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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Osborn, Max: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0027

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Berliner Brief

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der Arbeiterfrau, die sich zu ihrem vom schlagenden
Wetter getroffenen Manne niederbeugt, jene ergreifende
moderne Variation des Pietä-Motivs, zum ersten Male
im Originalgipsmodell bei uns erscheint — Meunier
muß fast zurücktreten neben der lebensprühenden
Formkunst des Lambeaux, neben den wunderbaren
Porträtköpfen des Lagae, neben den sensiblen, aus
ganz origineller Anschauung geborenen Bronzen des
Victor Rousseau, neben breit-dekorativ gehaltenen, von
großen Umrissen umschriebenen Figuren und Büsten
des Julian Dillens. Weniger vertraut sind uns Paul de
v'gne, Jacques de Lalaing (von dem man unter an-
derem ein Brabanter Pferd von Rubensscher Kraft
sieht), Thomas Vincotte. Van der Stappen zeigt sich
auch diesmal wieder als gewandter Eklektiker, der
das Qute nimmt, woher immer es zu beziehen ist.

Gutes neben Schlimmem! Das ist auch die Si-
gnatur der Aquarellausstellung der Akademie, zu der
ein Wunsch des Kaisers die Veranlassung gegeben
hat. Die englische Porträtschau des Vorjahres brachte
den Monarchen auf den Gedanken, einmal eine Leih-
ausstellung aus preußischem Kronbesitz zu veran-
stalten. Die drei Säle mit ausgewählten Aquarellen
aus seiner und der Kaiserin Sammlung (132 Nummern)
stehen darum im Mittelpunkt der Veranstaltung. Sie
lassen deutlich den ausgesprochenen persönlichen
Geschmack des Kaisers erkennen, der sich mehr an
das Vergangene als an das Gegenwärtige und Leben-
dige hält. Meist also Bilder und Blätter, die von
einer uns fremd gewordenen Art, Natur, Menschen,
Dinge und Farbe zu sehen, bestimmt sind. Dazwischen
dennoch eine ganze Schar außerordentlich feiner und
wertvoller Arbeiten. An der Spitze einige kostbare
Menzels: die »Dame am Spinett«, eins der späteren
Kostüminterieurs (1881), und das ganz breit, fast im-
pressionistisch hingesetzte Bild des herangsprengenden
alten Fritzen von 1903, eine der letzten Arbeiten
Menzels, die seinerzeit zu einer Döberitzer Festkarte
benutzt wurde. Dann mehrere subtile Architektur-
stückchen von Rudolf von Alt. Andere Architektur-
bildchen, aus Potsdam und Charlottenburg, von dem
vergessenen Carl Graeb (1884 gestorben), die bei
aller peinlichen Glätte oft überraschende Detailfein-
heiten aufweisen. Auch der jung verstorbene, sehr
begabte Willy Horstmeyer, für den sich der alte

Menzel

- noch interessierte, hat gern Städtebilder mit
Wasserfarbe festgehalten. Einer dieser Kaisersäle ist
ganz mit Aquarelldokumenten von Eduard Hilde-
brandts Weltfahrten gefüllt, die einst als koloristische
Wagnisse galten und heute so unendlich harmlos in
der Farbe wirken; dagegen setzen manche Arbeiten
Hildebrandts, namentlich die aus England, wo er
diese Technik sich aneignete, durch die unerwartete
Zartheit ihrer Lichtbehandlung in Verwunderung.

Eine so große Rolle wie in England hat die
Aquarellmalerei in Deutschland niemals gespielt. Weder
hat sie bei uns in die allgemeinere Entwicklung
eingegriffen, wie drüben, wo die Thomas Girtin,
David Cox und Bbnington vor und neben Constable
das flüssige Material dieser Farben benutzten, um
die akademische Art des Vortrags, des Pinselansetzens,

des malerischen Ausdrucks überhaupt zu durchkreuzen,
noch hat sie später jemals zu dem sichtlichen Unfug
geführt, den jenseits des Kanals die Society of
painters in water colours angestiftet hat. Das Aquarell
wird bei uns mehr nebenbei getrieben, zur Erholung
und Abwechslung. So haben es auch die Verstorbenen
gehalten, die jetzt in einer von der Akademie hinzu-
gefügten kleinen historischen Abteilung erscheinen.
Wieder führt hier Menzel, und mit hohem Genuß
betrachtet man sein herrliches Interieur der Inns-
brucker Hofkirche, deren goldstrotzendes Jesuitenge-
pränge wie Orgelklang rauscht, seinen Blick in die
| Berliner Klosterkirche (der erste Wasserfarbenver-
versuch des Meisters!), seinen glänzenden Ausschnitt
aus der Landschaft am Berliner Landwehrkanal
(gleichfalls aus sehr früher Zeit), seine brillant hinge-
tupfte Szene, wie August von Sachsen die aus
Piacenza nach Dresden gekommene Sixtinische Ma-
donna eilig, in Schlafrock und Nachtmütze, begrüßt,
ein Bild, das auch durch die deutlich erkennbaren
Korrekturen und Veränderung interessiert. Der berühmte
»Horcher« (bekannter unter dem Titel »Wer da
oben?), den Frau Julie Hainauer besitzt, taucht
nach langer Pause hier wieder einmal in der Öffent-
lichkeit auf. Hinter Menzel kommt — wie der
Berliner sagt: »Erst eine ganze Weile gar nichts« —
und dann eine Serie Passinis, feine, aber meist doch
recht trockene Arbeiten, trotz der nassen Technik. Die
Sachlichkeit, die Passinis kleine Porträts trotz intimer
Züge nicht über eine korrekte Mitteilung hinaus-
wachsen läßt, fesselt am meisten in dem von der
Jahrhundert-Ausstellung her bekannten Bilde des
Cafe Greco in Rom (in Bernt Grönvolds Besitz). Eine
Überraschung sind zwei mit souveräner Breite blau
in blau skizzierte ägyptische Figurenstudien von
Gustav Richter, der diese Frische leider später verlor.
Anziehend ist eine felsige schottische Küstenlandschaft
von Hans Gude, vereinzelte Sachen von Ludwig
Richter, Böcklin, Wilhelm von Diez. Sogar ein Blatt
von Schinkel ist vorhanden, eine klassizistische
Szene ohne Belang.

Und noch weiter hat die Akademie den kaiser-
lichen Plan ausgebaut: durch eine reiche Aquarellserie
ihrer Mitglieder und Freunde. Die Älteren bleiben
dabei in der Mehrzahl bei der anspruchslosen er-
zählenden Manier, zu der die Technik gern verleitet.
Doch geht man die Reihe sorgsam ab, so entdeckt
man manche veritablen Perlen, wie zwei Andreas
Achenbachs von 1865, oder zwei reizvolle schwä-
bische Landschaften im malerisch gewandten Ludwig-
Richter-Stil von Paul Mohn, oder einiges von Albert
Hertel, der aber immer zwischen einem warmen,
schönen Ton und blecherner Kühle schwankt. Ganz
anders machen sich die Jüngeren die Wasserfarben
zunutze, indem sie ihnen bei größeren Formaten
Ölfarbeneffekte entlocken, zu denen die weniger zähe
Materie sich gleichfalls anwenden läßt, freilich nicht
ohne die Gefahr, daß leere Flächen entstehen. Am
geschicktesten ward diese Klippe umsegelt von Lieber-
mann (man sieht von ihm u. a. eine kostbare
Amsterdamer Waisenschule von hellen, graublonden
 
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