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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 9.1898

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Rosenberg, Adolf: Die große Kunstausstellung in Berlin, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5777#0258

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Die grosse Kunstausstellung in Berlin.

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und holländische Maler angemessen vertreten, am
besten Evariste Carpentier, Franz Courtens und H.
W. Mesdag, deren Eigenart jedem Kunstfreunde ver-
traut ist, dann der Amsterdamer H. W. Jansen, der mit
grossem koloristischen Feingefühl die Strassen, Plätze
und Grachten der nordholländischen Städte bei schnee-
schwerem Himmel und im Schneekleide auf der Erde
schildert, und der frische, kecke B. M. Coldewey in
Dordrecht, der mit sicherem, scharf die Tonwerte hin-
setzendem Pinsel Frühlings- und Herbstbilder im reichen
Laubschmuck und mit lebhafter Beteiligung der hei-
mischen Menschen malt.

Alles Ausländische, die Münchener Secession mit
eingerechnet, die für Berlin nur einen Auszug aus
ihren vorjährigen Ausstellungen in München und
Dresden übrig gehabt hat, verschwindet aber unter
der Berliner Produktion. Sie könnte allein die
künstlerischen Kosten einer Berliner Ausstellung be-
streiten. Aber sie wurde nicht bloss räumlich, sondern
auch — wie allgemein behauptet wird — nach ästhe-
tischen Rücksichten eingeschränkt. Dem letzteren Teil
dieser allgemeinen Behauptungen darf man nicht un-
bedingt trauen. Wenn man von den Führern und
Meistern auf die Schüler schliessen darf, so muss
mindestens ein Stillstand eingetreten sein. Vielleicht
auch ein trauriger Rückgang, den die mitleidsvolle
Jury durch Bewahrung seiner Zeugnisse vor den
Blicken des Publikums sanft verschleiert hat. Nach
der grossen Anstrengung des vorigen Jahres hat Max
Liebermann für die diesjährige Ausstellung nur ein
kleines Sonnenlichteffektstück „Sonntag-Nachmittag in
Laren" — Waisenmädchen, die in einem Gehölz lust-
wandeln — hergegeben. Es ist ein schon oft von
ihm behandeltes Motiv, dem er aber keine neue Seite
abzugewinnen versucht hat. Das Ganze ist nur auf
reine Tonwirkung gestellt, ohne dass dem Figürlichen
eine besondere Beachtung geschenkt worden ist. In
einem „ Schnitter", der bei hereinbrechendem Abend
über die Felder einem Dorfe zuschreitet, hat sich
F. Skarbina ähnlichen, in eine einsame Landschaft
hineingestellten Figuren Liebermann's mehr genähert,
als seiner Originalität zuträglich ist. Dagegen schliesst
sich Ludwig Dettmann's Eigenart in seinem » Feier-
abend", einer Dorfgasse, über die die untergehende
Sonne ihre glühendroten Lichter wirft, mit Männern,
Frauen und Kindern immer schärfer von fremden Ein-
flüssen ab. Es scheint, als ob hier bereits die Anfänge
zu einer neuen Art von Genremalerei oder, wenn
man diesen alten Begriff durchaus beseitigen will, von
Volkslebenmalerei zuerkennen sind. Störend an diesem
durch und durch gesunden Stück Malerei ist nur der
Bauer, der ganz im Vordergrund an einem Zaun lehnt.
Er ist in den Grössenverhältnissen so völlig vergriffen,
dass man fast glauben möchte, er sei nach einer
Einzelstudie erst später in das Bild hineingemalt

worden. Walter Leistikow und Max Uth, die man
mit Liebermann, Skarbina und Dettmann in einer
Reihe als die Führer der „Modernen" in Berlin zu
nennen gewohnt ist, haben nichts Neues gebracht.
Das kann auch nicht überraschen, da sie ihr Bestes meist
im voraus auf den Winterausstellungen der Kunst-
händler verausgaben. Hugo Vogel hat sich, was nach
seinem künstlerischen Temperament vorauszusehen war,
wieder von den „Modernen« getrennt. Er experi-
mentiert nicht mehr, sondern geht mit kaltblütiger
Ruhe auf seine grossen Ziele los, die nicht bloss in
der Monumentalmalerei, sondern nach wie vor in der
Bildnismalerei stecken. In einem Damenbildnis, dessen
Modell nichts weniger als anziehend oder auch nur
malerisch vorteilhaft war, hat er wieder seine Objek-
tivität gezeigt, die in ihrer fast klassischen Einfachheit
beinahe schon an Holbein erinnert. Die ganze Aus-
stellung hat kein zweites Damenbildnis aufzuweisen,
das sich an Feinheit der Charakteristik, an einfacher
Vornehmheit der Anordnung und an Geschmack in
der koloristischen Durchführung mit dem Vogel's messen
könnte. Ein männliches Seitenstück dazu hat Max
Kpner in einem Bildnis des Grafen Herbert Bismarck
geschaffen. Es ist aber keines der stolz-majestätischen
nach Art der zahllosen Kaiserbildnisse, die Koner ge-
malt hat. Diese haben zuletzt, was bei keiner Massen-
produktion ausbleiben kann, etwas Geschäftsmässiges
bekommen. Der Künstler ist in Koner, wie allgemein
geglaubt wurde, dabei nicht zu Grunde gegangen.
Deutlicher als seine Künstler- und Gelehrtenbildnisse
spricht dieses Bildnis dafür durch die freie Auf-
fassung einer freien Persönlichkeit, die nach niemandes
Gunst fragt, durch die meisterhafte Breite der male-
rischen Behandlung. — Ein ernsthafter Nebenbuhler
Koner's ist in neuerer Zeit Ludwig Noster geworden,
der jetzt namentlich die für Repräsentationszwecke in
öffentlichen Gebäuden bestimmten Bildnisse des Kaisers
malt. Auch er hat in einem Bildnisse des Geheim-
rats Krupp gezeigt, dass er über dem Typischen den
Blick in das Individuelle nicht verloren hat, und dass
er auch den koloristischen Vortrag dem Charakter des
Darzustellenden anzupassen weiss.

Neben der Bildnismalerei blüht immer noch die
Landschaftsmalerei, am meisten freilich die alten Stils,
die durch ein paar hundert Namen vertreten wird.
Demjenigen, dem der Entwicklungsgang der Kunst
noch nicht schnell genug geht, wird es schwer
aufs Herz fallen, dass die Männer des alten Stils, von
denen allerdings die jüngsten noch nicht das dreissigste
Lebensjahr überschritten haben, immer noch die meiste
Gunst des kaufenden Publikums geniessen. Man wird
vielleicht aus dieser Thatsache den ungünstigen Schluss
ziehen, dass es mehr Philister als erleuchtete Geister
giebt; aber diese werden sich zuletzt bequemen müssen,
mit den kaufkräftigen Philistern einen für beide Teile
 
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