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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 23.1888

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Frizzoni, Gustavo: Wiedereröffnung und Bereicherung der Londoner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6193#0008

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Wiedereröffrmng und Bereicherung der Londoner Nationalgalerie.

da Pontormo ein hvchst geniales Werk (eine Episode
aus der Geschichte des Josef), welches von I)r. Jean
Paul Richter in seinem kritischen Werke über die
Galerie bereits seiner geschichtlichen Bedeutung gemäß
gewnrdigt worden ist. l) — Von Luca Signorelli
kann sich nunmehr die Sammlung rühmen, ein ganz
echtes, würdiges Gemälde aufzuweisen: Christi Be-
schneiduug, mit zehn lebensgroßen Figuren, großartig
gehalten und von ernster Stimmung. — Anders ver-
hält es sich mit dem lieblichen, als Predellenmaler
besonders glücklichen Eklektiker Francesco Nbertini,
genaunt il Bachiacca. Von ihm sind vor kurzem
ztvei farbenreiche, aumutig belebte Breitbilder erwor-
ben worden, in welchen, gewissermaßen erzählender
Weise, verschiedene Episoden aus dem Leben Josefs
nnd seiner Brüder geschildert sind. — Das Haupt-
stück unter den Werken der umbrischen Schule ist das
wohlbekannte und vielfach besprochene Madonnenbild
der Familie Ansidei von Raffael, welches im Jahre
1885 vom Herzog von Marlborough für den Preis
von 72000 Pfd. Sterl. verkauft wurde. Wiewohl
ein wichtiges Glied in der Folge der Werke des Ur-
biuatcn, gehört es doch jener Übergangsperiode an,
die in seinen Gemälden nicht eben als die beste Zeit
zu betrachten ist.

Wohl die erfreulichste Wirkung von allen Ränm-
lichkeiten in der neuen Einrichtung macht der große
venetianische Saal, auf den die Engländer, die ja au
der farbeuprächtigen Kunst der Venetianer das größte
Wohlgefallen haben, wahrhaft stolz sein dürfen. Anch für
diesen Bereich haben die letzten zehn Jahre viel Neues
gebracht. Nm hier nur das Beste zu erwähnen, be-
ginnen wir mit einem Jugendbilde des ehrwürdigen
Vaters der venetianischen Malerei, Giovanni Bellini
(iiu neuen Katalog selbst noch nicht verzeichnet),
worin der Meister sowohl in der Hügellandschaft als
nuch inder überschlanken Gestalt des stehenden Heilandes,
von dem ein knieender Engel das Blut aus der
Seitenwunde auffängt, ganz besonders noch an seinen
Vater Jacopo geiyahnt. Hieran reiht sich unter den
Porträts ein Kleinod von der Hand des Bruders,
Gentile Bellini, welches möglicherweise den Per-
spektivlehrer Gentile's und Giovanni's, den greisen
Girolamo Mulatini, (eine höchst edle Gestalt) dar-
stelleu kvnnte. Diesen Erwerb verdankt die Galerie
Herrn vr. Jean Paul Richter, der seinen englischen
Freunden auch bei anderen Gelegenheiten znr Seite
stand. ^)

1) Italisn in tvs klstiousl Osllsix bz- 1. ?. llicibtsr.
llouäon, Ssiuxsou Locv 1883.

2) Stücke der Kartons dazu im Louvre. Jn den llffi-
zien eine Rötelzeichnung (als Frauciabigio).

3) Nicht zu vergesscn zwei von der Direktion der Galerie

Geradezu ergreifend ist ein bei Herrn Molfino
in Genua erworbeues männliches Bildnisü) Wie-
wohl Prof. Schmarsow es neulich als ein Jugend-
bild des Perugino zn bestimmen gesucht hat, ist doch
vorauszusehen, daß demselben kaum jemand soust uoch
den ausgeprägten Charakter eines Werkes von An-
tonello da Messina, als welches es von jeher ge-
golten hat und von der Galeriedirektion anch auf-
genommen wurde, abstreiten dürfte. Ein zweites Bild
von Antonello, aus der Sammluug Hamilton, stellt
den Gekreuzigten dar; es eriunert in manchen Stücken
an sein Bildchen in Antwerpen.

Dem großen Namen des Andrea Mantegna
entspricht wenigstens ein neuer Aukanf, eine Grisaille
mit der Darstellung einer sonderbar gedachten Daliln,
im Begriffe dem Simson die Haare abzuschneiden,
als Symbol eiues treulosen Weibes gedacht, da auf
dem danebenstehenden Baumstamm zu lesen ist: b'os-
miua ckiabolo tridus sssibus sst luals. xsior. ch

Unter den späteren Jtalienern ist anßer einer
Komposition des Bergamasken Cariani, eine der
seinsten Schöpfungen von Bonifazio Verouese, aus
seiner früheu, dem Palma am nächsten stehenden Zeit,
hervorzuheben. — Aus dem Nachlasse der Schwestern
Solly stammt ein Familienporträt des Lorenzo Lottv,
klar und naiv, aber etwas steif iu den Bewegungen.
Tiefsinnig und in der reizendsten Farbeustimmung auf-
gefaßt ist hingegeu das Bilduis eines pttpstlichen Proto-
notars, das gewiß demselben Meister zugeschrieben
werden darf.

Die Abteilung der ferraresischen Schule hat sich
mit einer kostbaren Episode zur Geschichte vom Mauua-
sammeln in der Wüste bereichert, (aus Dudleyhouse)
von der Hand des in neuester Zeit mit Recht hoch-
geschätzten Ercole di Roberto.

Für die lombardische wurde schon seit 1879 in
Mailand ein Triptychon von Ambrogio Borgognone
erworben, schön erhalten uud von der reinsten Empfin-
dung dnrchdrungen. Der großartige und poetische
Sodoma hingegen ist nur durch ein kleines Andachts-
bild vertreten, dem jedoch sein angeborener Schön-
heitssinn nnd die flotte Ansführungswcise durchans
eigen sind.

Zum Schlusse könuen wir nicht unihin zn den
lombardischen Gemälden auch das große Tafelbild

gleichzeitig bei ihm erworbene Turnierbilder, in malerischer
und in geschichtlicher Hinsicht beachtenswertc Stücke mit zahl-
reichen und zierlichen Figuren, von dem alten seltenen vcro-
nesischen Quattrocentisten Domenico Morone.

1) Unbärtiges Jünglingsantlitz in Dreiviertelansicht
nach links.

2) Jn der Brannschen Photographie vortrefflich wieder-
gegeben.
 
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