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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 23.1888

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Rosenberg, Adolf: Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6193#0340

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

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das Kolorit flauer und die Gesamtwirkuug weniger
günstig, weil die Figuren über die Modellwahrheit
des Einzelbildes hiuaus nicht zu einer lebeudigeu,
dramatisch konzentrirten Gruppe vereinigt worden sind.
Auch Dietrich ist ein Schüler Schuorrs; aber von
der euergischeu, oft großartig wirkenden Charakteri-
sirungskraft des Meisters ist nichts mrf ihn überge-
gangen, so wenig wie auf Httndler. Sehr anziehend
ist dagegen ein zweites Bild der Dresdener Schule,
dessen Stoff gleichfalls dem Neueir Testamcnte ent-
lehut ist, die „Rückkehr des verlorenen Sohnes" von
Konstantin Feudel, wohl eiuem Schüler der Dres-
dener Akademie, der sich, wie man ans dein erusteu,
gediegenen Kolorit schließen darf, vornehmlich bei
Pauivels und Pohlc gebildet zn haben scheiut. Er
hat die Sccue in die Treppenhalle eiues dentscheu
Patrizierhauses der Renaissancezeii verlegt. Aber nur
in dieser Äußerlichkeit ist er dem Beispiele E. v.
Gebhardts gefolgt. Die Figuren halten sich nicht an
die Befangenheit der deutscheu und niederlttndischen
Küustler des 16. und der Frühzeit des 16. Jahr-
hunderts, sonderu sie tragen in ihrer vou jeder
historischeu Geschmacksrichtuug freien Formenbildung
das Geprüge der eklektischen Knnst unserer Tage.
Der reuige Sünder, eiu halbnackter Bettler, ist auf
der untersten Stufe der Treppe, von welcher der greise
Vater, gesenkteu Hauptes, auf eiuen Stab gestützt,
langsam zu dem Heimgekehrten herabschreitet, zusam-
mengesunken. Er verbirgt sein Gesicht in den Httn-
den und achtet nicht der Hunde, welche den Fremd-
ling beschnuppern. Aus einer Thür des Treppenflures
blickt neugierig das Gesinde hervor, während vornehme
Gäste des Hausherru von einer Galerie des oberen
Geschosses auf die befremdliche Sceue herabsehen. Da
das Gleichnis im Neuen Testamente etwas Typisches
hat, kann man dem Maler die Berechtigung zu der
von ihm getroffenen Zeit- und Kostiimwahl nicht be-
streiten, uud am Eude eutscheidet die Gediegenheit der
Durchführung uud die von jedem Theaterweseu freie
Schlichtheit der Darstellung zu Gunsten des Künstlers
auch bei demjenigen, der etwa archttologische Skrupel
haben sollte. Von demselben juugen Maler ist noch
ein zweites Kostümstück zu sehen, welches sich ebenso
wenig mit oberflächlichen koloristischen Reizen beguügt,
die sich leicht aus bunten Trachten uud reichem Bei-
werk herauslocken lassen. Es ist eine Scene aus deu
Bauernkriegen, welche in dem Schlafgemache eines
Burgherrn vor sich geht. Sein Weib, mit denr Kinde
an der Brust, sitzt in angstvoller Spaunung im Bett,
wahrend der Gatte, ein krttftig gebauter junger Mann,
das mächtige Schwert in der Hand, im Verein mit
seinem treuen Rüden, die Eiudringlinge erwartet,
welche, wie es schelut, bereits au die verschlossene

Thür pocheu. Auch ohne daß man in den Katalog
blickt, hat mau die Empfindung unheimlicher Span-
nuug, das Gefühl einer bevorstehenden Katastrophe,
die den Jnsassen des traulichen Raumes, in welchen
das helle Licht des Morgens fällt, den Untergang
bringen wird.

Wenn wir noch zwei wohl für einen dekorativen
Zweck bestimmte Gemälde vou Ernst Hildebrand
„Lnther als Chorknabe" uud „Luther im Kreise seiner
Familie" erwähnen, welche mehr durch ihren räum-
licheu Umfang nls durch Größe uud Tiefe der Auf-
fassuug nud dnrch Kraft der Darstelluug Anspruch
auf den Namen Von Historieubildern erheben, so haben
wir alle nur irgendwie verdieustlichen Werke aufge-
zählt, welche in die Kategorie des Geschichtsbildes
oder des geschichtlichen Genres fallen. Wenn man
diese sechzigste Ausstellung der Berliner Kunstakademie
demnach auf ihreu rein geistigeu Juhalt, auf den Anf-
waud von Gedankenarbeit und Erfindungskraft prüft,
kommt man zu einem äußerst beschttmeuden Resultat.
Es ist, als ob nur noch das rein Gegenständliche
nnsere Maler reizte, das, was sich ungesucht ihrem
Auge darbietet. Daher die Unsumme von Porträts
und Laudschaftcn, zwischen denen Kalenderbilder von
dürftiger Erfindung, aus allerhand Modellen zu-
sammengestoppelte Geuresceueu uud frostigeHumoresken
arg ins Gedränge geraten.

Damit ist noch uicht einmal gesagt, daß die
Porträtmalerei eine ihrer starkeu Vertretung entspre-
chende Anzahl von Tresferu aufzuweisen hätte. Wie
vor zwei Jahren auf der Jubiläumsausstellung ein
Euglünder, Herkomer, allen seinen Rivalen auf diesem
Gebiete um ein weites Stück den Rang ablief, so hat
auch diesmal wieder ein Ausländer seine deutschen
Kollegen bis zur Vvlligen Vernichtung aus dem Felde
geschlageu. Es ist Emile Wauters mit eiuem Bild-
nis des verstorbenen belgischen Generals Baron Gof-
finet, das man getrost neben Tizian, Rubens und
Velazgnez, also neben diejenigen Klassiker des Por-
träts hängeu könnte, welche höchste Lebensfülle mit
reichster koloristischer Darstellung und großartigstem
Stilgefühl verbandeu. Das Berliner Museum besitzt
ein Porträt des Velazquez, das man geradezu als
den Stammvater des Wautersschen Bildnisses be-
trachten möchte, jeues mit beispielloser Energie ans
einem gelblichgrauen Grunde herausgearbeitete Abbild
eines italieuischen Condottiere, Alessandro del Borro,
das kürzlich William Ungers Radirnadel mit eben-
bürtiger Meisterschaft für das Berliner Galeriewerk
interpretirt hat. Ganz ähnlich hat Wauters den Ge-
neral des 19. Jahrhundertsjchufgefaßt, seines Wertes
voll bewußt, nur nicht so Protzig heransfordernd, in
gauzer Figur mit greifbarer Plastik sich von dem grau-
 
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