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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 23.1888

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Springer, A.: Die Manesse'sche Liederhandschrift
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https://doi.org/10.11588/diglit.6193#0220

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Die Manesse'sche Liederhandschrift.

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die Pariser Liederhandschrift und versuchte namentlich
die verschiedenen Hände, welche bei der Ausschmückung
derselben thätig waren, schärfer zu scheiden. Von
neuem wurde die Aufmerksamkeit auf die künstlerische
Ausstattung der Liederhandschrift gelenkt, als die
großherzoglich badische Regierung bei Gelegenheit des
Heidelberger Universitätsjubiläums eine vollständig ge-
trene Nachbildung, ein vollkommenes Facsimile als Ge-
schenk der Hochschule überreichte. DieRegierung, stetsin
hochherziger Meise bereit, gediegene kunstwissenschaft-
liche Studien zu sördern, that noch mehr. Jn ihrem
Auftrage gab Professor Fr. X. Kraus die Miniaturen
der Handschrift in unveränderlichem Lichtdrucke heraus ^).
Sie betraute mit der Aufgabe die bewährteste Kraft,
welche das badische Land besitzt. Kraus hat durch
seine Ausgaben der Reichenauer Wandgemälde, des
Trierer Egbertcodex bewiesen, wie vortrefflich er solche
Arbeiten zu leiten versteht. Die gleiche Sorgfalt und
Umsicht, den feinen kritischen Sinn und die historische
Gelehrsamkeit dürfen wir auch von seinen „Miniaturen
der Manesse'schen Handschrift" rühmen. Jn einer
knappen Einleitung giebt er genaue Nachricht über die
Geschichte und die Beschaffenheit des Codex, erörtert
die wahrscheinliche Entstehung des Bilderschmuckes
und prüft den. künstlerischen Wert der Miniaturen.
Von diesen wird das Bild König Wenzels in vollenc
Farbenschmuck, alle anderen Bilder in gutem Licht-
drucke, welcher wenigstens über die Komposition, die
Zeichnung genügende Auskunft giebt, vorgeführt. So
verfügt die Detailforschung von nun an über eine
sichere Grundlage. Nachdem Rahn, welchem sich Kraus
im wesentlichen anschließt, den Anteil mehrerer Hände
anderAusführungder Miniaturen nachgewiesen hat,
bleiben noch solgende Fragen zu erörtern übrig. Jn
welchem Berhültnisse stehen die Bilder zum Texte?
Jllustriren sie denselben im wahren Sinne des Wor-
tes, oder sind es bloße Titelbilder, bei deren Anord-
nung der Maler sich um den besonderen Jnhalt der
Lieder nicht kümmerte? Dadurch wird der Komposi-
tionswcrt der Miniaturen bestimmt. Sind die Bilder
erst für die Pariser Handschrift erfunden worden oder
stammen sie aus einer älteren Vorlage? Originale
oder Kopien? Nnd im letzteren Falle, einfache Kopien
oder Varianten? Danach steigt oder füllt die kunst-
historische Bedeutung der Handschrift. Beide Fragen
können nur im Zusammenhange erörtert und gelöst
werden. Leichter wäre die Lösung, wenn wir ähnlich
wie von illustrirten Psaltern und Evaugeliarien anch
von den illustrirten Liederhandschriften mehrere Fa-
milien besäßen, so daß wir im stande wären, die
einzelne Handschrift der einen oder der andern Fanülie

einzuordnen. Leider fehlen bei der Seltenheit von
Bilderhandschriften der Minnesänger die rechten Hand-
haben zur Vergleichung. Am wichtigsten ist die Wein-
garter Liederhandschrift. Sie hat denselben Jnhalt,
ist nahezu zur selben Zeit und auch örtlich in der
Nähe des Pariser Codex entstanden. Jn einer aus-
führlichen Besprechung der Manesse'schen Liederhand-
schrift imRepertorium fiir Kunstwissenschaft (XI. Band,

з. Heft) habe ich die Bilder der beiden Handschriften
verglichen. Neun Miniaturen sind in beiden Hand-
schriften sast identisch, so daß an eine Abhängigkeit
der Pariser Handschrift von der (etwas älteren) Wein-
garter nicht gezweifelt werden kann. (Ob sich auch die
Farben decken, bin ich augenblicklich außer Stande, fest-
zustellen.) Sieben Miniaturen machen den Eindruck,
als ob sie Erweiterungen der Bilder im Weingarter
Codex wären. Alle auderen Bilder der Manesse'schen
Handschrift sind unabhängig von der Weingarter ent-
standen nnd können anf keine bisher bekannte Vorlage
zurückgefiihrt werden. Sie müssen also vorläufig als Ori-
ginale gelten. Gerade diese letztere Kategorie zeichnet sich
durch eine größere Lebendigkeit der Schilderung, eine
reichere Scenerie aus uud schöpft teils aus dem Texte,
teils aus dem Leben der Minnesänger die Gegenstände
der Darstellung. So weit Stichproben ein Urteil
gestatten, haben wir es nur in seltenen Fällen mit
unmittelbaren Textillustrationen zu thun. Vorwiegend
holte sich der Künstler aus dem Liede nur die allge-
meine Anregung zumBilde, welches er dann selbständig
nach malerischen Grundsätzen weiterführte. Scharf
müssen wir zwischen dem Entwurfe und der Aus-
führung unterscheiden. Das weniger günstige Urteil,
welches bisher über den künstlerischen Wert dieser Mi-
niaturen gefällt wurde, nimmt von der Ausführung
den Ausgangspunkt. Diese erscheint allerdings ziem-
lich handwerksmäßig, fast plump. Man möchte glauben,
daß es dem Jlluminator wesentlich nur um rasche
Vollendung der Arbeit zu thun war. Anders lautet
das Urteil, wenn man bloß die Komposition in Be-
tracht zieht. Vielleicht hat nicht derselbe Künstler,
welcher die Bilder entwarf, dieselben auch ausgeführt,
jedenfalls seine ganze Kraft und Tüchtigkeit bei der
Komposition schon erschöpft, nichts von Eifer und
Liebe für die Ausführung übrig behalten. Den Ab-
schiedsscenen, den Schilderungen des Anszngs zur Jagd

и. s. w. kanu man das erfolgreiche Streben nach einem
empfindungsvollen wahren Ausdruck, nach lebendiger
Erzählung nicht absprechen. Und wäre es ein
Wunder, wenn eiu Maler des 14. Jahrhunderts,
welcher wenig vorbereitet, überrascht, in eine neue
Welt gestellt wird, in der Ausführung hinter der
guten Absicht zurückbliebe? Er befand sich in einer
ähnlichen Lage, wie der antike Künstler, welcher plötzlich

1) Straßburg, E. K. Trübner 1887. Folio.
 
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