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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 23.1888

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Rosenberg, Adolf: Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6193#0332

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651

Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

652

Werk des Meisters, das dem Kultusminister vr. v-
Goßler vou der Akademie überreichte Ehrenmitglieds-
diplom befiudet, eine zwar an geistvollen Anspielungen
reiche, aber in der Bildung der Hauptfigur und in
der Komposition nicht besonders glückliche Schöpfung,
in welcher sozusagen die Klaue des Löwen zum Katzen-
pfötchen herabgemäßigt worden ist. Jn dieser ge-
schichtlichen Ausstellung von Aquarellen und Zeich-
nungen begegnen wir anch wieder dem halben Hnndert
Porträtstudien nach rheinischen Bauern und Bäuerinnen
von Lndwig Knaus, über welche wir bei ihrer ersten
Ausstellung im Berliner Künstlerverein vor dreizehn
Jahren an dieser Stelle berichtet haben. Z Das
Wiedersehen wird nicht dnrch Reue über das Lob,
welches wir damals diesen gleichsam aus der Tiefe
des menschlichen Gemüts herausgeschöpften Charakter-
studien zollen konnten, getrübt. Es giebt nicht viele
unter den seitdem entstandenen Zeichnungen und Bil-
dern des Meisters, welche so unbefangen, objektiv und
frei von Manier sind wie jene Blätter, die der
Künstler zum Teil für das Gemälde „Beratnng Hauen-
steiner Bauern" (1872) benntzt hat. Auf gleicher
Höhe, soweit es sich um Objektivität der Auffassung
und Schlichtheit der Darstellnng handelt, steht eine
mit der Jahreszahl 1888 versehene Profilzeichnung
des Grafen Moltke. Wenn sich Knans entschlösse,
nach dieser überaus fein charakterisirten Stndie ein
Ölgemälde in jener intimen Auffassung auszuführen,
welche er in den Bildnissen von Mommsen und Helm-
holtz bewährt hat, würde er uns und der Nachwelt
einen viel größeren Dienst erweisen, als wenn er
fortfährt, seine seltene Kunst in den Dienst von ge-
wöhnlichen Porträtaufträgen zu stellen, die er zwar,
wie ein Damenbildnis unserer Ausstellung von neuem
zeigt, sehr fesselnd und pikant dnrchführt, die aber
eines solchen Meisters, welcher seine Kraft der All-
gemeinheit schuldet, nicht würdig sind.

Andere Reihen von Aquarellen und Zeichnnngen
sind entweder auf der vorjährigen Dresdener Aus-
stellung oder auf Berliner Privatausstellungen im
Winter und Frühjahr 1887,1888 zu sehen gewesen
und an dieser Stelle schon besprochen worden, so die
Aquarelle von C. Breitbach, Hans Bartels, Albert
Dreßler, E. Dücker, Th. von Eckenbrecher, Ernst
Hansmann. C. G. Hellqvist, A. Hertel, H.
Krabbes, Edgar Meher (Weimar), Panl Meyer-
heim, V. Paul Mohn und des Wiener Aquarel-
listenklubs, die Zeichnungen von W. Sohn, zum
Teil Studien zu dem seit länger als zehn Jahren er-
warteten Bilde für die Nationalgalerie, und von
Louis Spangenberg. Ein über das Durchschnitts-

maß hinansreichendes Können zeigen von diesen
Blättern etwa nur die Reisestudien von Hans Bar-
tels und die italienischen Ansichten von Albert Hertel,
deren technische Vorzüge und Wahrheitsliebe in der
Auffassung wir schon bei ihrer Ausstellung in der
Nationalgalerie gerühmt haben. Eine andere Grnppe
dieser Abteilung bilden Zeichnungen fürBuchillustration,
welche bereits dnrch den Holzschnitt oder durch mecha-
nische Reproduktionen bekannt geworden sind. So bietet
dieser Teil unserer Ausstellung für den Berichterstatter,
der Wiederholnngen vermeiden will, nur eine geringe
Ausbeute, wenn anch die Besucher an diesem scheinbar
endlosen Bilderbnch ihre Freude haben werden.

Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß
unsere Geschichtsmalerei sich seit geraumer Zeit in
einer Krisis befindet, aus der zunächst nur soviel klar
geworden, daß die alte Maschinerie so gründlich ver-
rostet ist, daß fie nicht mehr funktionirt. Die Historien-
malerei ist in der Lage eines Mannes, der das Miß-
geschick gehabt hat, sich zwischen zwei Stühle zn setzen.
Hält sie an der Überliefernng fest und beschränkt sie
sich auf die Darstellnng von Ereignissen aus der Ver-
gangenheit, so verfällt sie entweder in das theatralische
Pathos der Bühne oder sie begegnet der unüberwind-
lichen Teilnahmelosigkeit des Publikums. Greift sie
ihre Stoffe aus der Gegenwart, aus der neuesten
dentschen Geschichte, so bleibt sie zumeist in der
Jllustration stecken, auch wenn der Maßstab noch so
groß gewählt ist. Man wende nicht ein, daß die
Schuld an dem geringen künstlerischen Vermögen, etwa
an dem Mangel an Stilgefühl der einzelnen Maler
liegt. Jn vielen Fällen gewiß. Aber es giebt auch
Maler, die sich bei der Darstellung von Vorgängen
aus dem Alltagsleben in großem Maßstabe vortreff-
lich bewährt haben, aber einem geschichtlichen Moment
gegenüber über die Thütigkeit des trockenen Chronisten
oder des Jllustrators nicht hinauskommen. So hat
Arthur Kampf in Düsseldorf, welcher vor zwei
Jahren in der „Letzten Aussage" eines im Wirtshans-
streit zum Tode verwundeten Arbeiters ein verheißungs-
volles Zeugnis energischer, charaktervoller Darstellung
abgelegt hat, in diesem Fahre die „Aufbahrung Kaiser
Wilhelms I. im Dom" gemalt, welche sich nicht sehr
von den Dioramen unterscheidet, die man jetzt in allen
größeren Städten zu sehen bekommt. Wohl sind die
Figuren aus dem Volke, welche in ehrfurchtsvoller
Andacht an der Paradeausstellung vorüberschreiten,
durch Kraft und Mannigfaltigkeit der Charakteristik,
durch lebensvolle, plastische Erscheinung ausgezeichnet.
Aber der hohe Schwung, welcher die Jllustration eines
zeitgenössischen Ereignisses zum Geschichtsbilde erhebt,
ist dem Künstler nicht gelungen.

Es fragt sich überhaupt, ob unsere realistisch ge-

l) Kunstchrcmik 1875 (X), S. 279.
 
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