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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Schleinitz, Otto von: Sizeranne's Werk über zeitgenössische englische Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0122

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227 Sizeranne's Werk über zeitgenössische englische Malerei. 228

nur mit dem einen Gedanken, ihre Bedeutung zu er-
gründen, ihre Lehren sich zu wiederholen, ohne die
kleinste Kleinigkeit zu vernachlässigen, nichts gering
zu achten, ohne einzelne Stücke herauszugreifen.«
So hatte ein Schriftsteller die genaue Formel des
Realismus lange Zeit vor den Realisten angegeben.
Aber um eine Revolution in der Malerei zu machen,
genügt selbst der beredste Kritiker nicht, dazu gehören
Maler.

Diese zeigt uns das zweite Kapitel mit dem Titel
»Die präraphaelitische Schlacht«. Sie wurde im
Jahre 1848 begonnen und siegreich 1857 durch-
gekämpft. Aber der Sieg bedeutete auch die Trennung.
Von den drei Künstlern, die den Bund gegründet,
geht nach der gewonnenen Schlacht Millais seine
eigenen Wege. Bei einem zufälligen Zusammentreffen
tauschten Rossetti, Hunt und Millais übereinstimmend
ihre Ansichten dahin aus: Wenn man Meister zu
finden gedenke, denen man ohne Furcht folgen könne,
müsse man bis vor Raphael zurückgehen. Hiermit
erblickte der Präraphaelismus das Licht der Welt!
Rossetti war vor allem Dichter und beredt, Millais
war Maler und talentvoll, Hunt glaubte und stellte
das positiv christliche Element in der Vereinigung
der neuen Brüderschaft dar. Später traten dem Bunde
noch andere Künstler bei.

Die Abkehr Millais' bezeichnete Ruskin als einen
moralischen Selbstmord, aber er vergass hierbei, dass
er selbst Evolutionen durchmachte. Sizeranne erwähnt
leider nicht, warum Ruskin sich so sehr über Millais
entsetzte. Dieser machte nämlich den Versuch, alle
seine Werke zurückzuerlangen, um sie entweder zu
vernichten oder zu verändern. So haben unsere
Väter z. B. in dem Gemälde »The Vale of Rest«,
in der modernen britischen Galerie jetzt befindlich,
die Nonnen noch mit recht hässlichen Köpfen ge-
kannt, die Millais nachher verschönte. Dann erwähnt
Sizeranne nichts von den intimen Beziehungen beider,
die doch von grösstem Einflüsse auf ihr ganzes
Leben wurden. Wenn der Schüler seinem Meister,
Wohlthäter und Freunde die Frau abwendig machte,
um sie selbst zu heiraten, so ist dies doch eine That-
sache, die auf ihr gegenseitiges Verhältnis und ihre
eigene künstlerische Schaffensthätigkeit von höchstem
Einflüsse sein musste.

Im dritten Kapitel werden »Die Definition und
die Resultate des Präraphaelismus« von Sizeranne
dahin präcisiert: »Im ganzen betrachtet, von Madox
Brown bis zu Millais, von Watts bis zu Rossetti, von
den Kartons von Westminster bis zu dem »Lebewohl
an England«, vom »Festmahl Isabella's« bis zu den
«Hugenotten« sowohl,als auch von der »Verkündigung«
bis zu »Dante's Traum«, war die Bewegung von 1850
folgende: Neue Menschen, die eine neue Kunst
schaffen wollen, indem sie die individuelle, vorher
noch nicht angewendete und eigentümliche Geberde
und Pose an Stelle der banalen, abgebrauchten und
nichtssagenden setzen, und welche eine freie, trockene,
durch ihre Nebeneinanderstellung brillante Farbe der
gemischten, verschwommenen und durch die vielen
Übermalungen verdunkelten und schwer gewordenen

Farbe vorziehen, mit einem Worte; die dekorativen
Linien durch ausdrucksvolle und die warmen Töne
durch lebhafte ersetzen wollen. Das ist die einfachste
Erklärung für das, was der Präraphaelismus war.
Alles andere ist nichts als Wortklauberei.«

Zu dieser Erklärung möchte ich aber doch
noch ergänzend hinzusetzen: Die zu der Gemein-
schaft gehörenden Elemente suchten nach der Ver-
wirklichung eines neuen künstlerischen Ideals, das
seinen Inhalt aus der unmittelbaren Anschauung
schöpfen sollte. Der innere Widerspruch aber, der
den Keim der Auflösung bereits in sich trug, bestand
darin, dass diese Gruppe zwar ein neues Ideal suchte,
jedoch thatsächlich, bewusst und unbewusst, sowohl
technisch, wie inhaltlich, die Vorgänger Raphael's
nachahmte. Ursprünglich hervorgegangen aus dem
Protest gegen alles Konventionelle, Unwahre und Ge-
künstelte, hat die Schule nicht nur viel Gutes ge-
schaffen, sondern schliesslich sogar eine nationale
englische Kunst hervorgebracht. Wenn einzelne der
Nachfolger der Brüderschaft in Absonderlichkeiten
ausarteten, so sind hierfür keinenfaüs ihre ersten
Mitglieder verantwortlich zu machen. Rossetti, Ruskin,
Swineburne und William Morris sind als Schriftsteller
die besten typischen Vertreter ihrer Epoche. Rossetti
war also in doppelter Beziehung für die neue Be-
wegung entscheidend.

In sieben brillanten Essays giebt der Verfasser im
zweiten Teile des Buches eine der lichtvollsten Dar-
stellungen des Schaffens der sieben bedeutendsten
englischen Maler der Jetztzeit. »Ich male Gedanken
und nicht Dinge,« beginnt mit Recht, einen Aus-
spruch Watts' anführend, das erste Kapitel, welches
diesem gewidmet ist und dessen Überschrift lautet:
>Die mystische Kunst.« Mit vielem Geschick wird
Watts als ein höchst eigenartiger Maler der Liebe und
des Todes hingestellt, der ewige Wahrheiten bildlich
zum Ausdruck bringen will. Bei keinem mir be-
kannten Menschen decken sich Worte und Handeln
des Künstlers und des Individuums so ohne Rest
wie bei Watts. Absolut Neues über Watts zu sagen,
hält schwer, aber wie Sizeranne seinen Stoff zusammen-
stellt, gewährt schon allein vom litterarischen Stand-
punkt aus einen hohen Reiz. Der Autor erwähnt von
Watts, dass er nur noch für den Ruhm schafft, er
hätte aber hinzufügen sollen: »Für den Ruhm Eng-
lands.« Diesen Ausspruch habe ich oft genug von
dem Meister persönlich gehört! Bekanntlich schenkt
Watts oder vermacht alles, was er jetzt noch fertig-
stellt, den öffentlichen Kunstinstituten seines Vater-
landes.

Auch wäre es wünschenswert gewesen, der Porträt-
malerei des Künstlers gleiche Aufmerksamkeit, wie
seiner Symbolik zu schenken. Rossetti hat auf Watts
fast gar keinen Einfluss ausgeübt.

Das zweite Kapitel gehört Holman Hunt, den
Sizeranne bewundert. Er spricht sogar mit Enthusiasmus
von dem »Triumph der Unschuldigen«, einem Bilde,
welches selbst seinen aufrichtigsten^Freunden in Eng-
land Zweifel erregte. Mit vollem Rechte aber sieht
der französische Kritiker in Hunt den Repräsentanten
 
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