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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Frizzoni, Gustavo: Neuigkeiten aus der Brera in Mailand
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0203

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38g

Neuigkeiten aus der Brera in Mailand.

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die Figur eines heiligen Paulus von Marco d'Oggiono
und gewissermassen als Gegenstück die eines Johannes
des Täufers, welcher dem Bramantino zugeschrieben ist,
nach besonderen Merkmalen aber als ein Werk des
selten vorkommenden Martino Piazza von Lodi zu
bezeichnen wäre (mit der Jahreszahl 1519). Ferner
einige gute Bilder aus der Mailändischen Schule vom
17. Jahrhundert. Oberhalb einer der neuen Thüren aber
befindet sich noch die insofern kunstgeschichtlich inter-
essante Halbfigur eines heiligen Rochus, als sie laut
Inschrift (Bnardinus Borgognonus p. 1523) von dem
sonst kaum bekannten jüngeren, aber auch schwäche-
ren Bruder des Ambrogio Borgognone stammt.

Treten wir in den zweiten Saal, so ist eigentlich
nur eine Neuigkeit anzugeben, die aber nicht ohne
Belang ist, nämlich das mächtige Breitbild mit der
ausgedehnten Scene der Kreuzigung, von dem etwas
trockenen, aber redlichen Veroneser Michele da Verona
(bezeichnet und datirt 1501), früher in der Stephanus-
kirche.

Neben und oberhalb der neuen Thüre im dritten
Saale finden wir sodann drei höchst gefällige neue Er-
scheinungen. Zwei sogenannte Sante Conversazioni
von Paris Bordone, wovon die eine aus dem Erzbistum
stammt und sich durch erstaunliche Leuchtkraft des
Kolorits auszeichnet. Edel und würdevoll und in sehr
harmonischer Farbe gehalten ist das dritte Stück, vom
älteren Bonifazio, die Ehebrecherin vor Christus dar-
stellend. Nach dem Katalog der Berliner Galerie soll
es eine „Wiederholung, wahrscheinlich Kopie" eines
ähnlichen Gemäldes in der dortigen Galerie sein, was
aber kaum zugegeben werden kann, da in den beiden
Bildern nur die Figur der Ehebrecherin ähnlich dar- j
gestellt ist, und das Gemälde der Brera dem Berliner
Bilde augenscheinlich überlegen und gewiss früher
entstanden ist, wie man schon aus der Photographie
erkennen kann. Dieses Werk, das wegen seines
schlechten Zustandes lange Zeit nicht ausgestellt war,
nimmt sich jetzt nach der verständigen und gewissen-
haften Restauration von Prof. Cavenaghi wie eine neue,
höchst erfreuliche Erwerbung aus.

Das wichtigste Neue steht uns aber bevor, wenn
wir in den Saal des Sposalizio von Rafael treten.
Vis-ä-vis vom herrlichen jugendlichen Correggio, der
auch (wie schon anderswo erwähnt) aus der erzbischöf-
lichen Sammlung ausgewählt wurde, ist nunmehr das
kürzlich angekaufte Tafelbild von Giov. Ant. Beltraffio
aufgestellt, leider nur ein Bruchteil, aber dennoch
welch ein gediegenes Stück! Zwei Personen, Mann
und Frau in schwarzen, seidenen und damastenen
Gewändern, knieen in freier Landschaft als andächtige
Donatoren im Gebete versunken; das übrige fehlt leider,
nämlich in der Höhe die nur zu ahnende Erscheinung
der Jungfrau auf Wolken und zu den Seiten die
Heiligen, die nach gewohnter Sitte ihren Schützlingen

beistehen und sie, als himmlische Fürbitter, empfehlen
sollen. In den zwei vorhandenen Gestalten aber tritt
uns die Trefflichkeit des Urhebers als Porträtmaler in
ausgeprägter Weise entgegen. Vergleicht man dieselben
sowie die Landschaft, die sie umgiebt, mit dem grossen
Bilde von Beltraffio im Louvre, so dürfte kaum der
leiseste Zweifel übrigbleiben, dass wir es hier mit
diesem strengen und stilvollen Schüler des Lionardo
da Vinci zu thun haben.

Über die Herkunft des Bildes ist nichts weiter
ermittelt, als dass es sich in der Sammlung Bonomi
Cereda befand, welche bekanntlich vor zwei Jahren
versteigert wurde. Es kam für den mässigen Preis
von 8500 Lire in die Galerie, zur rechten Zeit, um
die empfindliche Lücke auszufüllen, welche sich durch
gänzlichen Mangel eines Werkes Beltraffio's fühlbar
machte.

Während im anstossenden kleinen Raum mit
Oberlicht die geistreich behandelte Zeichnung des
Abendmahls, von Gaudenzio Ferrari, gleichfalls aus
der genannten erzbischöflichen Sammlung, zu sehen
ist, begegnen wir im siebenten, oberhalb der herrlichen
Bildnisse von Lotto einem neuen Gemälde von derselben
Herkunft, nämlich der Madonna mit dem Kinde von
Romanino, in seinem fetten und saftigen Vortrag sehr
bezeichnend für den Meister.

Zuletzt bleibt noch eine neue Erwerbung von
ganz specieller künstlerischer und zugleich historischer
Bedeutung zu nennen. Ein Werk von Angelo Bron-
1 zino, in welchem, mit den Attributen des Seegottes
Neptun, kein anderer als der berühmte Doge von
Genua, Andrea Doria, dargestellt ist. Er ist in Drei-
viertelfigur, in ziemlich vorgerücktem Alter, fast ganz
nackt (den Dreizack und einen Mastbaum zur
rechten Seite und ein Segel zur linken), mit strengen
Gesichtszügen und lang herabwallendem Bart in
Dreiviertelansicht dargestellt, an der oberen Seite links
mit den ganz zuverlässigen Buchstaben A. DORIA
bezeichnet, ohne die man schwerlich an die genannte
Persönlichkeit hätte denken können, wiewohl die Züge
mit denen übereinstimmen, die Leone Leoni in der
Medaille des Andrea Doria dargestellt hat.

Hingegen ist es merkwürdig, dass gar keine
Ähnlichkeit zwischen diesem Bildnis und dem wohl-
bekannten von Sebastiano del Piombo in der Galerie
Doria Panfili besteht. Da letzteres nun — stets im
Besitze der Familie Doria — jedenfalls auf eine direkte
Aufnahme des berühmten Mannes zu deuten scheint,
da es in den Gesichtszügen wesentlich mit dem
Bildnisse übereinstimmt, das sich im Palazzo
Doria in Genua befindet, und denselben in hohem
Alter darstellt,1) so ist wohl anzunehmen, dass das

1) Man vergleiche die Photographie von Braun aus der
römischen Galerie und diejenigen von Noack in Genua.
 
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