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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Schmidt, James: "Staryje Gody": die Ausstellung von Gemälden alter Meister aus Privatbesitz in St. Petersburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0098

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179

• »Staryje

Gody«

180

Als dekoratives Hauptstück der »Tribuna« figurierte
Böttchers Pygmalion von merkwürdigem grünlichem Ton, das
für die Ausstellung aus seiner Verbannung an einen Pla-
fond in der Akademie der Künste erlöst worden war und
nun den ungeheuren Schwung seiner Pinselführung demon-
strierte. Ungünstig hing ihm Jordaens Flucht nach Ägypten
gegenüber, die schon Waagen ungewöhnlich edel in Formen
und Haltung genannt hat. In nächster Nähe des Boucher
hingen die Porträts eines Ehepaars aus Rembrandts Spät-
zeit, die 1898 in Amsterdam ausgestellt waren. Ein hl.
Sebastian von Perugino entzückte durch seelenvollen Aus-
druck und rief nicht minder Bewunderung durch das
meisterhafte Lichtspiel der Modellierung hervor. Zu wunder-
voller Wirkung kam neben ihm die kleine Figur Christi
von Rembrandt, S. K. H. dem Großfürsten Konstantin
Konstantinowitsch gehörig, dem ein feines Frauenbildnis von
Corneille de Lyon akkompagnierte. Daneben ein mit brutal-
erotischer Note arbeitender Boucher, Omphale und Herkules
in heikelster Situation und unvergänglichstem Farbenzauber.
Ihnen gegenüber hing eine vortrefflich beglaubigte Ruhe
auf der Flucht von Watteau, die in den Typen zunächst
verblüffte, in der Färbung den Erben van Dycks eindring-
lich demonstrierte. Daneben fesselten zwei Porträts durch
ihren tiefen Stimmungsgehalt den Blick: eine junge Frau,
florentinisch um 1506, hat mehr als einem Beschauer
den Namen Raffael auf die Lippen gebracht und in
die nächste Umgebung Dürers muß ein Greisenbildnis
aus der Sammlung Issaköw gesetzt werden. Über den
Wert der beiden Claudes gehen die Meinungen ausein-
ander, sind aber desto einstimmiger über die Qualitäten
der beiden Lancret in der Tribuna. Gestritten wurde, nicht
über die Qualität, sondern nur über den Ursprung einer
leonardesken Madonna, deren Zuteilung an Leonardo selbst
mit gewichtigen Gründen verteidigt wurde und des feinen
niederländischen Porträts eines alten Mannes. In dieser
illustren Gesellschaft konnten mit Stolz bestehen die beiden
großen Russen Lewizkimheinem emailfarbigen Männerporträt
und Borowikowski mit dem duftigen Bildnis der Frau Sko-
bejew. Mit den erlauchtesten Namen, die diesen Überblick
über die Tribuna eröffneten, sei er auch geschlossen: mit
Watteaus Comedie italienne, einem Kabinettstückchen ent-
zückendster Art und den beiden übrigen Rembrandts: dem
kleinen Christus aus der Galerie von Pawlowsk, der, obgleich
weniger farbig, das Kannsche (jetzt Berliner) korrespon-
dierende Stück an Stimmung überragt, und der frühe »Orien-
tale« mit den Zügen des alten Härmen, der eine für seine
Zeit ungewöhnlich flüssige Pinselführung aufweist. Für die
Aufnahme in die Tribuna war durchaus nicht nur der
große Name leitend, sondern auch die Qualität der Stücke.
So war eine feine, den erwähnten Bildern aber doch
nicht ebenbürtige Frauenfigur von Watteau mit Recht ins
Kabinett der Franzosen des 18. Jahrhunderts gehängt
worden. Der große Mittelsaal bildete den Festraum der
Ausstellung von repräsentativem Gepräge und enthielt
dementsprechend nur wenige Bilder. Ein auf Sustermans
getauftes Urteil Salomonis bildete das effektvolle Haupt-
stück der Stirnwand. Neben ihm waren ein paar fran-
zösische Kinderporträts angeordnet, eine Halbfigur eines
Jünglings lombardischer, vielleicht aber auch ferraresischer
Herkunft, das der Katalog wohl allzu kühn mit dem Namen
Bernardino dei Conti belegt. Richtiger bezeichnete er eine
weibliche Halbfigur, die bisher unbegreiflicherweise als
Luini zählte, als Pontormo, neben der ein zwar arg
restaurationsbedürftiges aber interessantes venezianisches
Männerbildnis vom Anfang des Cinquecento hing. Ein
Rätsel für viele war die Studie nach einem orientalisch
aufgeputzten Manne, die rembrandtische Einflüsse bei
spezifisch italienischer Farbengebung aufwies, bis dann

der Name Tiepolo die Schuppen von den Augen fallen
ließ. Mit der Bezeichnung Pietro della Vecchia einer lebens-
großen Landsknechtszene, bei einer Seance beim Chiro-
manten, konnte man sich trotz kostümgeschichtlicher Be-
denken befreunden; der verzwickte Kopf des Chiromanten
wies übrigens deutlich auf den Einfluß des Dürerschen
Barberinibildes hin. Zwei höchst repräsentative Stücke
besaß dieser Saal in Charles Coypels Rasendem Achill
und Gerard de Lairesses Allegorie, die den verrufenen
Akademisten als liebenswürdigen und harmonischen Farben-
künstler dokumentierte. Unter den übrigen Stücken brachte
es in diesem Saal das Porträt eines Gelehrten von Ghis-
landi zu voller Wirkung. In seiner Nachbarschaft hing
ein wohl mit Recht auf Cristofano Allori getaufter David
von prächtiger dekorativer Komposition. In diesem Saale
herrschte eine freudig festliche Stimmung, aber wohl
wenige Besucher werden den Ursprung dieser Stimmung
erkannt haben. Seine Dekoration war wesentlich durch drei
Panneaus von Antonio Canale mit Figuren von O. B. Tie-
polo bedingt, die, ihrer ursprünglichen Bestimmung als
Wanddekoration zurückgegeben, hier zur eigenartigsten
Farbenwirkung kamen.

Nach dieser ziemlich ausführlichen Beschreibung der
beiden Hauptsäle können die in zwei Stockwerken um sie
gelegten Kabinette nur flüchtig gestreift werden. Vor ihnen
aber verlangt der Saal kirchlicher Kunst, der, wie bereits er-
wähnt, fast nur Primitive brachte, ein Wort der Erwähnung.
Die Identifizierung von Qualität und berühmten Namen ver-
sagte hier vollständig. Unter seinen 45 Nummern trat die
Mehrzahl anonym auf, oder mußte sich mit der fragwürdigen
Signatur »zugeschrieben« begnügen. Nur selten konnte
man einen bestimmten großen Namen nennen, wie z. B.
bei dem Diptych mit der Anbetung der Könige, wo die
Urheberschaft des Gerard David klar war. Die Vorsicht
des Kataloges beim Nennen von Namen war gewiß sehr
angebracht, sie hätte nur nicht so weit gehen müssen, ein
unzweifelhaftes Stück des Fra Filippo Lippi als Schulbild
zu bringen, wo doch andererseits ein der Werkstatt des Do-
menico Ghirlandaio zuzuschreibendes Altarblatt der Cintola
ohne weiteres als Mainardi figuriert. Bei den primitiven
Spaniern, die durch zwei Altarflügel vertreten waren, mußte
eine nähere Bestimmung allerdings ausgeschlossen bleiben,
weniger konnte man sich mit der Anonymität einer anbeten-
den Madonna, florentinisch um 1490, befreunden. Doch es
würde zu weit führen, diesen Bildern im Einzelnen nach-
zugehen. Für kritische Spezialisten wäre im Saale der
kirchlichen Primitiven das meiste und dankbarste Material
auf der Ausstellung geboten worden. Nächst ihm hätte das
spanische Kabinett zu kritischen Diskussionen am ehesten
Anlaß gegeben. Die Urheberschaft Theotocopulis war aller-
dings mit seinem Apostelbilde, das farbig sehr harmonisch
wirkte, nicht zu bestreiten, ebensowenig der prächtig durch-
geführte Christus von Juan de Juanes, bei den beiden Ribera
wären Differenzen eher möglich gewesen und erst recht
bei dem durch hohe malerische Qulitäten von bester Velaz-
queztradition ausgezeichneten Porträt Karls II., das der
Katalog als Claudio Coello bezeichnete. In den beiden
folgenden Kabinetten der Franzosen des ancien regime,
in denen auch die Engländer und Deutschen Unterkunft
gefunden hatten, war weniger Gelegenheit zu Differenzen
vorhanden. Mit der Bezeichnung Gainsborough für eine
sehr flüssige Landschaft brauchte man sich freilich nicht
einverstanden zu erklären, desto einstimmiger mußte die
Kohlestudie von Lawrence der Fürstin Dorothea Lieven,
der Freundin Metternichs und Guizots, als Meister-
stück anerkannt werden. Hubert Robert, dessen Ruinen-
stücke, von denen Petersburg eine verblüffend große
Menge besitzt, anderweit den dekorativen Effekt der Aus-
 
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