Die Kunst-Halle — 3.1897/1898
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https://doi.org/10.11588/diglit.63304#0376
DOI Heft:
No. 21
DOI Artikel:Norden, J.: Grosse Berliner Kunstausstellung 1898, [5]
DOI Artikel:Kunstbrief aus Baden-Baden
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328
Die Run st-Halle
Nr. 2s
deutsche Kunst als besonders bezeichnend. Line lichtgrüne
Landschaft. Dünne silberne Birkenstämmchen, die Zweig-
lein kaum grün gesranzt, ragen in die weißblaue Lust.
Aus dem zartgrünen Boden, dem hier und da eine weiße,
gelbe, rothe Blume entsproßen ist, steht sinnend eine
schlanke Maid in blaßblauem Gewände im Geschmack etwa
des (Quattrocento. Ganz anders ist Fritz Mackensens
schlichte Worxsweder Bauernsamilie am Sarge des kleinen
Lieblings. Ls ist das Mittelstück des Flügelbildes, das
dem Autor im v- I. in Dresden die große goldene
Medaille eintrug, die malerische Verkörperung des Bibel-
wortes vom Herrn „der gegeben hat und es wieder
genommen hat und dessen Name gelobt sei." Die Wirkung
ist jetzt, wo die beiden Flügel sehlen, die früher den
Gesammteindruck etwas schädigten, weil sie ihn zersplitterten,
noch größer. Auch die „Dämmerung" Mackensens gehört
zum Besten. Line von einem Fluß oder Kanal durchzogene
Wiese, aus dem Wasser ein Heukahn mit großem braunen
Segel, ein Mann schreitet nebenan am User hin. Das
Gleiche gilt von Fritz Overbecks „wiese" in sommer-
licher Spätnachmittagstimmung. Wie hier die leichten
dunklen und die schwereren leuchtenden Wolken behandelt
sind und koloristisch schön zu einander stehen und zu den
Tönen der weiten Flur mit dem kleinen Wässerlein, das
zeugt von großem Können nicht nur, sondern auch von tiefem
Farbenempfinden.
Aus Dresden find u. A. Mieth und Mogk mit an-
nehmbaren Tafeln erschienen, dann Schulz mit seinem
bekannten „Gemeinderath", ein Frachtstück individualistischer
Menschencharakteristik. Unter den Weimaranern schießt
natürlich Hagen wieder den Vogel ab. Seine durch
feines Abwägen künstlerisch gezügelte Farbenfreudigkeit
bethätigt sich namentlich in der sandigen Thüringischen
Dorfstraße (33) und in der üppigen Herbstlandschaft (33).
Manchem ist aber vielleicht sein „Feldweg im Juni" in
mehr gebrochenen, grünen und grauen Tönen lieber.
Nicht erwärmen kann ich mich sür Frithjof Smiths
„Dorfkirche" mit den Armenhausleuten, Bettlern und
Kindern im Gestühl, denen Christus als leuchtender
Schatten erscheint — „selig sind die Armen." (5). Auch
eines von den religiösen Bildern dieser Ausstellung, die
uns nicht zu packen vermögen. Ls ist ja unleugbar sehr
gut gemalt, aber so konventionell auch, daß eben die
Wirkung versagt.
Die beiden Lübecker Hermann Linde ftg) und Karl
Rettich (2?) fehlen nicht und Linde zeigt sich mit seinen
„Ziegen im Walde" von einer neuen, interessanten Seite,
während der talentvolle Hannoveraner Gpxler wieder
empfindungsvolle Genreszenen in Dämmerungsstimmung
giebt. Die „Erinnerungen" (38) bereisen übrigens unsere
Ausstellungen schon seit geraumer Zeit.
Aus Hannover stammen auch zwei Bildnißarbeiten
von Auguste Bock, Proben einer souverän beherrschten
Pastell-Technik nicht nur, sondern beide Bilder auch
durch feine Charakteristik fesselnd: der reizende blonde
Backfisch in grünem Winterkostüm ((9) und die dunkel-
äugige sinnend blickende Frau Oberst v. pfuel ((?).
Zu den deutschen Künstlern kann man füglich auch den
Basler starksinnigen Landschafter Fritz voellmy (2( und
(9), ganz gewiß aber den Genfer Ferdinand Hodler
rechnen. Seine große herbe Allegorie „Nacht" (33) hat im
v. I. hier bereits ein Münchener Kollege eingehender be-
sprochen. Von Kraft und Phantasie zeugt sie sicher, aber
ihre künstlerische Reise scheint mir diese Phantasie noch
nicht erreicht zu haben. Hier heißt's „abwarten" und zu-
sehen, ob des Künstlers heutige Formensprache wirklich
einem <puell echter Inspiration entspringt oder nur von
einer gewissen Originalitätssucht ihren Ursprung herleitet.
Und nun zum Schluß noch zwei von den „Alten".
Bilder, wie sie hier vom verstorbenen August Leu, dem
brillanten Schilderer romantischer Waldlandschaft (9) und
von dem 80jährigen Professor der Königsberger Akademie
Max Schmidt, dem idyllischen Künstler der „Individualität
der Vegetation" (9 und 22) zu sehen sind, finden gewiß
noch immer viele Freunde. Und mit Recht, denn welches
Können steckt in diesen vortrefflich gezeichneten und dabei
sichtlich auch nach Stimmungsausdruck strebenden Schilder-
ungen. Nur daß ihre Mittel andere sind, als bei den
Künstlern von heute- Norden.
Wnstbmf aus SaUen-kaUen.
„Badener Salon", wie die alljährlich bei
Beginn der Saison eröffnete Kunstausstellung im
Konversationshause Baden-Badens heißt, beab-
sichtigt keine Konkurrenz mit den großen Ausstellungen,
die in langen Reihen von Sälen eine für den Besucher
ermüdende Fülle von Bildern darbieten. Die sorgfältige
Auswahl, die schon durch die räumliche Beschränkung ge-
boten ist, schließt zugleich alles Platte und Bedeutungslose
aus. Direktor Schall, dem thatkräftigen Leiter der Aus-
stellung, ist es gelungen, nicht wenige Werke direkt von
der Staffelei der Künstler hinweg zu gewinnen. Andere
hervorragende Arbeiten wurden aus Privatbesitz zur Ver-
fügung gestellt. Zu den Bildern dieser Gruppe gehört
ein außerordentlich interessanter Böcklin, „Frühling in der
römischen Campagna". Die Verbindung einer dichterisch
gestaltenden Phantasie mit eminenter Schärfe und Be-
stimmtheit in der Wiedergabe der Natur tritt hier in
einer für Böcklins Kunstschaffen sehr bezeichnenden weise
in die Erscheinung. Lenbach sandte ein geistreich be-
handeltes Damenportrait und einen Bismarck in Pastell.
F. A. v. Kaulbach ist mit einem „Maientag", voll Feinheit
und Poesie, vertreten. Stuck stellt eine Phantasielandschaft
von schwermüthiger Stimmung, ein Nachtstück, und eine
nicht minder wirkungsvolle „Flucht nach Aegypten" aus.
Von Benjamin Vautier rührt ein reizender Mädchenkopf
her. Ferner enthält die Ausstellung zwei Werke von
Hans Thoma: das „Lorbeerthälchen" und „Der Vesuv von
Capri aus gesehen" mit der Landstraße im Vordergründe,
auf der ein Bauer seinen Esel vor sich her treibt. Koppay
zeigt uns ein portrait der Kaiserin von Rußland, welchem
wir vor dem im vorigem Jahre ausgestellten den Vorzug
geben, weil es weicher in der Modellirung des Kopfes ist.
An der Spitze der Karlsruher Künstlerschaft marschiren
Schönleber, Kallmorgen und dessen Gattin, Hans v. Volk-
mann u. a. mit erstklassigen Werken. Sehr gut haben
auch Graf Kalckreuth, weishauxt und seine Gattin, Hell-
wag, Sophie Ley und Helene Stromeyer ausgestellt.
Der internationale Charakter der Ausstellung ist vor-
züglich gewahrt, von den Gesterreichern ist Anton Müller
Die Run st-Halle
Nr. 2s
deutsche Kunst als besonders bezeichnend. Line lichtgrüne
Landschaft. Dünne silberne Birkenstämmchen, die Zweig-
lein kaum grün gesranzt, ragen in die weißblaue Lust.
Aus dem zartgrünen Boden, dem hier und da eine weiße,
gelbe, rothe Blume entsproßen ist, steht sinnend eine
schlanke Maid in blaßblauem Gewände im Geschmack etwa
des (Quattrocento. Ganz anders ist Fritz Mackensens
schlichte Worxsweder Bauernsamilie am Sarge des kleinen
Lieblings. Ls ist das Mittelstück des Flügelbildes, das
dem Autor im v- I. in Dresden die große goldene
Medaille eintrug, die malerische Verkörperung des Bibel-
wortes vom Herrn „der gegeben hat und es wieder
genommen hat und dessen Name gelobt sei." Die Wirkung
ist jetzt, wo die beiden Flügel sehlen, die früher den
Gesammteindruck etwas schädigten, weil sie ihn zersplitterten,
noch größer. Auch die „Dämmerung" Mackensens gehört
zum Besten. Line von einem Fluß oder Kanal durchzogene
Wiese, aus dem Wasser ein Heukahn mit großem braunen
Segel, ein Mann schreitet nebenan am User hin. Das
Gleiche gilt von Fritz Overbecks „wiese" in sommer-
licher Spätnachmittagstimmung. Wie hier die leichten
dunklen und die schwereren leuchtenden Wolken behandelt
sind und koloristisch schön zu einander stehen und zu den
Tönen der weiten Flur mit dem kleinen Wässerlein, das
zeugt von großem Können nicht nur, sondern auch von tiefem
Farbenempfinden.
Aus Dresden find u. A. Mieth und Mogk mit an-
nehmbaren Tafeln erschienen, dann Schulz mit seinem
bekannten „Gemeinderath", ein Frachtstück individualistischer
Menschencharakteristik. Unter den Weimaranern schießt
natürlich Hagen wieder den Vogel ab. Seine durch
feines Abwägen künstlerisch gezügelte Farbenfreudigkeit
bethätigt sich namentlich in der sandigen Thüringischen
Dorfstraße (33) und in der üppigen Herbstlandschaft (33).
Manchem ist aber vielleicht sein „Feldweg im Juni" in
mehr gebrochenen, grünen und grauen Tönen lieber.
Nicht erwärmen kann ich mich sür Frithjof Smiths
„Dorfkirche" mit den Armenhausleuten, Bettlern und
Kindern im Gestühl, denen Christus als leuchtender
Schatten erscheint — „selig sind die Armen." (5). Auch
eines von den religiösen Bildern dieser Ausstellung, die
uns nicht zu packen vermögen. Ls ist ja unleugbar sehr
gut gemalt, aber so konventionell auch, daß eben die
Wirkung versagt.
Die beiden Lübecker Hermann Linde ftg) und Karl
Rettich (2?) fehlen nicht und Linde zeigt sich mit seinen
„Ziegen im Walde" von einer neuen, interessanten Seite,
während der talentvolle Hannoveraner Gpxler wieder
empfindungsvolle Genreszenen in Dämmerungsstimmung
giebt. Die „Erinnerungen" (38) bereisen übrigens unsere
Ausstellungen schon seit geraumer Zeit.
Aus Hannover stammen auch zwei Bildnißarbeiten
von Auguste Bock, Proben einer souverän beherrschten
Pastell-Technik nicht nur, sondern beide Bilder auch
durch feine Charakteristik fesselnd: der reizende blonde
Backfisch in grünem Winterkostüm ((9) und die dunkel-
äugige sinnend blickende Frau Oberst v. pfuel ((?).
Zu den deutschen Künstlern kann man füglich auch den
Basler starksinnigen Landschafter Fritz voellmy (2( und
(9), ganz gewiß aber den Genfer Ferdinand Hodler
rechnen. Seine große herbe Allegorie „Nacht" (33) hat im
v. I. hier bereits ein Münchener Kollege eingehender be-
sprochen. Von Kraft und Phantasie zeugt sie sicher, aber
ihre künstlerische Reise scheint mir diese Phantasie noch
nicht erreicht zu haben. Hier heißt's „abwarten" und zu-
sehen, ob des Künstlers heutige Formensprache wirklich
einem <puell echter Inspiration entspringt oder nur von
einer gewissen Originalitätssucht ihren Ursprung herleitet.
Und nun zum Schluß noch zwei von den „Alten".
Bilder, wie sie hier vom verstorbenen August Leu, dem
brillanten Schilderer romantischer Waldlandschaft (9) und
von dem 80jährigen Professor der Königsberger Akademie
Max Schmidt, dem idyllischen Künstler der „Individualität
der Vegetation" (9 und 22) zu sehen sind, finden gewiß
noch immer viele Freunde. Und mit Recht, denn welches
Können steckt in diesen vortrefflich gezeichneten und dabei
sichtlich auch nach Stimmungsausdruck strebenden Schilder-
ungen. Nur daß ihre Mittel andere sind, als bei den
Künstlern von heute- Norden.
Wnstbmf aus SaUen-kaUen.
„Badener Salon", wie die alljährlich bei
Beginn der Saison eröffnete Kunstausstellung im
Konversationshause Baden-Badens heißt, beab-
sichtigt keine Konkurrenz mit den großen Ausstellungen,
die in langen Reihen von Sälen eine für den Besucher
ermüdende Fülle von Bildern darbieten. Die sorgfältige
Auswahl, die schon durch die räumliche Beschränkung ge-
boten ist, schließt zugleich alles Platte und Bedeutungslose
aus. Direktor Schall, dem thatkräftigen Leiter der Aus-
stellung, ist es gelungen, nicht wenige Werke direkt von
der Staffelei der Künstler hinweg zu gewinnen. Andere
hervorragende Arbeiten wurden aus Privatbesitz zur Ver-
fügung gestellt. Zu den Bildern dieser Gruppe gehört
ein außerordentlich interessanter Böcklin, „Frühling in der
römischen Campagna". Die Verbindung einer dichterisch
gestaltenden Phantasie mit eminenter Schärfe und Be-
stimmtheit in der Wiedergabe der Natur tritt hier in
einer für Böcklins Kunstschaffen sehr bezeichnenden weise
in die Erscheinung. Lenbach sandte ein geistreich be-
handeltes Damenportrait und einen Bismarck in Pastell.
F. A. v. Kaulbach ist mit einem „Maientag", voll Feinheit
und Poesie, vertreten. Stuck stellt eine Phantasielandschaft
von schwermüthiger Stimmung, ein Nachtstück, und eine
nicht minder wirkungsvolle „Flucht nach Aegypten" aus.
Von Benjamin Vautier rührt ein reizender Mädchenkopf
her. Ferner enthält die Ausstellung zwei Werke von
Hans Thoma: das „Lorbeerthälchen" und „Der Vesuv von
Capri aus gesehen" mit der Landstraße im Vordergründe,
auf der ein Bauer seinen Esel vor sich her treibt. Koppay
zeigt uns ein portrait der Kaiserin von Rußland, welchem
wir vor dem im vorigem Jahre ausgestellten den Vorzug
geben, weil es weicher in der Modellirung des Kopfes ist.
An der Spitze der Karlsruher Künstlerschaft marschiren
Schönleber, Kallmorgen und dessen Gattin, Hans v. Volk-
mann u. a. mit erstklassigen Werken. Sehr gut haben
auch Graf Kalckreuth, weishauxt und seine Gattin, Hell-
wag, Sophie Ley und Helene Stromeyer ausgestellt.
Der internationale Charakter der Ausstellung ist vor-
züglich gewahrt, von den Gesterreichern ist Anton Müller