen Gefährten
vor einem halben Jahrhundert begonnene Bewegung
 
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