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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Münsterberg, Oskar: Ausstellung chinesischer Gemälde in der Königl. Akademie der Künste zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0106

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Ausstellung chinesischer Gemälde in Berlin

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ist es ermöglicht, daß zum ersten Male in Deutschland
gewisse Seiten dieser fremden Kunst an typischen
Beispielen studiert werden können.

Viele Beschauer werden verständnislos vor dieser
ausländischen Formensprache stehen und enttäuscht
weggehen. Aber allen, die wirklich vorurteilsfreie
Kunstkritik üben können, rate ich, so oft wiederzu-
kommen, bis sie innerhalb der Eigenart der fremden
Sprache die Schönheiten im einzelnen erkennen gelernt
haben. Sie werden dann intime Reize in Linie und
Farbe, in Auffassung und Komposition entdecken, die
eine Bereicherung ihrer Kunstkenntnisse bedeutet.

Es gibt besonders gelehrtsein wollende Fanatiker,
die behaupten, daß man chinesisch sprechen, die Re-
ligion und Sitten verstehen und im Lande gereist sein
muß, um sich ein Urteil über die Kunstwerke erlauben
zu dürfen. Aber wird uns wirklich der Pergamenische
Fries in seinem Kunstwert verständlicher, wenn wir
griechisch sprechen, die religiöse Idee verstehen und
die Landschaft des Aufstellungsortes kennen? Und
wie sollen wir der Kunst ausgestorbener Völker ge-
recht werden können, da wir ihre Sitten niemals be-
obachten, oft nicht ihre Sprache verstehen können.

Kunst braucht keine gelehrten Kommentare, sondern
nur geschulte Augen, denn gute Kunst ist in der
ganzen Welt und zu allen Zeiten innerlich immer
verwandt, zwar nicht in dem lokalen Kolorit, wohl
aber in den wirklich künstlerischen Qualitäten, auf
die es doch schließlich allein ankommt. Den Beweis
hierfür empfing ich wiederholt durch die instinktiv
richtige Kritik von Kennern der europäischen Kunst,
die zum ersten Male in der Wegener-Sammlung ein
chinesisches Bild zu sehen bekamen.

Die chinesische Kunst erlebte etwa im 5. Jahr-
hundert n. Chr. ihre erste künstlerische Höhe. Neben
vorwiegend buddhistischen Bildern wurden auch Genre-
bilder erzählenden Inhalts in kräftiger Linienführung
mit auskolorierten Flächen hergestellt. Originale aus
dieser Zeit sind nur ganz vereinzelt erhalten. Die
häufig auftretende Angabe, daß man nur in Japan,
nicht in China alte chinesische Originalbilder finden
kann, ist eine völlig unbewiesene Behauptung. Tat-
sache ist, daß bisher alle besten und ältesten chine-
sischen Bilder, so einige Bilder im British Museum und
im Musee Guimet aus China stammen und bisher
— außer den Fresken und Skulpturen in den Nara-
Tempeln — nur ganz wenige Kunstwerke vor dem
11. Jahrhundert weder aus dem kaiserlichen Schatz-
hause noch aus den Tempeln Japans publiziert sind,
obgleich heute bereits über tausend chinesische Bilder
in teilweise glänzenden japanischen Reproduktionen
der Welt bekannt gegeben sind. Es ist kaum anzu-
nehmen ist, daß gerade die am höchsten geschätzten,
die ältesten Bilder nicht veröffentlicht worden sein
sollen. Das Fehlen der alten Bilder ist auch historisch
leicht verständlich, da die alten Schätze des 7. und
8. Jahrhunderts von eingewanderten buddhistischen
Priestern hergestellt sind und das Sammeln von Kunst-
werken des Festlandes erst im 14. Jahrhundert in
Japan begann.

Unter dem Einfluß der lyrischen Dichtkunst ent-

stand in China eine impressionistische Kunst, die be-
sonders in der Schwarz-Weiß-Malerei etwas Neues
in der Welt geschaffen hat. Diese Kunst wurde be-
sonders in der südlichen Sung-Dynastie gepflegt. Es
ist daher sehr erklärlich, daß die in Peking gesammelte
Wegener-Kollektion keine derartigen Bilder enthält.
Mehrere Bilder sind in diesem Stile aber in späterer
Zeit gemalt (Saal V, Nr. 141; VI, Nr. 159 usw.).

Gleichzeitig entwickelte sich eine mit feinem Pinsel
oft in lustiger Farbenfreudigkeit gemalte Miniatur-
malerei, die bald in langen Bilderrollen (vgl. spätere
Ausführungen in diesem Stile Saal I, Kästen), bald in
Hängebildern (Saal VIII, Nr. 210, 208) interessante
Kulturschilderungen geben. Im nördlichen China,
wo die steil zerklüfteten Berge und weiten Ebenen
das Volk ernster und härter geformt haben, bleibt die
Betonung der Kontur besonders bevorzugt, und der
steile Aufbau der hoch getürmten Gebirge gibt einen
scharfen Gegensatz zu den weich gerundeten Berg-
formationen der südlichen Landschaft. Daneben wurden
Blumen und Tiere bald in phantastisch stilisierter Form,
bald in naturalistischer Weise gemalt.

Dieses reiche Repertoire besteht im wesentlichen
bereits am Ende des 13. Jahrhunderts, als durch die
Mongolen ein etwas glatter persischer Stil aufkommt.

Gleichzeitig beginnt der aus der Religion, Geschichte
und besonders der Literatur fließende geistige Quell
zu versiegen. Es entsteht eine Konvention, die am
alten Stil festhält und mit immer neuen technischen
Raffinements die klassischen Vorbilder der alten ge-
feierten Meister sowohl kopiert, als auch besonders
repetiert. Z.B. die großzügigen Lotosblumen (Vorraum
Nr. 2) könnten dem Stile nach durchaus in der Sung-
Zeit gemalt sein, wenn nicht die technische Ausführung
des Details die spätere Zeit angeben würde. Ebenso
ist es mit dem in Farbe und Linie, im Fellmuster
und flockigem Haar prächtig wirkenden Tiger (Saal V,
Nr. 125) und den stilisierten Kranichen (Saal III, Nr. 73),
bei denen die kleinliche Behandlung der Gefieder
die moderne Zeit erkennen läßt. Den großzügigen
einheitlichen Charakter der Sung-Zeit zeigt am besten
ein Bild mit einem Entenpaare (Saal III, Nr. 75).

In der folgenden Mingzeit (1368—1644) tritt das
Lyrische in der Tönung und der geistige Gehalt hinter
der Schilderung des Tages immer mehr zurück. Das
Genrebild, die Darstellung der Zeitgenossen, der Tiere
und Blumen, im Haus, auf der Straße und dem
Hofe werden bevorzugt. Der Naturbeobachtung
entsprechend wird das einzelne Nebensächliche be-
sonders betont und die Wiedergabe der Farben nach
der Natur angestrebt. Hieraus entsteht als charak-
teristisches Merkmal fast aller Bilder seit dem 15. Jahr-
hundert ein Zusammenkomponieren vieler Einzelheiten
zu einer geschmackvollen Dekoration der Fläche. War
in der Sungzeit ein einzelnes Tier in lebendiger Be-
wegung unter Vernachlässigung der Einzelheiten als
Impression eines Charakters dargestellt, so werden
jetzt Tiergenrebilder gemalt, z. B. die flott bewegten
Hähne (Saal III, Nr. 96). Zur Füllung der Fläche
werden auch andere Vögel oder Blumen in feinem
ästhetischem Gefühl aber ohne innere Notwendigkeit
 
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