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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Korrespondenz aus Venedig, [2]
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Korrespondenz aus Venedig.

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gezeichnete Porträtistin durch das geistvolle Bildnis
des Herrn Van Duye; Willem Maris' Kuhweide, Ter
Meulen's Schafwäsche, Evert Pieters' Landschaft aus
Fontainebleau und Carel Dake's Mondscheinstimmung
bewegen sich alle auf der neuen Bahn der modernen
Landschaftsmalerei, während Keinkenberg in seinem
Panorama von Dortrecht sich in der Feinheit der
Technik, in der Schlichtheit der Auffassung den alten
holländischen Meistern mit Erfolg zu nähern versucht.

Waren Hendrik Willem Mesdags Marinebilder
schon im Frühjahr in Florenz zu sehen, oder täuscht
nur die Ähnlichkeit des Sujets, das der Meister immer
wiederholt? Jedenfalls ist der Sonnenuntergang bei
Scheveningen das beste Marinebild der Ausstellung.

Im belgischen Salon erschrecken unser Auge |
einige höchst bizarre Erfindungen; wer sich auf das
wirklich Künstlerische beschränken will, hat es eigent-
lich nur mit Franz Courtens zu thun, neben dem noch
Victor Gilsoul als Landschaftsmaler genannt werden
muss. Die feine Berechnung auf die Wirkung und j
die kühne Sicherheit, mit welcher Courtens seine |
breiten Pinselstriche führt, die Unerschrockenheit, mit
welcher er die grellsten Töne nebeneinandersetzt und |
doch schliesslich aus gewisser Entfernung betrachtet
harmonische Farbenstimmungen erzielt, überrascht vor
allem in dem Bilde „Auf holländischer Weide", wo
derbe Mägde beschäftigt sind, die Kühe zu melken.
Aus dem „Kreuzesweg" und aus dem „Echo« weht uns
ein warmer Hauch tiefer Empfindung entgegen. Se-
gantini behandelte schon früher einmal einen ganz
ähnlichen Gedanken, wie ihn Courtens im „Kreuzes-
weg" verarbeitet hat, aber er milderte das jammervolle
Bild menschlicher Tragödie durch die friedliche im
Abendrot erglühende Schönheit einer Alpenlandschaft.
Bei Courtens mangelt dieser Trost.

Noch eine ganze Kollektion anderer Gemälde
der deutschen, französischen und italienischen Schule
streift die brennende sociale Frage, aber Courtens
hat in seiner Schilderung am meisten Takt bewiesen.
Wie viel lieber verweilt man doch vor seinem „Echo"!
Zwei prächtige Kühe lassen es sich wohl sein unter
dem kühlen Schatten zweier Baumriesen, die am Rand
des Waldes stehen, aus dem in tausendfachem Echo
das mächtige Gebrüll der einen wiederklingt. Glück-
liche Erinnerungen von Waldeinsamkeit und Sommer-
lust ruft dies Bild in unserer Seele wach, das mit
derselben Bravour aber viel grösserer Sorgfalt im Detail
gemalt ist, wie die holländische Weide.

Vielleicht hat noch niemals in einer internationalen
Kunstausstellung die Landschaftsmalerei so allseitige
Triumphe gefeiert wie in diesem Jahre in Venedig.
Auch die norwegischen Maler bewähren sich vor allem
in der Interpretation ihrer eigenartigen Natur, deren
tiefe gesättigte Farben anfangs das Auge verletzten,
dem noch die Nebellüfte schottischer Landschaften

vorschweben. Aber die melancholische Stimmung,
der seltsam düstere Charakter, welche der norwegischen
Landschaft eigen, ist von Thaulow, Johannes Müller,
Otto Sinding u. a. aufs tiefinnigste erfasst worden.

A. Normann schildert ähnliche Stimmungen mit
stärkerem Accent, aber mit weniger Beseelung und
Diskretion, Anders Zorn, der in Italien zuerst durch
sein Selbstporträt in den Uffizien berühmt geworden
ist, hat mehrere in glänzender Technik ausgeführte
Skizzen eingesandt. Die Porträtbilder des Schweden
Ross und des Dänen Paulsen hängen sich gegenüber
an derselben Wand, die eine theatralisch-abstossende
Scene aus dem alten Rom des berühmten Russen
Siemiradzky beherrscht. Der erstere hatte das liebens-
würdigere Modell in der reizenden Gemahlin eines
jungen deutschen Diplomaten in Rom, aber als künst-
lerische Leistung sind die zwei Schwestern von Paulsen
nicht allein dem schwedischen Maler, sondern den
meisten Porträtisten überhaupt unendlich weit über-
legen.

Will man einen Begriff erhalten von dem, was
die mächtig aufstrebende russische Kunst heute schon
zu leisten vermag, so konzentrire man die Aufmerk-
samkeit auf Ilja Repins vieldiskutirtes Duell, das
einzige unter allen Gemälden der Ausstellung, das
uns durch ein tiefes dramatisches Interesse fesselt und
darum auch das einzige unter allen, welches eine
ausführlichere Beschreibung verdient. Ein blutiger
Zweikampf zwischen zwei jungen Offizieren ist zu
Ende. Der eine der Duellanten ruht zu Tode ver-
wundet auf der Erde in den Armen eines der Stabs-
ärzte, während der andere die Wunde untersucht,
deren Anblick uns erspart bleibt. Der Gegner hält
krampfhaft die Hand umfasst, die ihm der Sterbende
versöhnend dargeboten, aber unfähig, seine Bewegung
zu verbergen, hat er sich schluchzend abgewandt.
Nicht weniger ergriffen sind die Sekundanten des
Verwundeten, zwei blutjunge Offiziere, von denen sich
der eine mit vorgehaltenem Taschentuch über den
Stabsarzt beugt, entsetzt die fürchterliche Wunde be-
trachtend, während der andere in tiefer Bewegung auf
den jungen Waffenbruder herniederschaut, dessen
Züge schon der Tod gezeichnet hat. Weniger glück-
lich sind die Sekundanten des unglücklichen Siegers
geschildert, die rechts und links etwas abseits er-
scheinen. Beiden ist der Vorfall augenscheinlich „höchst
fatal", und der Graubemäntelte scheint sich schon zu
fragen, ob der Vorfall Folgen für die eigene Karriere
haben könne.

Die Scene spielt in der Lichtung eines Tannen-
waldes, und eben dringen die ersten Strahlen der
aufgehenden Sonne durch das dunkle Grün. Sie
streifen hier und da die Gesichter der Stehenden, sie
zittern unsicher auf den Stämmen der Bäume, als
suchten sie den Weg mit einem letzten Blick und
 
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