Die Kunst-Halle — 3.1897/1898
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https://doi.org/10.11588/diglit.63304#0281
DOI issue:
No. 16
DOI article:Winterberg, Konstantin: Modernes Kunstleben in Rom
DOI article:Galland, Georg: Die neue Börse in Amsterdam
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Nr. s6
Die Aun st-Halle
2^3
»Tito L3.ng.ve8e« die beabsichtigte Stimmung vielleicht
am prägnantesten wiedergeben. Der Beschauer
blickt in einen Ausschnitt des umbrischen Hügellandes.
Der Augenpunkt liegt hoch genug, um deu wellen-
förmigen Zug der Linien ungehindert durch die
immergrüne Fülle von Gel- und Lichenwaldungen
zur Rechten bis weit in die Ferne zu verfolgen,
während links von der Bildaxe die im Vordergründe
sich erhebende gelbbraune Felswand eines mit Baum-
wuchs überdeckten Abhangs die Aussicht verschließt.
— Ls ist Sonntagsfrühe. Die Natur hat ihren
schönsten Frühlingsschmuck angelegt. Zn sammet-
artigen Reflexen schillert das Grün der Bäume, hell
erglänzt das Blau des Himmelsdoms, in welches
sich in duftiger Ferne der den Horizont begrenzende
Gebirgssaum verliert. Tiefe Stille, nirgends ein
Mißklang, der den Gottesfrieden der Natur entweiht.
Das Gebiet der unbewußten Stimmungen, wie
sie die Betrachtung der Natur erweckt und die Land-
schaft sie danach zu reproduziren sucht, bildet die
Grenze gegen die redenden und insbesondere die
musischen Künste. Die Natur verkündigt sich dem
Auge in Harmonieen der Farbentöne, die der Be-
schauer unbewußt in Melodieen für den geistigen
Gehörssinn überträgt. Mit Unrecht nimmt man an,
daß die Skala dieser unbestimmten Stimmungen viel
zu zart, zu duftig sei, um durch Worte oder Töne
sich besser als durch Gemälde ausdrücken zu lassen.
Denn auch die Rüttel des Malers sind beschränkt,
viel gröber und geringer als die der großen schaffenden
Natur, die der Künstler mit denselben zu reproduziren
versucht. Während im Gebiete des rein Mensch-
lichen der Meister uns in eine ideale Welt entführt,
erhaben über das triviale Alltagsleben, so wird da,
wo er mit der schaffenden Natur selber zu konkurriren
versucht, eine im Bilde geschaffene Welt ihr gegen-
über stets eine unvollkommene bleiben, deren
Hoesie er wohl anzudeuten oder als Reminisoenz in der
Seele des Beschauers erklingen zu lassen, in ihrer
ganzen unendlichen Sinne berauschenden Fülle aber
niemals wiederzugeben im Stande ist. womit indessen
der Unterschied nicht verkannt werden soll, der zwischen
einer von einem großen Meister, Rembrandt, Rubens,
Ruysdael, ausgeführten Landschaft besteht und ewig
bestehen wird, gegenüber einer von der Ueberpro-
duktion moderner Dilettanten herrührenden, die im
Beschauer höchstens Neminiscenzen oberflächlich an-
zuregen, durch sich allein jedoch die Seele nicht zu
fesseln vermag.
Rom. I)r. Winterberg.
Vie neue vörse in Umsteraam.
lM^n Hollands altehrwürdiger Hauptstadt hat, seit
einem Menschenalter etwa, noch jedes der neu-
errichteten öffentlichen Gebäude dieAufmerksam-
' keit der Kunstkreise in so intensiver weise be-
schäftigt, daß wohl der Fernstehende, der die Verhältnisse
dort nicht genügend kennt, mit gewissem Neide auf dieses
lebhaft interessirte Kunstpublikum Amsterdams blickt.
Wer aber, wie der Schreiber dieser Zeilen, wieder-
holt Gelegenheit hatte, das Treiben der Amsterdamer
Kunstkreise aus der Nähe zu beobachten, der wird
angesichts der Fülle auf so kleinem Raume zusammen-
gedrängter, heterogener Bestrebungen im Dienste
theils echtester Kunstliebe, theils schnöder Sonder-
interessen ein Gefühl des Unbehagens nicht unter-
drücken können. Von dem schönen Recht des freien
Wortes, das nirgends sich ungezügelter entfalten
darf, machen die bei den künstlerischen Unter-
nehmungen irgendwie betheiligten Herren den er-
giebigsten Gebrauch, und ich entsinne mich noch der
heftigen Angriffe, die vor Zähren in einem Büchlein
gegen den hochverehrten Tuypers, den Architekten
des Nyksmuseums, geschleudert wurden und zugleich
der Thatsache, daß dieses Büchlein damals unbean-
standet sogar im Museum an der amtlichen Verkaufs-
stelle feilgeboten werden durfte, sodaß ich da un-
willkürlich an jenen geflügelten Ausspruch eines
Königs erinnert wurde, der ein gegen sich gerichtetes
Hamphlet niedriger hängen ließ, damit es Zedermann
bequem lesen konnte.
wie damals, so hatten sich auch die durch
wiederholte ergebnislose Konkurrenzen aufgeregten
Architektenkreise Amsterdams in jüngster Zeit lebhaft
für und wider den Börsenbau-Lntwurf des
Herrn H. H. Berlage ausgesprochen. Um diesen
bescheidenen, als ausübenden Baumeister wie als
Lehrer bewährten Architekten gruppirten sich zunächst
zahlreiche persönliche und künstlerische Freunde, die
das Projekt Berlages als eine, im Grundriß wie in
der konsequent durchgebildeten architektonischen
Gestaltung, werthvolle Lösung dieser überaus
schwierigen Aufgabe ansahen. Gegen ihn erhoben
persönliche und künstlerische Widersacher aus zum
Theil ähnlichen Gründen wie einst beim Bau des
Ryksmuseums mancherlei Linwände. Man ärgerte
sich, daß der nicht als Sieger bei den vorauf-
gegangenen Wettbewerben hervorgegangene junge
Meister dennoch zur lohnenden Lhre der Bauaus-
führung städtischerseits berufen wurde. Man ver-
mißte in den künstlerischen Ausdrucksformen dieser
imposanten Bauanlage den Stempel der Monumen-
talität wie ihn z. B. die berühmten Börsenbauten
heutiger Weltstädte besitzen, wie inan früher an
Tuypers Museumsschöpfung tadelte, daß sie nicht
oder zu wenig dem Stil der letzten Blüthezeit der
niederländischen Kunst entspreche, vielmehr einen
vorwiegend mittelalterlichen Baucharakter be-
sitze, so sah auch hier das moderne Auge mit einiger
Befremdung eine Fülle mittelalterlicher Reminiszenzen
an den vier Fassaden und den Arkaden des großen
Börsensaales. Dieser holländische Handelspalast hat
in der That nichts mit dem Typus jener Anlagen
gemein, die nur wie freie Kopien antiker Tempel-
bauten wirken. Aber daraus ist dem Architekten
ganz gewiß kein Vorwurf zu machen. Zm Gegen-
Die Aun st-Halle
2^3
»Tito L3.ng.ve8e« die beabsichtigte Stimmung vielleicht
am prägnantesten wiedergeben. Der Beschauer
blickt in einen Ausschnitt des umbrischen Hügellandes.
Der Augenpunkt liegt hoch genug, um deu wellen-
förmigen Zug der Linien ungehindert durch die
immergrüne Fülle von Gel- und Lichenwaldungen
zur Rechten bis weit in die Ferne zu verfolgen,
während links von der Bildaxe die im Vordergründe
sich erhebende gelbbraune Felswand eines mit Baum-
wuchs überdeckten Abhangs die Aussicht verschließt.
— Ls ist Sonntagsfrühe. Die Natur hat ihren
schönsten Frühlingsschmuck angelegt. Zn sammet-
artigen Reflexen schillert das Grün der Bäume, hell
erglänzt das Blau des Himmelsdoms, in welches
sich in duftiger Ferne der den Horizont begrenzende
Gebirgssaum verliert. Tiefe Stille, nirgends ein
Mißklang, der den Gottesfrieden der Natur entweiht.
Das Gebiet der unbewußten Stimmungen, wie
sie die Betrachtung der Natur erweckt und die Land-
schaft sie danach zu reproduziren sucht, bildet die
Grenze gegen die redenden und insbesondere die
musischen Künste. Die Natur verkündigt sich dem
Auge in Harmonieen der Farbentöne, die der Be-
schauer unbewußt in Melodieen für den geistigen
Gehörssinn überträgt. Mit Unrecht nimmt man an,
daß die Skala dieser unbestimmten Stimmungen viel
zu zart, zu duftig sei, um durch Worte oder Töne
sich besser als durch Gemälde ausdrücken zu lassen.
Denn auch die Rüttel des Malers sind beschränkt,
viel gröber und geringer als die der großen schaffenden
Natur, die der Künstler mit denselben zu reproduziren
versucht. Während im Gebiete des rein Mensch-
lichen der Meister uns in eine ideale Welt entführt,
erhaben über das triviale Alltagsleben, so wird da,
wo er mit der schaffenden Natur selber zu konkurriren
versucht, eine im Bilde geschaffene Welt ihr gegen-
über stets eine unvollkommene bleiben, deren
Hoesie er wohl anzudeuten oder als Reminisoenz in der
Seele des Beschauers erklingen zu lassen, in ihrer
ganzen unendlichen Sinne berauschenden Fülle aber
niemals wiederzugeben im Stande ist. womit indessen
der Unterschied nicht verkannt werden soll, der zwischen
einer von einem großen Meister, Rembrandt, Rubens,
Ruysdael, ausgeführten Landschaft besteht und ewig
bestehen wird, gegenüber einer von der Ueberpro-
duktion moderner Dilettanten herrührenden, die im
Beschauer höchstens Neminiscenzen oberflächlich an-
zuregen, durch sich allein jedoch die Seele nicht zu
fesseln vermag.
Rom. I)r. Winterberg.
Vie neue vörse in Umsteraam.
lM^n Hollands altehrwürdiger Hauptstadt hat, seit
einem Menschenalter etwa, noch jedes der neu-
errichteten öffentlichen Gebäude dieAufmerksam-
' keit der Kunstkreise in so intensiver weise be-
schäftigt, daß wohl der Fernstehende, der die Verhältnisse
dort nicht genügend kennt, mit gewissem Neide auf dieses
lebhaft interessirte Kunstpublikum Amsterdams blickt.
Wer aber, wie der Schreiber dieser Zeilen, wieder-
holt Gelegenheit hatte, das Treiben der Amsterdamer
Kunstkreise aus der Nähe zu beobachten, der wird
angesichts der Fülle auf so kleinem Raume zusammen-
gedrängter, heterogener Bestrebungen im Dienste
theils echtester Kunstliebe, theils schnöder Sonder-
interessen ein Gefühl des Unbehagens nicht unter-
drücken können. Von dem schönen Recht des freien
Wortes, das nirgends sich ungezügelter entfalten
darf, machen die bei den künstlerischen Unter-
nehmungen irgendwie betheiligten Herren den er-
giebigsten Gebrauch, und ich entsinne mich noch der
heftigen Angriffe, die vor Zähren in einem Büchlein
gegen den hochverehrten Tuypers, den Architekten
des Nyksmuseums, geschleudert wurden und zugleich
der Thatsache, daß dieses Büchlein damals unbean-
standet sogar im Museum an der amtlichen Verkaufs-
stelle feilgeboten werden durfte, sodaß ich da un-
willkürlich an jenen geflügelten Ausspruch eines
Königs erinnert wurde, der ein gegen sich gerichtetes
Hamphlet niedriger hängen ließ, damit es Zedermann
bequem lesen konnte.
wie damals, so hatten sich auch die durch
wiederholte ergebnislose Konkurrenzen aufgeregten
Architektenkreise Amsterdams in jüngster Zeit lebhaft
für und wider den Börsenbau-Lntwurf des
Herrn H. H. Berlage ausgesprochen. Um diesen
bescheidenen, als ausübenden Baumeister wie als
Lehrer bewährten Architekten gruppirten sich zunächst
zahlreiche persönliche und künstlerische Freunde, die
das Projekt Berlages als eine, im Grundriß wie in
der konsequent durchgebildeten architektonischen
Gestaltung, werthvolle Lösung dieser überaus
schwierigen Aufgabe ansahen. Gegen ihn erhoben
persönliche und künstlerische Widersacher aus zum
Theil ähnlichen Gründen wie einst beim Bau des
Ryksmuseums mancherlei Linwände. Man ärgerte
sich, daß der nicht als Sieger bei den vorauf-
gegangenen Wettbewerben hervorgegangene junge
Meister dennoch zur lohnenden Lhre der Bauaus-
führung städtischerseits berufen wurde. Man ver-
mißte in den künstlerischen Ausdrucksformen dieser
imposanten Bauanlage den Stempel der Monumen-
talität wie ihn z. B. die berühmten Börsenbauten
heutiger Weltstädte besitzen, wie inan früher an
Tuypers Museumsschöpfung tadelte, daß sie nicht
oder zu wenig dem Stil der letzten Blüthezeit der
niederländischen Kunst entspreche, vielmehr einen
vorwiegend mittelalterlichen Baucharakter be-
sitze, so sah auch hier das moderne Auge mit einiger
Befremdung eine Fülle mittelalterlicher Reminiszenzen
an den vier Fassaden und den Arkaden des großen
Börsensaales. Dieser holländische Handelspalast hat
in der That nichts mit dem Typus jener Anlagen
gemein, die nur wie freie Kopien antiker Tempel-
bauten wirken. Aber daraus ist dem Architekten
ganz gewiß kein Vorwurf zu machen. Zm Gegen-