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Londoner Ausstellungen.
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Akudemie für das Ausstellen ihrer Bilder, statt Geld
zu bekommen, die Kosten selber tragen müssen. Des-
halb wird anstandshalber ein Bildchen nach der Aka-
demie geschickt, der Rest aber wandert in die Separat-
ausstellungen in Bond Street oder nach den anderen
periodischen Galerien, welche in den letzten Jahren
entstanden sind und der königl. Akademie gewaltige
Konkurrenz machen, nach der Grosvenor Gallery und
der nenen fashionablen New Gallery in Regent Street.
Aber ungeachtet dieser Konkurrenzunternehmungen
ist die jährliche Ansstellung der Itoyal Academy doch
der Areopag der englischen Malerkünst geblieben, und
nichts kann dem Fremden einen besseren Einblick in
den Fortschritt englischer Malerei gewähren, als ein
Rundgang dnrch diesen „Salon" von London. Er
wird dort keine besonderen Weltberühmtheiten vor-
finden, denn diese sind nnter den englischen Malern
spärlich gesäet. Überfliegt man die Liste der vierzig
Akademiker und des Dutzends Associates (korrespondi-
rende Mitglieder, würde man auf dem Kontinent
sagen), so stößt man nur auf die Namen Alma Ta-
dema, Sir John Millais, Hnbert Herkomer nnd Sir
Frederick Leighton, den Präsidenten der Akademie, die
sich mit mehr oder minder Recht eines Weltrufs er-
freuen. Vielleicht könnte man dazu auch noch den
greisen Frith rechnen, der aber mit seiner schöpferi-
schen Thätigkeit in die letzte Generation zurückreicht-
Frith hat aber zwei Bände interessanter Memoiren
veröffentlicht, nnd an einen Maler, der schreibt, glaubt
man nicht mehr. Freilich ist Frith auch diesmal noch
in der Akademieausstellung dnrch ein Bild vertreten,
aber es sind nur mehr Pinselstriche aus längstver-
gangenen Zeiten, ganz in dem Genre seines berühmten
Bildes „Der Derbytag", das jetzt neben Turner,
Hogarth und Landseer in der Nationalgalerie hängt.
Frith hat nichts mehr Neues gelernt, vieles sogar ver-
lernt, und es ist schade, daß der alte Mann des lieben
Broterwerbes wegen noch zum Malen verurteilt ist.
Er ist einer der wenigen englischen Künstler, bei
welchen die Berühmtheit nicht mit dem entsprechenden
Goldregen begleitet war. Leighton und seine Kollegen
an der Rvyal Academy haben sich große Verinögen
erworben; Sir John Millais läßt sich für seine Por-
trüts, von denen die Mehrzahl herzlich schlecht ist,
drei- bis viertausend Guineen, also vierzig bis fünfzig
Tausend Gnlden bezahlen nnd hat für Jahre hinaus
Bestellungen; Alma Tadema kann heute für seine
Bilder was immer fnr Preise verlangen, er wird immer
Känfer finden. Erst im vergangenen Jahre verkaufte
er ein Bild um dreitausend Guineen, und an dem-
selben Tage wurde dasselbe Bild um sechstausend
Gnincen iveiterverkauft. Ebenso wcnig können sich
die anderen englischen Maler über Mangel an Ab-
satz für ihre Bilder beklagen, und schon ein flnchtiger
Gang dnrch die Gemäldeausstellung der Royal
Academy läßt jeden erkennen, daß ihnen das Fleisch
im Topfe und die Bntter znm Brote wahrhaftig
nicht fehlen.
Jn den elf Sälen, welche die elfhundert Ölbilder
nnd sechshundert Aguarellbilder der diesjährigen Aus-
stellung enthalten, herrscht eine so eigentnmliche Ruhe
und Behaglichkeit, daß man gerne in ihnen verweilt
und sie wieder und wieder besucht, während man die
Säle des französischen Salons mit Abschen und Ent-
setzen durchjagt. Es kann in der That keine größeren
Kontraste geben, als den Salon von Frankreich und
die Royal Academy von England. Der ganze Cha-
rakter der beiden Völker, ihre Neigungen, ihre Leiden-
schaften, ihre Sünden spiegeln sich in ihren Bildern
wieder, nnd das alte Sprichwort: „Zeige mir, mit wem
Dn nmgehst, und ich sage Dir, wer Dn bist", könnte
man hier folgendermaßen anwenden: „Zeige mir, was
Du malst, und ich sage Dir, wer Du bist." Gerade
in diesem Jahre ist dies auffälliger als sonst. Beim
Dnrchschreiten des Pariser Salons war es mir manch-
mal, als befände ich mich in einem Schlachthaus, in
der Folterkammer der Jnquisition, in einer Toten-
kammer oder in einem Frauenbade. Fn dem einen
Saale wnrde ich von Abscheu, im zweiten von Ent-
setzen, im dritten von Ekel überfallen. Die Bilder
mochten noch so schön, so flink und technisch vollkom-
men gemalt sein, die Sujets waren so frech, un-
schicklich, bluttriefend oder granenhaft, daß man
über dem Gegenstand die Art der Darstellnng vergaß.
Den Franzosen genügt es nicht, menschliche Köpfe zu
malen, sie müssen sie zuvor vom Rumpfe trennen;
weibliche Schönheit stellen sie nicht in einem nackten,
lebenswarmen, reizumgossenen Frauenkörper dar; das
arme Wesen mußte zuvor ermordet worden oder er-
trunken sein. Das reizende, idyllische Landleben,
Scenen aus dem Volke, das heitere Genre mußte den
Metzeleien des Krieges, den Schreckensscenen von Pest
nnd Hungersnot weichen. Orientalische Landschaften
und Städtebildcr genügen ihnen nicht mit ihren war-
men Farbenkontrasten, ihren fremdartigen Konturen,
ihren malerischen Volkstypen. Wo sie können, stecken
sie einen geiernmkreisten, sanlenden Menschenkopf auf
eine Lanze oder werfen einen alten Leichnam in den
Vordergrund des Bildes. Dabei drängen sie derlei
Gemälde dem Beschauer auf riesengroßen Leinwanden
anf, als ob jede Haushaltung darauf versessen wäre,
so ein Schreckensbild im Empfangszimmer aufzu-
hängen, und als ob eine ertrnnkene Jungfrau in jeder
Wohnnng gerade so notwendig wäre wie eine Kaffee-
mühle.
Wie anders die Engländer! Wie sorgfältig ver-
Londoner Ausstellungen.
684
Akudemie für das Ausstellen ihrer Bilder, statt Geld
zu bekommen, die Kosten selber tragen müssen. Des-
halb wird anstandshalber ein Bildchen nach der Aka-
demie geschickt, der Rest aber wandert in die Separat-
ausstellungen in Bond Street oder nach den anderen
periodischen Galerien, welche in den letzten Jahren
entstanden sind und der königl. Akademie gewaltige
Konkurrenz machen, nach der Grosvenor Gallery und
der nenen fashionablen New Gallery in Regent Street.
Aber ungeachtet dieser Konkurrenzunternehmungen
ist die jährliche Ansstellung der Itoyal Academy doch
der Areopag der englischen Malerkünst geblieben, und
nichts kann dem Fremden einen besseren Einblick in
den Fortschritt englischer Malerei gewähren, als ein
Rundgang dnrch diesen „Salon" von London. Er
wird dort keine besonderen Weltberühmtheiten vor-
finden, denn diese sind nnter den englischen Malern
spärlich gesäet. Überfliegt man die Liste der vierzig
Akademiker und des Dutzends Associates (korrespondi-
rende Mitglieder, würde man auf dem Kontinent
sagen), so stößt man nur auf die Namen Alma Ta-
dema, Sir John Millais, Hnbert Herkomer nnd Sir
Frederick Leighton, den Präsidenten der Akademie, die
sich mit mehr oder minder Recht eines Weltrufs er-
freuen. Vielleicht könnte man dazu auch noch den
greisen Frith rechnen, der aber mit seiner schöpferi-
schen Thätigkeit in die letzte Generation zurückreicht-
Frith hat aber zwei Bände interessanter Memoiren
veröffentlicht, nnd an einen Maler, der schreibt, glaubt
man nicht mehr. Freilich ist Frith auch diesmal noch
in der Akademieausstellung dnrch ein Bild vertreten,
aber es sind nur mehr Pinselstriche aus längstver-
gangenen Zeiten, ganz in dem Genre seines berühmten
Bildes „Der Derbytag", das jetzt neben Turner,
Hogarth und Landseer in der Nationalgalerie hängt.
Frith hat nichts mehr Neues gelernt, vieles sogar ver-
lernt, und es ist schade, daß der alte Mann des lieben
Broterwerbes wegen noch zum Malen verurteilt ist.
Er ist einer der wenigen englischen Künstler, bei
welchen die Berühmtheit nicht mit dem entsprechenden
Goldregen begleitet war. Leighton und seine Kollegen
an der Rvyal Academy haben sich große Verinögen
erworben; Sir John Millais läßt sich für seine Por-
trüts, von denen die Mehrzahl herzlich schlecht ist,
drei- bis viertausend Guineen, also vierzig bis fünfzig
Tausend Gnlden bezahlen nnd hat für Jahre hinaus
Bestellungen; Alma Tadema kann heute für seine
Bilder was immer fnr Preise verlangen, er wird immer
Känfer finden. Erst im vergangenen Jahre verkaufte
er ein Bild um dreitausend Guineen, und an dem-
selben Tage wurde dasselbe Bild um sechstausend
Gnincen iveiterverkauft. Ebenso wcnig können sich
die anderen englischen Maler über Mangel an Ab-
satz für ihre Bilder beklagen, und schon ein flnchtiger
Gang dnrch die Gemäldeausstellung der Royal
Academy läßt jeden erkennen, daß ihnen das Fleisch
im Topfe und die Bntter znm Brote wahrhaftig
nicht fehlen.
Jn den elf Sälen, welche die elfhundert Ölbilder
nnd sechshundert Aguarellbilder der diesjährigen Aus-
stellung enthalten, herrscht eine so eigentnmliche Ruhe
und Behaglichkeit, daß man gerne in ihnen verweilt
und sie wieder und wieder besucht, während man die
Säle des französischen Salons mit Abschen und Ent-
setzen durchjagt. Es kann in der That keine größeren
Kontraste geben, als den Salon von Frankreich und
die Royal Academy von England. Der ganze Cha-
rakter der beiden Völker, ihre Neigungen, ihre Leiden-
schaften, ihre Sünden spiegeln sich in ihren Bildern
wieder, nnd das alte Sprichwort: „Zeige mir, mit wem
Dn nmgehst, und ich sage Dir, wer Dn bist", könnte
man hier folgendermaßen anwenden: „Zeige mir, was
Du malst, und ich sage Dir, wer Du bist." Gerade
in diesem Jahre ist dies auffälliger als sonst. Beim
Dnrchschreiten des Pariser Salons war es mir manch-
mal, als befände ich mich in einem Schlachthaus, in
der Folterkammer der Jnquisition, in einer Toten-
kammer oder in einem Frauenbade. Fn dem einen
Saale wnrde ich von Abscheu, im zweiten von Ent-
setzen, im dritten von Ekel überfallen. Die Bilder
mochten noch so schön, so flink und technisch vollkom-
men gemalt sein, die Sujets waren so frech, un-
schicklich, bluttriefend oder granenhaft, daß man
über dem Gegenstand die Art der Darstellnng vergaß.
Den Franzosen genügt es nicht, menschliche Köpfe zu
malen, sie müssen sie zuvor vom Rumpfe trennen;
weibliche Schönheit stellen sie nicht in einem nackten,
lebenswarmen, reizumgossenen Frauenkörper dar; das
arme Wesen mußte zuvor ermordet worden oder er-
trunken sein. Das reizende, idyllische Landleben,
Scenen aus dem Volke, das heitere Genre mußte den
Metzeleien des Krieges, den Schreckensscenen von Pest
nnd Hungersnot weichen. Orientalische Landschaften
und Städtebildcr genügen ihnen nicht mit ihren war-
men Farbenkontrasten, ihren fremdartigen Konturen,
ihren malerischen Volkstypen. Wo sie können, stecken
sie einen geiernmkreisten, sanlenden Menschenkopf auf
eine Lanze oder werfen einen alten Leichnam in den
Vordergrund des Bildes. Dabei drängen sie derlei
Gemälde dem Beschauer auf riesengroßen Leinwanden
anf, als ob jede Haushaltung darauf versessen wäre,
so ein Schreckensbild im Empfangszimmer aufzu-
hängen, und als ob eine ertrnnkene Jungfrau in jeder
Wohnnng gerade so notwendig wäre wie eine Kaffee-
mühle.
Wie anders die Engländer! Wie sorgfältig ver-