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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Literatur

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ist Giulio Campagnola, wenn wohl nicht der genialste
und gewiß nicht der kraftvollste, so doch der feinste.
Seine Kompositionen, an Giorgione inspiriert, üben den
gleichen Zauber aus, wie die Bilder des Venezianers, mit
denen sie auch die Seltenheit gemein haben. Einzelne
Blätter, den Astrologen, die verschiedenen Hirtenblätter,
Christus und die Samariterin möchte man direkt auf Gior-
gione zurückführen; weiß man doch durch Marc Antonio
Michiel, daß es im paduanischen Privatbesilz eine nackte
Frauengestalt, Kopie des Campagnola nach Giorgione,
gab, die nach der Beschreibung einem seiner Stiche auf-
fällig geglichen haben muß. Zudem war der frühreife
und vielseitig begabte Paduaner offenbar ein mehr nach-
ahmendes Talent; wie den Giorgione, so kopiert er im
Johannes den Täufer offenbar den Mantegna, beutet er für
seine Hintergründe im weitesten Umfange Dürer aus, dessen
hl. Genovefa er nachsticht; ebenso wie er die nackten
Frauen von Ludwig Krug kopiert hat. Trotzdem vermag
er fast in allen Fällen etwas Eigenes hinzuzutun: oft eine
poetische, rein venezianische Landschaft, wo Kirchen und
Paläste im Wasser der Lagune sich spiegeln, oder phan-
tastische Bauten von Hügeln herab in eine reich gestaltete
Ebene blicken. Zu höchster Höhe erhebt sich der Meister
in dem Blatt des Jünglings, der einen Totenschädel be-
trachtet, vielleicht die poetischste Konzeption aus der Re-
naissance , die im Stich existiert (leider nur in schwachen
Abdrücken vorhanden).

Das Werk dieses entzückenden Meisters uns voll-
ständig geboten zu haben, verdient den Dank aller an
den Herausgeber Paul Kristeller, der im Katalog durch
Aufzählung und Beschreibung der Kopien (unter Angabe der
bekannten Abdrücke) beweist, daß er die Aibeit in Jahr-
zehnten vorbereitet hat und in der Einleitung, in welcher
er die wenigen Daten aus zum Teil entlegenen Publi-
kationen zusammenstellt, durch das Studium der eigen-
tümlichen Punktiertechnik des Meisters einer Chronologie
der Stiche den Weg weist. Zwanzig Blätter führt der
Katalog an, von denen leider zwei unbeschriebene in den
Sammlungen Liechtenstein und Budapest fehlen, da sie
nicht wieder aufzufinden waren. Nicht nur die Originale,
sondern auch wiederholt mehrere Plattenzustände und
Kopien sind in den Reproduktionen vereinigt.

Besonders dankenswert ist, daß dem Bande auch die
wenigen als echt anerkannten Zeichnungen Campagnolas
beigefügt werden: das Blatt der Landschaft mit den Hirten,
Entwurf zu einem Stich, den Giulio begann, Domenico
vollendete, nebst der Rückseite, im Louvre; die höchst
charakteristische Federzeichnung, Landschaft, in den Uffi-
zien, für die ich an dieser Stelle vor mehreren Jahren den
richtigen Autornamen nannte, und die nicht unbedingt
gesicherte Zeichnung in Oxford. Wenn Kristeller jetzt
dem Meister auch eine weitere Landschaftsstudie des Louvre,
die ich früher, Morelli folgend, als Giorgione publizierte,
zuschreibt, so wird er es mir nicht verübeln, daß ich ihm
hierin nicht folge: das Auge des einen sieht dort eben
Unterschiede, wo der andere Übereinstimmung findet.
Und ich gestehe gern zu, daß das Gemeinsame (Zeit, Ört-
lichkeit, Konzeption) viel stärker ist, als das Trennende.

Auch Kristeller ist es nicht gelungen, ein Bild Campa-
gnolas nachzuweisen. Die Attribution der jetzt oft Seba-
stiano zugeschriebenen »Heimsuchung« der venezianischen
Akademie findet zu viele Schwierigkeiten, als daß sie
allgemein übernommen werden kann. Wenn ich je vor
Bildern an den Kleinmeister denken mußte, so war es vor
den zwei zierlichen mythologischen Täfelchen — das eine
stellt Leda dar —, die unter Giorgiones Namen in der
Galerie zu Padua hängen. Und ist es ganz zufällig, wenn
auf der Rückseite des einen der miniaturartigen Bildnisse

in der Galerie Liechtenstein, die gemeinhin unter Antonellos
Namen aufgeführt werden, eine Variante von Campagnolas
liegendem Hirschen sich findet? Ist nicht vielmehr der
Verfertiger von Stich und Bildnis ein und dieselbe Person?
Der Louvre bereicherte vor wenigen Jahren seine Schätze
um das Porträt eines jüngeren Mannes mit eigentümlich
anmutender Rückseite, die Campagnolasche Stilelemente
zeigt. Aber, wie gesagt, nichts Sicheres zur Erkenntnis des
Malers: alles das nur Vermutungen.

Wenn aber etwas zur besseren Erforschung Campa-
gnolas dienen kann, so ist es Kristellers schöne Publikation,
ein Buch zum Studium wie zum Genuß. Dem Heraus-
geber gebührt unser Dank, daß er seine völlig einzigen
Kenntnisse der Materie in den Dienst der graphischen
Gesellschaft gestellt hat, wie dieser für die künstlerisch

SO wertvolle Gabe. O. Gronau.

W. Pauker, Beiträge zur Baugeschichte des Stiftes Kloster-
neuburg. I. Donata Feiice von Allio. 95 und 23 S. 40.
Wien und Leipzig, W. Braumüller, 1907. Mk. 8.40.
In dieser rein aus den Bauakten erwachsenen Mono-
graphie ist zunächst die Einleitung sehr lehrreich. Der
Verfasser weist nach, daß die außerordentliche Bautätig-
keit und Kunstpflege der österreichischen Klöster ein wohl-
berechnetes Ergebnis der kaiserlichen Politik war, dahin-
zielend, die ungeheure Kapitalmacht der großen Abteien
durch provozierte Ausgaben, durch Standeserhöhung der
Prälaten, höfische Verbindungen und vor allem durch
Prunk- und Kunstentfaltung zu brechen. So war es in
Melk, wo Berthold v. Dietmayr das Stift in wahrhaft fürst-
lichem Sinne (1702—1736) umbaute. So auch in Kloster-
neuburg, wo derselbe Dietmayr 1730 den Abt Perger und
die stets abgeneigten Chorherren zum Neubau verleitete,
während der Oberhofbaudirektor Gundakar Ludwig Graf
von Althan hierbei den Plan einer »kompletten Kaiserlichen
Residenz« suggerierte. Dietmayr war es auch, der den
D. F. v. Allio als Stiftsbaumeister einführte, den Sprößling
einer in Wien schon heimischen Künsilerfamilie, der 1677
geboren, anfänglich als Fortifikationsingenieur seinen Weg
suchte, sich als Kirchenbaumeister bei der Enichtung des
Salesianerinnen-Klosters (1717—1728) und der Kapuziner-
bauten in Wien und Preßburg (1735) bewährte, sein
eigenstes und nunmehr unbestrittenes Hauptwerk aber im
Bau des Kaiserhofes von Klosterneuburg lieferte. Die mit-
geteilten Pläne und Kontrakte lassen keinen Zweifel, daß
Allio nicht nur den grandiosen Gesamtplan, sondern auch
alles Detail bis in die letzten Einzelheiten entworfen und
deren Ausführung geleitet hat. Ihm und seinen Auftrag-
gebern schwebte der Escorial vor Augen. Aber in fieber-
hafter Arbeit war kaum ein Viertel vollendet, als 1755 der
Nachfolger Pergers, Abt Staudinger, wegen völliger Er-
schöpfung der Mittel die Bautätigkeit abbrechen mußte.
Allio starb 1761, sein Werk wurde erst 1836-1842 im
hinterlassenen Bruchstück vollendet. Über die künstlerischen
Qualitäten und den gegenwärtigen Zustand erfährt man
noch nichts. Hierüber wird hoffentlich die Fortsetzung
mit möglichst reichen Innenaufnahmen belehren. Bergner.
Eduard Fuchs, Geschichte der erotischen Kunst. Mit 385
Illustrationen und 36 Beilagen. Berlin, A. Hofmann
& Comp., 1908. KI.-40. Leinwand, 30 Mark.

Fuchs hat mit seiner großen »Karikatur der europäischen
Völker vom Altertum bis zur Neuzeit«, 3 Bände, 1901—1904,
ein Werk geschaffen, das jeder berücksichtigen muß, der
sich mit dem Thema zu beschäftigen hat, schon des reichen
Materials wegen, das darin verarbeitet ist. Man braucht
mit den kunstgeschichtlichen Urteilen des Verfassers nicht
immer einverstanden zu sein, und muß doch den Fleiß
anerkennen, mit dem er als erster den umfangreichen Stoff
ausführlich in systematischer und historischer Zusammen-
 
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