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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Schölermann, Wilhelm: Ältere und neuere Kunst in Hamburg, [1]
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357

Ältere und neuere Kunst in Hamburg.

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1862 auf einer Versteigerung in Paris auf, wo die
jetzt noch davon erhaltenen neun Tafeln für die
grossherzogliche Galerie in Schwerin erworben wur-
den. Von dort hat sie nach längeren Unterhand-
lungen die Hamburger Kunsthalle für ihre historische
Sammlung angekauft.

Spärlich und lückenhaft scheinen die Reste aus
früherer Zeit, die bis auf uns gekommen sind, in
Bezug auf Bilder und Miniaturen. Aber in den Ur-
kunden, die trotz vielfacher Unglücksfälle — worunter
der grosse Brand von Hamburg und die Plünderung
durch französische und russische »Einquartierung«
während der Befreiungskriege zunächst in Betracht
kommen — heute noch erhalten sind, lassen sich
Spuren einer bedeutenden Produktion nachweisen.
Vor sechzig Jahren hat Lappenberg in seinen Bei-
trägen zur älteren Kunstgeschichte Hamburgs die sehr
zerstreuten Materialien zusammenzustellen versucht und
im Jahre 1866 in der Zeitschrift des Vereins für
hamburgische Geschichte veröffentlicht. Es geht aus
diesen Aufzeichnungen zunächst hervor, dass die drei
Gewerbe der Maler, Glaser und Lederarbeiter ursprüng-
lich — wie in Köln, Basel und Osnabrück in
einer grossen Zunft zusammenstanden. Aus dieser
Verschmelzung gewinnen wir eine deutlichere Vor-
stellung davon, wie die Malerei auf dem festen Unter-
grund des Handwerks langsam emporwächst, und wie
in allen bürgerlichen Verhältnissen die Maler nicht
als einzelne Künstler, sondern als Zunftmitglieder und
Handwerksmeister zu denken sind. Den Bilderschmuck
auf den Schildern besorgten die Maler ebenso wie
die Figuren, Ornamente, Wappen und die bunten
Kirchenfenster. Das Zeitwort schildern und der
Ausdruck Schilderei für Malerei — der noch heute
in Holland üblich ist — dürfte zweifelsohne auf
diese »Schildermaler« zurückzuführen sein. Zum
Ausstellen ihrer Arbeiten mieteten die Maler vom
»StadtVerwalter« Buden; die erste derartig überlieferte
»Schilderbude« für den Maler Hermann, wurde um
einen Jahreszins von »drei Pfund Pfennigen« um
1350 gemietet, während als ältester bekannter Maler
in Hamburg der Meister Stadingus um 1294 er-
wähnt wird. Von der Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts ab kennen wir eine Reihe von Malernamen,
unter denen der wichtigste, Bertram von Minden,
1383 die grosse Altartafel von St. Petri lieferte, die
bei dem Brande der alten Kirche zu Grunde ging.
Für die Beurteilung Meister Francke's kann wahr-
scheinlich dieser Bertram von Minden mittelbar oder
unmittelbar in Betracht kommen, obwohl wir nicht
nachweisen können, ob er sein Lehrer gewesen sei.
Es finden sich bei Meister Francke wohl Anklänge
an Westfälisches, aber ob seine frühen Arbeiten, die
etwa um 1410 anzusetzen sind, zu der Annahme
berechtigen, dass er in Westfalen eine Lehrzeit durch-
gemacht, oder diese Anklänge auf ganz allgemeine
Einflüsse westfälischer Kunst auf Hamburgischem
Boden zurückzuführen sind, lässt sich vorläufig noch
kaum entscheiden.

Was aber untrüglich erwiesen und urkundlich
festgestellt werden kann, ist die Thatsache, dass im

vierzehnten, fünfzehnten und auch noch im sechzehn-
I ten Jahrhundert der Hamburgische Senat eine um-
fassende »Protektion« der heimischen Kunst und
Kunstindustrie zu teil werden liess und sich einer
blühenden Kunst bediente, um im vornehmen Sinne
zu »prunken«, und dass die kleine Stadtgemeinde
ein unvergleichlich viel stärkeres Bedürfnis nach Kunst
empfand, als die jetzige Generation mit ihrem grossen
wirtschaftlichen Aufschwung und den allgemeinen
materiellen Fortschritten. Zweifellos hat gerade diese
einseitige Entwicklung die Entfaltung des Kunstsinnes
zurückgedämmt, der erst in neuester Zeit wieder seine
Fühlhörner schüchtern hervorzustrecken beginnt.

Auch in den Provinzen gab es verschiedene Kunst-
schulen, von denen wir hauptsächlich drei unter-
scheiden können: die Lübecker, die Hannoversche und
die Westfälische, zu denen vielleicht noch, infolge
neuerer Forschungen, eine spezifisch »holsteinisch-
friesische Schule« hinzugerechnet werden muss.

Uber die Lübecker Kunst vor 1530 hat bekanntlich
Adolf Goldschmidt eine ziemlich umfassende Publi-
kation, mit zahlreichen Lichtdrucken begleitet, heraus-
gegeben, unter denen sich jedoch nichts findet, das
wir als Vorbild für Meister Francke ansehen dürfen.
Ebensowenig deuten die Schätze des Hannoverschen
Provinzialmuseums — die Lüneburger Goldene Tafel
und der Göttinger Altarj[— darauf hin, dass dort die
Entwicklung der Hamburgischen voraus gewesen
wäre, obwohl« besonders der Buxtehuder Altar ein
sehr hervorragender historischer Beleg für die Selb-
ständigkeit der hannoverschen Schule ist. Am nächsten
steht Westfalen, das besonders im zweiten Drittel des
vierzehnten Jahrhunderts seinen Überschuss an physi-
schen und geistigen J Kräften an die ostdeutschen
Städte abgegeben hatte. Mehr als eine allgemeine
Rassenverwandtschaft kann aber auch in dieser Rich-
tung nicht: nachgewiesen werden.

Hinsichtlich derjKölner Schule äussert Lichtwark
seine Bedenken dagegen, alle gleichzeitige Produktion
I auf irgend eine Art mit ihr in Beziehung bringen zu
wollen, indem er sagt:

»Wenn wir heute die gleichwertigen Bilder aus
j der Kölner Schule vor 1430 auf eine etwaige Ver-
wandtschaft mit Francke ansehen — es kommen
eigentlich nur der Ciarenaltar im Kölner Dom, die
interessante Kreuzigung der Familie Wasserfass und
die Madonna mit der Bohnenblüte im Wallraf Richartz-
Museum in Betracht — so fällt es schwer, irgend
eine nähere Beziehung zu entdecken. Was verwandt
ist, erklärt sich aus der gleichen Zeit und der gleichen
Rasse. In jüngster Zeit hat man mehr auf die Selb-
ständigkeit der verschiedenen deutschen Kulturcentren
jener Tage achten gelernt und sieht eine aus dem
Wesen der Zeit stammende Ähnlichkeit nicht gleich
als Abhängigkeit an.«

Auch Schlie, der Direktor des Schweriner Museums,
führt bereits in seinem Katalog von 1882 in der Ein-
leitung aus, dass der Hamburger Meister trotz allge-
meiner Verwandtschaft mit den Kölnern keineswegs
aus ihrer Schule zu sein brauche. »Es kann vielmehr
recht wohl angenommen werden, dass beide, ebenso
 
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