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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Lier, H. A.: Korrespondenz aus Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0066

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H5

Korrespondenz ans Dresden.

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Glauben erweckte, dass die Annahme des Münchener
Pressausschusses auch von ihnen als wahr angesehen
würde. Selbst zugegeben, dass der Besuch in Dresden
zufriedenstellend war, so müssten erstens, um ihn mit
dem Münchener vergleichen zu können, die genauen
Ziffern beider Veranstaltungen bekannt sein, was bis
jetzt unseres Wissens nicht der Fall ist, und zweitens
müsste festgestellt werden können, wie viele Besucher
in Dresden kamen, um die Kunstwerke zu sehen,
und wie viele sich hauptsächlich durch die Abend-
konzerte und festlichen Veranstaltungen aller Art, z. B.
durch die Feuerwerke und vornehmlich durch die
Aussicht, den König von Siam und sein Gefolge zu
sehen, anziehen Hessen. Von all dergleichen mit der
Sache selbst nicht im geringsten im Zusammenhange
stehenden Anziehungsnütteln hat man bisher in Mün-
chen noch niemals Gebrauch gemacht. Wer die dortige
Ausstellung besucht, weiss von vornherein, dass ihm
in ihr keine anderen als rein künstlerische Genüsse
geboten werden, und wenn wirklich in einem Sommer,
nachdem das Publikum in München jahraus, jahrein
mit kleineren und grösseren Kunstausstellungen aller
Art sozusagen fast überfüttert worden ist, der Besuch
der Einheimischen einmal geringer, als es wünschens-
wert erschien, ausgefallen ist, so wird doch kein ruhig
und klar denkender Mann daraus den Schluss ziehen
wollen, wie es voreiliger Weise geschehen ist, dass
der Kunstsinn in München geringer sei als in Dresden,
wo überhaupt dem Publikum zum ersten Mal Gelegen-
heit geboten wurde, eine Kunstausstellung grösseren
Stils zu besichtigen. Es wäre daher sehr wünschens-
wert, um ein klares Bild der Dresdener Verhältnisse
zu gewinnen, wenn das Ausstellungskomitee eine ge-
naue Statistik nicht nur über den Besuch, sondern
auch über die Höhe der Ankäufe durch Private ver-
öffentlichen und überhaupt eine leicht übersichtliche
Abrechnung vorlegen wollte, da es nicht genügt, bloss
zu wissen, dass die Ausstellung mit einem Defizit von
75000 Mark abgeschlossen hat. Da die Anschaffungen,
welche aus Staats- und Stiftungsgeldern für die Kgl-
Sammlungen gemacht worden sind, geradezu staunen-
erregend reichlich ausgefallen sind, kann die Summe
der Erwerbungen aus den Mitteln Privater nicht be-
sonders erheblich sein. Bei diesem Punkte vor allem
müsste man zu untersuchen anfangen, wenn man noch
einen Massstab für den Kunstsinn einer Stadt erhalten
will. Nach unseren Beobachtungen haben zumeist die
Werke der Bildhauer, und unter ihnen wieder keine
mehr als diejenigen Meuniers, für den allerdings die
Kritik einstimmig eingetreten ist, und die kleineren
kunstgewerblichen Arbeiten den Beifall der Liebhaber
gefunden. Dagegen ist der Absatz von Gemälden
durch Ankauf für Privatbesitz nicht hervorragend ge-
wesen. Dies erklärt sich leicht einmal durch die Höhe
der Preise und dann durch die Neuheit der Eindrücke,

die dem Dresdener Publikum geboten wurden. Uns
ist, von Fachleuten und Künstlern abgesehen, auch
nicht ein Ausstellungsbesucher begegnet, der sich
eigentlich befriedigt ausgesprochen hätte, im Gegenteil
überall, wo man hinkam und nicht am wenigsten in
der Ausstellung selbst, hörte man dieselben alten faden
Witze über die moderne Kunst, die seit Jahren an der
Tagesordnung sind, und wenn sie vielleicht nicht so
laut wurden, wie dies in den Berliner Ausstellungen
der Fall zu sein pflegt, so liegt das daran, dass über-
haupt der Dresdener öffentlich bescheidener aufzutreten
pflegt, als der Berliner. Auch scheint er in der That
der Belehrung nicht unzugänglich zu sein. Die von
Kritikern und Kunstfreunden in der Ausstellung selbst
abgehaltenen Vorträge, die dazu bestimmt waren, dem
Publikum in Anknüpfung an die Kunstwerke der Aus-
stellungen das Verständnis für die Bestrebungen der
Modernen zu erschliessen, waren stets gut besucht und
wurden mit sichtlichem Interesse aufgenommen. Auf
diesem Wege mag ein kleiner Bruchteil der Vorher-
eingenommenheit in einem Teil des Publikums be-
seitigt worden sein, doch glauben wir nicht daran,
dass die Ausstellung genügt hat, ein wirkliches Kunst-
verständnis in weiteren Schichten der Dresdener Bür-
gerschaft zu begründen.

Deshalb ist es von allergrösster Wichtigkeit, dass
dem Publikum auch in den Zeiten, in denen eine
grössere Ausstellung nicht abgehalten werden kann,
Gelegenheit geboten wird, sich durch kleinere Unter-
nehmungen dieser Art über die Entwicklung der Kunst
auf dem Laufenden zu erhalten. Denn nur der, der
sozusagen mit und in der Kunst lebt, wird im stände
sein, die Absichten der Künstler zu verstehen und sie
durch seine Anteilnahme an ihrem Schaffen zu stützen
und zu fördern. Aus diesem Grunde muss man die
anfangs Oktober erfolgte Eröffnung einer neuen
«Permanenten Ausstellung von Gemälden und Skulp-
turen", die Herr Arno Wolffram ins Leben gerufen
hat, mit Freuden begrüssen. Sie ist in denselben
Räumen des Victoriahauses untergebracht, in dem
früher der Lichtenberg'sche Kunstsalon Morawe's zu
finden war, und zeigte sich gleich in den ersten Tagen
reichlich, fast sogar zu reichlich beschickt. Leider aber
entsprach die Qualität der ausgestellten Bilder keines-
wegs den Anforderungen, die man an ein gut gelei-
tetes Unternehmen stellen darf. Man bekam die
richtige Kunsthändlerware zu sehen, alles bunt durch-
einander gewürfelt, hier und da ein Name von gutem
Klang, aber keine einzige Nummer von wirklichem
Kunstwert. Allerdings war Hermann Hendrich mit
einer Kollektion von Ölgemälden vertreten, die von
einem Teil der lokalen Kritik als wahre Wunderwerke
gepriesen werden. Wir hoffen, dass die Dresdener in
der internationalen Ausstellung so viel gelernt haben,
um die Verkehrtheit dieser Anpreisung zu durch-
 
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