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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Kämmerer, Ludwig: Die neueste Eycklitteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0044

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Die neueste Eycklitteraüir.

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unsichere und zittrige Hand zeigt, aus eigner Kraft
zu solcher Abänderung gekommen, ist sehr unwahr-
scheinlich. Anfangs glaubte ich sein Vorbild in dem
kleinen Diptychon der Antwerpner Galerie (Kaemmerer,
p. 76) nachweisen zu können, bis mich genaue Ver-
gleichung davon abbrachte. Nun hat Graf Delaborde
aber ein Exemplar der Komposition in der Grösse
der Federzeichnung (45:23 cm) in Nantes gesehen,
und in überschwänglichen Worten als Original Eyck's
aus seiner besten Zeit gerühmt. Falls es jemals aus
seiner Verschollenheit auftauchen sollte, müsste meines
Erachtens die Frage wiederum zur Diskussion gestellt
werden, ob nicht die Berliner Tafel nur eine Wieder-
holung ist. Ihre unvergleichlich hohen Qualitäten
werden bis dahin jedem ein Recht geben, sie — wie
Voll mit beredten Worten thut (p. 81 ff.) — den
reifsten Schöpfungen Jan's zur Seite zu stellen.

Meine Zweifel an der Rothschildmadonna, deren
Begründung Voll durchaus ignoriert, kann ich —
obwohl sie nicht auf Autopsie beruhen — leider noch
immer nicht beschwichtigen. Das Pariser Bild scheint
mir sogar später zu sein, als die kleine Burleighouse-
madonna in Berlin, die jetzt ziemlich allgemein aus
der Reihe der sicheren Werke Eyck's gestrichen ist.
Die Formen des Stifterantlitzes — das sicherlich dem-
selben Mann angehört wie auf dem Berliner Bild
sind weit leerer und weniger individuell, die Archi-
tektur des Barbaraturms mutet später an, die Gewan-
dung des Karthäusers zeigt gegenüber dem Berliner
Bild, nach dem sie kopiert scheint, reichere, aber
weniger verstandene Motive. Wilhelm Bode teilte mir
s. Z. mit, dass auch er die Rothschildmadonna zu den
zweifelhaften Werken Jan's rechne.

Das Dresdner Reisealtärchen, das — wie Benoit
kürzlich nachgewiesen hat — aus der Sammlung
Jabach stammt, gilt Voll (p. 85) in seinem Hauptteil,
dem Mittelbilde, als unzweideutig echt, die Flügel
dagegen flössen ihm Bedenken ein, was bei der alten
Fassung des Ganzen wohl hyperkritisch genannt
werden darf. Auch die Jncehallmadonna bietet —
zumal hier Voll eingestandenermassen Autopsie mangelt
— nicht genügende Angriffspunkte für eine negative
Kritik, zu der der Verfasser nur allzu sehr neigt, wie
der Anhang seines Buches: »Die dem Jan van Eyck
fälschlich zugeschriebenen Bilder« beweist.

Hier werden auf Grund palaeographischer und
anderer Einwände Gerechte und Ungerechte in gleich
schroffer Weise verdammt. Es wird niemand ein-
fallen, die Bischofsweihe Beckett's, das Doppelporträt
eines Ehepaars in Chantilly, oder den sog. Philipp
den Guten (Federzeichnung im British Museum) für
Jan van Eyck retten zu wollen; auch die beiden
Christusköpfe der Berliner Galerie (pag. 100 und
113) werden im ganzen wohl nur wenig Verteidiger
finden.

Die Frauen am Grabe Christi (Cook-Richmond),
die Flügelbilder in Petersburg (106), das Kruzifix
und die Burleighousemadonna in Berlin, sowie
das Votivbild in Loewen (Sammlung Schollaert,
p. 120), das Greisenporträt der Galerie Oppenheim
zu Köln (p. 122) und der h. Franziskus in Turin

(110)1) sind skeptischen Gemütern seit langem ver-
dächtig. Ganz neu dagegen sind einige andere Ex-
propriierungsversuche, die nicht verfehlen werden,
Aufsehen zu erregen; so wird z. B. das männliche
Porträt der Londoner Nationalgalerie (p. 91), das Voll
mit Denner's Schöpfungen auf eine Stufe stellt, ferner
das — wie zugegeben werden mag — stark über-
malte, aber dennoch sicher Eyckische Bildnis des Jan
de Leeuw in Wien (p. 97), der Männerkopf in Herr-
mannstadt (p. 120), der kleine Ausschnitt aus einem
grösseren Bilde in Berlin (122) und — last not least
— der Mann mit den Nelken (p. 113) aufs bestimm-
teste dem Meister abgesprochen. Im Rahmen einer
kurzen Besprechung lassen sich die sehr geschickten
Argumentationen Voll's kaum einzeln würdigen oder
widerlegen. Ich will deshalb nur auf die Gründe
eingehen, die ihn zu der Entthronung des vielge-
rühmten Mannes mit den Nelken in Berlin bewogen,
da dieses Beispiel vielleicht am ehesten geeignet ist,
darzuthun, zu welchen sonderbaren Schlussfolgerungen
eine anscheinend gründliche, aber befangene Kritik
führen kann. Voll ist sich der Kühnheit seines Unter-
nehmens bewusst, da es sich hier um eine bisher
durchaus unbestrittene Meisterleistung altniederlän-
discher Kunst handelt. Er entwickelt daher seine Be-
denken besonders eingehend. Er wird mir um so
bereitwilliger Objektivität zutrauen, als er (p. 134,
Anm. 75) in meiner Eyckmonographie bereits die
Vorahnung seiner Auffassung zu bemerken glaubt.

Ich kann nicht leugnen, dass die Beobachtungen
Voll's bis zu einem gewissen Punkt überzeugen.
Zunächst tadelt er die Starrheit in Haltung und
Blick, die gewiss keinem Unbefangenen entgehen
wird. Dann äussert er sich abfällig über die kalte,
unreine Färbung des Bildes, um schliesslich in der
zeichnerischen Behandlung besonders stark ausgeprägte
Merkmale manieristischen Abgeschmacks aufzudecken.

Dass die Verwandtschaft mit authentischen Bildnissen
Jan van Eyck's in der Anlage des Kopfes trotzdem jedem
Kundigen in die Augen springt, wagt der Verfasser
nicht zu bestreiten. Um so fremdartiger berührt ihn
das »virtuose, ausgeschriebene Schema von konkaven
und konvexen Linien«, nach dem die Einzelheiten
durchgezeichnet sind. Ich vermag beim besten Willen
den Zwang eines solchen Systems in der zeichnerischen
Behandlung nicht zu verspüren. Dass z. B. der Kontur
der rechten Gesichtshälfte nicht scharf in den Augen-
bogen« einschneidet, erklärt sich meines Erachtens
sehr einfach daraus, dass die Augen des Dargestellten
nicht allzutief in ihren Höhlen lagen. Dieselbe
»Schwäche« findet sich z. B. in dem Porträt des

1) Für dies Bild hat A. Marks unlängst (Athenaeum
1900, p. 66) eine Lanze gebrochen, indem er die Zwerg-
palmen des Hintergrundes (chamaerops humilis) als Be-
weis dafür anführt, dass das Bild von einem in Südeuropa
gereisten Maler herrühren müsse. Darum braucht es aber
keineswegs von Jan van Eyck gemalt zu sein, der auf
seiner Pilgertafel übrigens eine andere Palmenart (Zucker-
palme, Arenga sacchan'fera) verewigt hat. Im ganzen darf
man auf die Eyckbotanik nicht übertriebene Hoffnungen
setzen.
 
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