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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 23.1888

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Springer, Anton: Der neue Kupferstich nach Leonardo's Abendmahl von Rudolf Stang
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https://doi.org/10.11588/diglit.6193#0269

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L25

Der neue Kupferstich uach Leonardv's Abendmahl Vvn Rudvlf Stang.

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mehr Bahn gebrochen hat, daß Morghens Stich nicht
gennge, nicht den wahren Leonardo uns vor die Augen
bringe, so liegt die Hanptschuld an dem Zeichner,
welcher Morghen die Vorlage für die Platte lieferte.
Btatteini hat bekanntlich seiue Zeichnung nicht nach
der Originalfreske in S. Maria delle Grazie, sondern
nach der jetzt in der Brera bewahrten Kopie, welche
auf Marco d' Oggionno zurückgeführt wird, gemacht
und anch dieser gegenüber sich große Freiheit gestattet.
Die Abweichungen der Zeichnung vom Originale
gingen natürlich auf Morghens Stich über. Man
kann diesem alle erdenklichen Borzüge einräumen, nur
das Eine darf man nicht behanpten, daß er die
Schöpfung Leonardo's treu und wahrhaftig wider-
spiegele. Wir entdecken bei Morghen mannigfache
äußere Zuthaten. Ganz überstüssig hat das vor Judas
umgestürzte Salzfaß die Phantasie ästhetischer Schön-
geister in Wallung gebracht. Auf der Freske ist keine
Spnr vom Salzfasse vorhnnden. Matteini und nach
ihm Morghen haben den Ausdrnck einzelner Köpfe,
die Bewegung einzelner Hände und die Zeichnnng der
Füße geändert. Sie sind endlich, und das muß be-
sonders betont werden, in den Maßen nnd in der
Belenchtung vom Originale abgewichen. Auch die
größten Bewunderer des Morghenschen Stiches geben
zu, daß derselbe als Ganzes betrachtet, den Eindruck
des Gedrückten mache. Ganz natürlich, da auf dem-
selben die Decke des Saales viel zu tief herabgezogen
ist. Der gleichmäßige Ton der Wände auf dem Stiche
bcsitzt unleugbar etwas Bestrickendes, die Figuren
sctzen fich hell vom Grunde ab. Der Wahrheit ent-
spricht er aber nicht. Bei Leonardo fällt auf die
rechte Wand ein viel stärkeres Licht als auf die linke,
erscheint überhaupt das Licht anders verteilt. Haben
sich gegenwärtig im Vergleiche zu früheren Zeiten
die Ansprüche auf die Treue einer jeden künstlerischen
Wiedergabe überhaupt gesteigert, so gilt sie fiir denStich
des Abendmahls geradezu als Lebensbedingnng. Blei-
ben doch stets weite Kreise der Kunstfreunde auf die
Nachbildungen angewiesen, um das ini Originale ver-
dorbene Werk zu genießen. Mit Recht hat daher
Rudolf Stang von allein Anfange an aus die mög-
lich größte Treue den Hanptnachdruck gelegt und die
mühsamsten Studien nicht gescheut, um dieselbe zu er-
reichen. Stang ist nicht bloß der treffliche Stecher,
sondern auch der gewissenhafte Restaurator des Bildes
geworden. Zuerst unterwarf er das Original in
Mailand der genauesten Prüfnng- Die Klagen über
den jümmerlichen Zuftand des Werkes, welche bereits
Vasari vor dreihundert Jahren erhoben hatte, sollen
hier nicht ernenert werden. Gewiß, der Anblick der
Freske bietet keinen Gennß, enttänscht anfangs in
bitterer Weise den Betrachter.

Es ist aber falsch, wenn man behauptet, daß sich
gar nichts mehr an derselben unterscheiden lasse. Das
geübte und geschulte Künstlerauge entdeckt noch inimer
zahlreiche Spuren, welche ihn bei der graphischen Re-
konstruktion des Werkes leiten können. Die beste Probe
bieten die vor ungefähr 15 Jahren gemachten großen
photographischen Aufnahmen. Zunächst sieht das Auge
allerdings nichts als schmutzige Flecken, bei weiterer
eingehender Prüfung kommen aber doch die Umrisse
der Figuren, ganze Teile des Bildes deutlich zum
Vorschein.

Dem Studium des Originales dankt Stang die
richtigen Maßverhältnisse und die der Wahrheit ent-
sprechende Beleuchtung. Schon dadurch gewinnt fein
Blatt einen sehr hohen Wert. Jetzt erst empfängt
man den vollen Eindruck von der Schönheit des
Raumes, von dcm Reichtum der Komposition. Für
die Einzelheiten allerdings mußte er sich nach anderen
Hilfen nmsehen. Jn erster Linie zog auch Stang die
Kopie in der Brera heran. Nur übertriebener Puris-
mus wird daran Anstoß nehnien und den Wert einer
Kopie aus alter Zeit, in welchcr das Original noch
weniger verstümmelt war, leugiien. Wohlgemerkt,
stellte Stang an die Kopie nur solche Fragen, welchen
gegenüber sich das Original stnmm verhält. Dazu
gehören z. B. die nnteren Teile der Freske, die völlig
zerstörten oder doch ganz unkenntlichen Füße Christi und
des Bartholomüus (die letzte Figur links). Es ist doch
nicht wahrscheinlich, daß ein Kopist, der räumlich uud
zeitlich Leonardo nahe stand, sich in grober Weise an
der Wahrheit versündigt hätte, vielmehr sein Anschluß
an das Original glaubwürdig. Jedenfalls gab es
kein anderes Auskunftsmittel, wollte nicht Stang in
seiner Wiedergabe leere Stellen, förmliche Lücken lassen.
Für die Köpfe Christi und der Apostel mußten weiter
die Zeichnungen in der Brera nnd in Weimar um
Rat gefragt werden. Sie sind allerdings nicht die
Originalzeichnungen Leonardo's, von welchen Lomazzo
spricht, nicht einmal Kopicn derselben, sondern, wie
wenigstens die Weimarer Pastellbilder durch die stets
mitgezeichneten Hände der Nachbarapostel deutlich
darthun, Studien eines übrigens tüchtigen Künstlers
(aus welcher Zeit?) nach dem Gemälde. Aber brauch-
bare Hilfen bleiben sie dennoch. Nur muß man sie
nicht nach den leider weit verbreiteten Nachbildungen
Nissens beurteilen. Jn diesen erscheinen sie durch
einen Alt-Düsseldorfer Sirup durchgezogen, ohne Kraft
und Mark, weich und süßlich. Hält man die Köpfe
nnt den photographischen Originalanfnahmen der Freske
zusammen, so überzengt man sich von ihrer großen
Treue. Noch niemals war ein Knpferstecher vor eine
schwierigere Aufgabe gestellt, als Stang in diesem Falle.
Gleichsam aus einzelnen Mosaikwürfeln mußte er das
 
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