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Die Kunst-Halle — 3.1897/​1898

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Nr. 18
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Fortunatus: Wien: ein monumentales Rundgemälde
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https://doi.org/10.11588/diglit.63304#0322

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280

Die Aun st-Halle

Nr. s8

Wien:
kin
monumentales ftunagemäläe.

/FI^^^^ien ist seit Kurzem um eine Sehenswürdigkeit
erlesenster Art reicher, um ein Schauobjekt,
das künstlerisch wie historisch gleich interessant
und werthvoll, ebenso gediegen in der Aus-
führung als eigenartig im Wesen ist. Mitten im Ge-

schwirrs und Gewirre des sogenannten Wurstelpraters,
der mit seinen Riesenweiblein und kleinsten Zwergen
der Welt, seinen Wassernixen mit umgehängtem Fisch-
schweis, seinen Tauchern, seinen Rutschbahnen und Ringel-
spielen und den, einander mit Witz und Grgan bekriegenden
Ausrufern all' dieser privilegirten Vergnügungsanftalten
für die, derb mit den Sinnen genießende Masse begreif-
licherweise selbst Goethe's Mephistopheles als die Verkör-

perung der Volksluftigkeit erscheint, mitten in diesem lär-
mendsten und fröhlichsten Theile der einzig schönen prater-
insel erhebt sich jetzt ein freundlich-heller Rundbau mit vor-
gelagerten Arkaden, halb hellenische Renaissance, halb
Festungsstyl, von dem hochbegabten, selbstschöpferischen
Gskar Marmorek zu reizvollstem Effekte vermählt. Fast
muthet das Gebäude, dem ein prächtiges Blumenbeet mit
einer mächtigen Reiterstatue des Kaisers Franz Josef I,
als Schmuckstück vorgelagert ist, wie ein Tempel der Kunst
an oder der Wissenschaft. Dieses Gefühl täuscht nicht.
Ls ist ein Tempel der Kunst und der Wissenschaft, in dem
die wiener und Alles, was die Kaiserstadt an der Donau
besucht, seit einigen Tagen das jüngste monumentale Werk
des Historienmalers Ernst Philipp Fleischer bewundert
das Kolossal-Rundgemälde „Franz Josef I. und seine
Zeit".

Fleischer ist ein Künstler, der mit Vorliebe schwierige
Motive sucht; sein „Durchstich des St. Gotthard", der in
der Berliner Nationalgallerie hängt, wird dort mit Men-
zel's „Eisenwalzwerk" kommenden Generationen das Ver
ständniß für unseren Jahrhundert-Genius mit der Maschinen-
seele eindringlich vermitteln; seine besondere Begabung
für Monumentalkunst hat er in den Panoramenbildern
„Trafalgar" (für London), „Waterloo" (für Glasgow)
„Neapel" (für Hamburg) und — last not least — in der
Berliner Hohenzollern-Gallerie bewährt. Aber all' diese
Schöpfungen mögen dem Meister unter weniger inneren
und äußeren, geistigen und physischen Schwierigkeiten ge-
lungen sein, als sein letztes Werk, an dem er durch volle
vier Jahre in Wien selbst gearbeitet hat. Die originelle
Idee rührt von dem durch manche feine Bühnenarbeit
bekannten Schriftsteller I. Schnitzer her, der auch den
Münchener Künstler sür die Ausführung gewann und
während der ganzen langen Werdezeit der eigentliche
Spiritus reclor dieses in leuchtenden Farben sprühenden
historischen Kollegiums blieb. Die Malerei, die Kunst der
Darstellung des Augenblicks, sie ist hier gezwungen, auf
einer Leinwand schier ein volles Jahrhundert zu spiegeln;
dem Nebeneinander ist da das Hintereinander verwoben,
wir blicken in die ganze Lebenszeit des Monarchen, dessen
fünfzigjährige Regierungsthätigkeit feine Völker in diesem
Jahre feiern; wir sehen die Persönlichkeiten, die ihn um-

geben haben, die für ihn und gegen ihn gearbeitet und
die Schicksale seines Reiches bereitet haben; wir sehen die er-
habenen Geister, deren Abglanz noch auf der Zeit gelegen,
in die Erzherzog Franz hineingeboren ist — Beethoven,
Schubert, Haydn — und blicken beschämt auf die Kory-
phäen von heute, die der Mehrheit nach nicht Koryphäen
von morgen sein werden. So weit sich der Inhalt einer
Zeit in den Menschen giebt, die ihn bereiten, so weit ist
Fleischer's Rundgemälde gemalte Geschichte, der mäch-
tigste Bilderbogen, der jemals dem Anschauungsunterrichte
gewidmet wurde.
was das Werk interessant und anziehend macht, die
Tausende von Porträts, die unter mannigfacher Beschwerniß
zu beschaffen und zu schaffen waren, das gerade ist für
uns hier das Unwichtige, ja, das Unkünstlerische, wo die
Körper wie die Heuschrecken aneinander kleben, da kann
der Künstler nicht mehr die Seele suchen, da übergiebt er
der Gattung auf Gnade und Ungnade das Individuum.
Verdienst genug, daß Fleischer manche Gestalt als Bild
sür sich behandelt und aus dem Gewimmel herausgehoben
hat, so die schon genannten Töne-Meister Beethoven und
Schubert, so den Erzherzog Karl, Radetzky, den unglück-
lichen Sprossen des großen Korsen ^Herzog von Reichstadt),
Metternich, Grillparzer, Nestroy, Tegetthoff, Franz
Dräk, Michael Munkäcsy u. A., wie sie wechselnd als die
Säulen der jeweiligen Epoche den Thron umragen. In
sechs Darstellungen aus dem Lebensgange des Monarchen,
also in sechs Kapiteln, erzählt sich dieses titanische Bild,
dessen Figurenfülle schier verwirrend ist. Lösend dagegen
und erlösend ist der wundersam feine Rahmen, in den diese
Armee hineingestellt ist, das Landschaftliche und Architek-
tonische an dem Gemälde, das dessen eigentlichen Kunst-
werth ausmacht. Der Blick auf das alte Wien mit seinen
milden Silhouetten, die sich an die duftigen waldkupxen
des Kahlengebirges lehnen, ist von überwältigendem Zauber.
Dieses Stück ist überhaupt von tiefster Stimmungsxoesie,
es ist die Perle des Bildes. Aber schön, zum Theile blen-
dend sind auch die anderer: Parthien: Schönbrunn, der
Prater, die Rothenthurm-Bastei, der Budapester Krönungs-
hügel mit der entzückenden Vedute von Mfen, die Ring-
straßen-Szenen u. s. w. was da neben der treu porträ-
tirten Natur zu ihrer gefälligen Umrahmung und zum
Auseinanderhalten und Verbinden der einzelnen Theile
Fleischer an idealen Architektur-Entwürfen geleistet hat,
könnte den wiener Baukünstlern manche fruchtbare An-
regung befcheeren. Lin verblüffend wahres, lufterfülltes,
von Federwölkchen durchsxieltes Firmament deckt das
herrliche Werk, dem sich in Bälde noch eine Reihe von
Dioramenbildern, ebenfalls von Fleischer's Pinsel, an-
schließen werden. Als werthvolle Mitarbeiter standen
diesem bei dem Riesenwerke zur Seite: der bekannte Mün-
chener Landschafter Leopold Schönchen, weiter für die
Porträts die Maler Ferd. Roller, A- Zimmermann
und Ferd. Andri, für die Architektur Joseph Rank und
Franz Matoufchek.
Zur Erinnerung an den Besuch des Kaisers ist eine
schöne Medaille des Kammergraveurs Jauner ausgegeben
worden, die auf der Aversseite den Monarchen im Krö-
nungsornate zeigt, die Rechte auf einen Tisch gestützt,
worauf die Insignien seiner würde liegen, während die
Reversseite in stylvollem ornamentalen Rahmen eine An-
sicht des Panorama-Gebäudes giebt, zu dessen innerem
 
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