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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Kämmerer, Ludwig: Die neueste Eycklitteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0043

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6g

Die neueste

Eycklitteratur.

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Abhandlung von Seeck erst während der Drucklegung
seines Buches kennen gelernt hat, auf ihre Benützung
aber verzichten zu müssen glaubte. Er kommt nach
eingehender Prüfung des gesamten Altarwerks zu dem
Schluss, dass Jan die Hauptarbeit daran geleistet hat,
und dass selbst in den Fällen, wo Hubert einzelne
Tafeln angelegt hat, Jan nachträglich alles überging.
»Ich nehme, so schliesst er resümierend, die Inschrift
zwar als wahrheitsgetreu an, betrachte aber Jan, der
Huberts Spuren verdeckte, als denjenigen, der für uns
als der Meister des Altares gelten muss.« Ohne mich
dieser Auffassung durchaus anschliessen zu können,
glaube ich, dass sie der Wahrheit erheblich näher
kommt als die Seeck's.

• Wer die Schranken der Stilkritik enger zieht als
beide Forscher, wird zugeben, dass heute, wo die
einzelnen Teile des Altarwerks an drei verschiedenen
Orten aufgesucht werden müssen, auch dem Be-
gabtesten schwerlich eine genaue Abgrenzung des An-
teils gelingen wird. Eine zeitweilige Vereinigung aller
Bestandteile an einem Ort, für die die geplante Aus-
stellung in Brüssel anfangs Chancen zu bieten schien,
könnte allein solchem Bemühen einigen Erfolg ver-
sprechen. So lange man aber dabei auf Gedächtnis
und Photographien — oder gar Zinkotypien — an-
gewiesen ist, sollte man jede endgültige Entscheidung
dieser difficilen Frage aufschieben.

Voll hat vor Seeck den grossen Vorsprung voraus,
dass er die meisten Arbeiten von Jan van Eyck, über
die er urteilt, im Original eingehend studieren konnte.
Er ist seinem Meister von Madrid bis Petersburg
nachgereist und spricht daher mit der Sicherheit des
Autopten. Dass dabei gelegentlich die Freude an
neuen Entdeckungen die Sehfähigkeit und die ruhige
Erwägung beeinflusst, wird jeder erfahren haben, der
ähnliche Untersuchungen betrieben hat. Voll weiss
indes in seinen Ausführungen durchaus die über-
legene Ruhe sorgfältig abwägender Kritik zu wahren.
Er wird daher auch einer Kritik seiner Bestimmungen
kaum unzugänglich sein, die von dem gleichen Be-
streben, der Wahrheit näher zu kommen, getragen
ist. Gewisse Ergebnisse seiner Studien fordern dazu
auch den heraus, der jedem Autoritätendogma abhold
ist. Freilich hat er zur Abwehr das Schlagwort be-
reit, man möge ihm das Gegenteil seiner Ansicht
beweisen. Gerade seine Ausführungen aber machen
uns klar, dass gewisse Dinge in der Kunstgeschichte
nicht zu beweisen sind.

Methodisch richtig beginnt Voll mit der genauen,
viel Feingefühl verratenden Analyse authentischer und
chronologisch gesicherter Werke des Meisters, dem
Tymotheos-Porträt der Londoner Nationalgalerie von
1432, dem Verlobungsbild des Arnolfini von 1434
— vielleicht der höchststehenden Leistung Jan's —
der Palamadonna in Brügge (1436), der Barbara in
Antwerpen (1437), dem Bildnis seiner Frau (1439),
und der Brunnenmadonna aus demselben letzten
Lebensjahre des Malers. Seine Auffassung von der
Thätigkeit Jan's am Genter Altar (II. Kapitel) ist oben
bereits gewürdigt. Eine inzwischen im Repertorium
für Kunstwissenschaft veröffentlichte Zusammenstellung

aller älteren litterarischen Zeugnisse über das Haupt-
werk der Brüder van Eyck ist, da sie Bekanntes viel-
fach in neuem Licht erscheinen lässt, mit Dank zu
begrüssen. In einem dritten Kapitel des Buches folgen
»die unbezeichneten echten Bilder«. Die Verkündigung
in Petersburg wird — zunächst »aus allgemeinen
Empfindungen heraus« — vor 1432 angesetzt. Wenn
mich einige Züge veranlassten, sie um die Zeit der
Palamadonna zu datieren (1436), so gestehe ich gern,
von den Gründen Voll's bekehrt zu sein. Dagegen
glaube ich, an der späteren Datierung der Rolin-
madonna, die nach Voll ebenfalls zu den frühesten
Arbeiten des Meisters (zwischen 1425—1428) gehört,
festhalten zu dürfen. Dafür spricht — abgesehen von
dem vermutlichen Alter des Stifters, der 1376 geboren
ist — auch die enge Verwandschaft des Madonnen-
typus mit dem Frankfurter Bildchen, für das auch
Voll die Grenze bis zum Jahre 1436 hinabrückt.

Dass die Dresdner Bildnis-Zeichnung des sog. Kar-
dinals von Sa. Croce nicht von Jan herrühren, viel-
mehr »eine sehr fleissige Kopie« nach dem Wiener
Gemälde sein soll (p. 77), wird mir sehr schwer zu
glauben. Die Abweichungen in der Anlage des
Kopfes sind erheblich, und zwar scheint der Maler bei
der Ausführung in Oel manches gemildert und aus-
geglichen zu haben, was in der Silberstiftstudie, die
unmittelbar vor der Natur gemacht wurde, als be-
sonders charakteristisch um dem Gedächtnis zu
Hilfe zu kommen stärker betont wurde. Die
Freiheit und Sicherheit der Silberstiftführung, wie sie
sich in der Modellierung des Mundes, der Behand-
lung des Haars und der Hautfalten manifestiert, ist
einem Kopisten nicht zuzutrauen. Voll nimmt An-
stoss daran, dass Eyck sich auf der Vorzeichnung
Farbennotizen für die Ausführung gemacht haben
solle, weist aber selbst darauf hin, dass Holbein ähn-
lich verfahren ist. Auch von Dürer besitzen wir Ent-
würfe mit solchen Farbennotizen. Schon die Art der
Farbenangaben — blässlich, hellbläulich, weisslich,
rötlich etc. — spricht eher für eine vorbereitende
Skizze, als für eine Kopie nach farbigem Original.

Die Vergleichung von Federzeichnung und Oel-
bild gleicher Komposition ist stets ein gutes Mittel,
den Blick zu schärfen. Wohl keine Komposition des
Jan van Eyck ist so oft wiederholt worden, wie die
Kirchenmadonna, als deren Archetyp das kleine Bild-
chen in der Berliner Gemäldegalerie gilt. Unter an-
deren existiert in der Sammlung Charles Robinson
in London eine Federzeichnung (Kaemmerer, Eyck,
p. 77), die grösser ist als das Bild in Berlin (45:23
cm), im übrigen aber dessen Komposition ziemlich
wörtlich wiedergiebt. Soweit ich feststellen konnte,
ist das Format der Zeichnung breiter, ebenso die
Proportionen der Gottesmutter weniger schlank und
das Triumphkreuz auf dem Lettner der Kirche mehr
nach links vor eine Pfeilerachse gerückt. Das alles
aber würde mich nicht bestimmt haben, eine andere
Vorlage für diese Zeichnung zu suchen, wenn nicht
die üewandbehandlung so viel mehr Energie und Be-
stimmtheit zeigte, als das vermeintliche Vorbild. Dass
der Zeichner, der in andern Einzelheiten eine recht
 
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