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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0203

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38g

Bücherschau.

390

Aber selbst, wer diese petitio principii in den Kauf
nimmt, wird schwerlich allen Folgerungen beipflichten,
die der Verfasser im Laufe seiner schwungvollen Aus-
führungen zieht. Die Mystik ist nach ihm das Band,
das die Schöpfungen der gotischen Baukunst, des deutschen
Kupferstichs und Holzschnitts, Albrecht Dürer's, Grune-
wald's, Rembrandt's, Richard Wagner's unlöslich verknüpft.
Von dieser Ansicht her konstruiert er sich eine mystische
Geschichte der deutschen Kunst.

Ich glaube, auf einen Hauptfehler solcher Konstruktion
aufmerksam machen zu sollen. Das Lebenselement der
Mystiker war die Vision, das übersinnliche Sehen. Nun
ist zweifellos die Thätigkeit der bildnerischen Phantasie
in mancher Hinsicht der Vision verwandt, ja man kann jede
Phantasieschöpfung vergleichsweise als Ergebnis einer
Vision bezeichnen. Diese Verwandtschaft darf uns aber
nicht dazu verführen, einen unmittelbaren Causalnexus
zwischen beiden Erscheinungen herzustellen. Die christ-
liche Religionsüberlieferung kennt die Vision bereits lange
vor dem Entstehen der eigentlichen Mystik. Als land-
läufigstes Beispiel sei die Apokalypse Johannis genannt.
Die mittelalterliche Kunst war kirchlich-religiös, daher
konnten ihr visionäre Vorstellungen unmöglich fremd sein.
Diese Thatsache ist von Peltzer dahin missdeutet worden,
dass die visionär-schaffende Phantasie die eigentliche Trieb-
kraft deutscher Kunst sei (p. 84), ja dass die letztere eigent-
lich eine Art Verdichtung mystischer Visionen darstelle.

Dagegen muss aus verschiedenen Gründen Einspruch
erhoben werden. Wenn die Frage gestellt würde, welche
Elemente den entscheidenden Umschwung der künstlerischen
Entwicklung bestimmen, die mystisch-visionäre Vertiefung
der Anschauung oder die realistisch-technische Bereicherung
der Mittel, so wird kein Geschichtskundiger bei der Antwort
schwanken. Auch der Verfasser vermag sich der Einsicht
nicht zu verschliessen, dass die technisch-imitatorische Be-
herrschung des Naturvorbildes über den Gang der Kunst
entschied. Aber das Streben zu solchem Fortschreiten in
naturalistischer Richtung leitet er ebenfalls aus mystischer
Naturliebe ab (p. 176, 238). Da gilt es denn, nüchternen
Sinnes nachzuprüfen, ob die mystische Lebensauffassung,
wie sie zunächst nur durch das Wort in die Seelen der
Künstler übertragen werden konnte, solche Früchte zu
zeitigen vermochte. Fast alle Schilderungen der Mystiker
zerfliessen in überquellendem Gefühl oder dumpfer Zer-
knirschung, meist ohne plastische Kraft des Worts und der
Vorstellung. Eine verschwommene, von augenblicklicher
Stimmung eingegebene, meist abstrakte Symbolik und
Allegorie kommt hinzu (s. z. B. p. 191 Tauler's Erklärungen
des Kreuzes Christi). Die Proben, die P. für eine direkte
Übertragung mystischer Litteratur in die Sprache der bil-
denden Kunst anführt, sind recht spärlich und kaum aus-
reichende Prämissen für seine weitgehenden Folgerungen.
Vermittelt konnten Anschauungen der mystischen Lehre
den Künstlern des weiteren werden durch die Predigt, ins-
besondere die Dominikanerpredigt. Es ist dem Verfasser
nicht gelungen, den Nachweis zu führen, dass die Kunst des
Dominikanerordens sich spezifisch von der in andern
Ordensklöstern unterscheidet (p. 79 ff., 108). Dagegen ver-
meidet er ganz, von dem Einfluss der »Mysterienbühne«
auf den Einfluss der Künstlerphantasie zu sprechen, offenbar,
weil hier eine Quelle vorliegt, die trotz des Namenanklangs
mit der Mystik wenig zu thun hat. Die Passionsfolgen z. B.,
die P. durchaus im Sinn seines Bekenntnisses zu erklären
versucht (p. 158 ff.), reflektieren nachweisbar in Anordnung
und Gefühlsausdruck das mimische Vorbild der Kirchen-
schauspiele. Dem naiv-realistischen Nachahmungstrieb hat
doch wohl die bildende Kunst zum mindesten ebensoviel
zu verdanken, als der mystischen Ekstase, die gelegentlich

direkt hemmend auf die Plastik des bildnerischen Aus-
drucks wirkt! Ja, aus einzelnen Äusserungen z. B. Tauler's
spricht unverhohlen antinaturalistischer und antikünst-
lerischer Geist (p. 89, 91).

Solche Argumente, die sich beliebig vermehren liessen,
sind nicht geeignet und bestimmt, den Verfasser zu be-
kehren , sie wollen nur den unbefangenen Leser vor ein-
seitiger Orientierung bewahren. Denn nur eine Orien-
tierung auf dem weiten Felde der deutschen Kunst will
das fesselnd geschriebene Buch geben. Für weitere Studien,
die in dieser Richtung gemacht werden müssen und
werden, sei mir gestattet, auf eine im Berliner Kupfer-
stichkabinett befindliche Bilderhandschrift des Buches der
heiligen Dreifaltigkeit, die in den Jahren 1415—1419 in
Konstanz von einem JüngerSuso's gefertigt wurde, sowie auf
die niederländischen Miracles de la Ste. Vierge (Bodleyana,
Douce-Ms. 374) hinzuweisen, die vielleicht das von Peltzer
gegebene Material zu bereichern geeignet sind.

Der Fülle des Stoffes, der hier vorliegt, konnte ein
erster Versuch nicht gerecht werden. Trotz — oder
wegen? — seiner Einseitigkeit ist er willkommen, weil er
in ein Dunkel hineinleuchtet, dessen Aufhellung aus den
Aufgaben ernster Kunstforschung noch nicht gestrichen

werden darf. Ludwig Kaemmerer.

M. Zucker, Albrecht Dürer. Schriften des Vereins für
Reformationsgeschichte. XVII. Jahrgang. Vereinsjahr
1899—igoo. Halle a. S. Max Niemeyer, 1900.
Paul Johannes Ree, Nürnberg. Entwicklung seiner Kunst
bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Berühmte Kunst-
stätten Nr. 5. Leipzig und Berlin. E. A. Seemann, 1900.
Allgemein, selbst im grossen Publikum, ist es be-
kannt, dass Albrecht Dürer der grösste deutsche Künstler
ist. Aber leider könnte man hier Lessing's Epigramm
; »Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn
j jeder lesen? Nein. Wir wollen weniger erhoben und
j fleissiger gelesen sein« dem Sinne nach auf einen bildenden
Künstler anwenden. Die wirkliche Bekanntschaft mit
1 Dürer's Werken ist nur auf den engen Kreis der Fach-
gelehrten und der Kunstkenner beschränkt. Allgemein ist
es angenommen, dass Dürer's Lebenswerk die schlagendste
und erschöpfendste Verkörperung deutschen Wesens in
der bildenden Kunst ist. Aber was bedeutet Dürer dem
Leben unseres Volkes in der Gegenwart? Sehr wenig.
Namentlich wird das klar, wenn man daran denkt, welch
eine Rolle der grösste deutsche Dichter in dem geistigen
Leben der Gebildeten unseres Volkes spielt, welch einen
ungeheuren Einfluss Goethe's Denkweise und Anschauung
auf das eben zu Ende gegangene Jahrhundert ausgeübt
hat, und noch auf das eben begonnene ausüben wird.
Als vor einem Jahrzehnt ein grosser germanischer Maler
unserem Volke als Erzieher vorgehalten wurde, da war es
nicht Dürer, sondern der Niederländer Rembrandt, der sich
an Tiefe und Reichtum des Geistes nicht entfernt mit
Dürer messen kann, so weit er ihn auch in der Freiheit
des Formal-Künstlerischen übertrifft.

Dieser Mangel an Bekanntschaft mit Dürer's Kunst in
weiten Kreisen hat seinen ganz natürlichen Grund in der
altertümlichen Herbheit seiner Formen. Rembrandt spricht
künstlerisch eine unendlich viel modernere Sprache, welche
jedermann sogleich versteht. Auch von dem aus der An-
tike und der italienischen Kunst kommenden Klassizismus,
mit welchem unsere Bildung gesättigt ist, ist Dürer in der
Hauptsache frei und namentlich da, wo er die Gegenwart
am meisten ergreifen könnte. Dass die schwere Verständ-
lichkeit der Sprache bei hohem künstlerischem Gehalt kein
Hinderungsgrund für Volkstümlichkeit ist, zeigt die weit-
verbreitete Kenntnis von Fritz Reuter in Süddeutschland.
So dürfen wir vielleicht auch nicht die Hoffnung ganz auf-
 
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