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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Literatur

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Dr. R. Anheißer, Malerische Baukunst in Tirol. 50 Tafeln
Zeichnungen. Frankfurt, Heinrich Keller, 1908.

Die Lichtdrucktafeln geben Bleistiftskizzen wieder, die
der Verfasser, Architekt in Darmstadt, auf Wanderungen
durch Tirol aufgenommen hat. Vornehmlich bringen sie
Ansichten aus dem südlichen Tirol, aus Bozen, Brixen,
Eppan, Klausen, also aus dem Teil des Landes, wo die
Baukunst schon einen italienischen Charakter hat, wo die
Häuser flache Dächer, gerade Simse, glatte, weiße Putz-
flächen, Laubengänge straßenwärts, Loggien in den Höfen
haben. Hauptsächlich sind abgebildet Straßenbilder und
Häusergruppen, vereinzelt auch Burgen und Edelsitze
(z. B. Thalegg, Klebenstein, Trostburg, Münichau, Maretsch,
Winkelschloß u. a.).

Hatte es einige Zeit den Anschein, als ob die Photo-
graphie die Alleinherrschaft in der Architekturpublikation
gewinnen würde, so läßt man neuerdings daneben doch
auch wieder die zeichnerische Aufnahme gelten. Sie vermag
in ganz anderer Weise den malerischen Charakter des
Gebäudes, seine Zusammenwirkung mit den umgebenden
Bauwerken und der Landschaft: kurz die künstlerische In-
tention des Erbauers sichtbar zu machen, als dies der leb-
lose photographische Apparat kann. Darum haben die
Kupferstiche der alten Architekturwerke (z. B. des Piranesi)
auch heutigen Tages ihren selbständigen Wert.

Im vorliegenden Falle, will es uns scheinen, hat der
Zeichner aber zu sehr eine malerische Wirkung angestrebt.
Der spezifische architektonische Formgehalt geht vielfach
verloren und man hätte eine scharfe und objektive Wieder-
gabe der Bauformen (wie sie Dürrns Skizzen im Hand-
buch der Architektur doch z. B. zeigen) bei einem so volu-
minösen Werke lieber gewünscht. So ist es zu Studien-
zwecken kaum verwendbar, doch zur Verbreitung der immer
noch wachsenden Freude an der prächtigen Tiroler Bau-
kunst wird es zu seinem Teile gewiß beitragen.

Hermann Schmitz.

Dr. Max Kemmerich, Die frühmittelalterliche Porträtmalerei
in Deutschland. München, iqo8, Georg D. W. Callwey.
Vom selben Autor: Die frühmittelalterliche Porträtplastik
in Deutschland bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Leipzig,
1909. Klinkhardt & Biermann.
Schon aus karolingischen Zeiten ist verschiedentlich
überliefert, daß Darstellungen bedeutender Persönlich-
keiten angefertigt sind, und aus dem weiteren Mittelalter
gibt es entsprechende Nachrichten. Während man bisher
annahm, daß es sich nur um schematische oder bestenfalls
solche Bilder gehandelt habe, die sich auf Wiedergabe
einzelner Äußerlichkeiten beschränkten, versuchen Kemme-
richs Schriften nachzuweisen, daß wirkliche Porträtähnlich-
keit erstrebt und zum Teil erreicht worden sei, und daß
somit die Möglichkeit einer Ikonographie deutscher Könige,
Bischöfe und anderer offizieller Persönlichkeiten vorliege.
Das einzige Mittel, hierüber Aufklärung zu erlangen, wäre
das der Vergleichung. Kemmerich macht davon Gebrauch
und erklärt die übereinstimmenden Züge für jene, die der
einstigen Wirklichkeit entsprechen. Wer von der Fülle des
Materials eine Vorstellung hat, wird von der Schwierig-
keit des Unternehmens den rechten Begriff haben. Bei
näherer Untersuchung, zumal des Kemmerichschen Buches
über die Malerei, finden wir, daß der Verfasser nur einige
Stichproben herausgeholt und dabei manche gut zugäng-
liche Beispiele bei Seite gelassen hat. Ich erwähne nur
die bekannten Kaiserbilder aus Memleben oder Heinrich
den Löwen und seine Gemahlin in dem Psalter des Bri-
tischen Museums (Lansdown 381, Abbildung in Doering-
Voß, Meisterwerke der Kunst aus Sachsen und Thüringen.
Magdeburg 1905). — Kemmerich vertritt die Ansicht, die
mittelalterliche Kunst stehe in mancher Beziehung auf der

Stufe der primitiven, erkennt also dabei nicht an, daß
die karolingische und romanische Malerei keineswegs
jugendlich, vielmehr der letzte folgenlose Nachklang der
Antike gewesen ist. Er konstruiert einen plötzlichen Verfall
der Kunst und besonders einen Untergang der Porträt-
malerei im n. Jahrhundert. Ich erlaube mir die Behaup-
tung, daß schon hieraus hervorgeht, daß es eine frühere
Porträtkunst im eigentlichen Sinne überhaupt nicht gegeben
hat. Gerade die kampferfüllten Zeiten der späten Salier
hätten den stärksten Antrieb geboten, sich dieses trefflichen
Mittels der Polemik nicht zu entschlagen. Auf die Quali-
täten der Malerei wäre es dabei weniger angekommen
— Temperament und Eigenart hatten die Künstler des
Mittelalters freilich gerade so wie die heutigen. Ihr starker
Drang, individuell zu bilden, tritt von früh an in den Minia-
turen, Wandmalereien und Plastiken kräftig hervor. Die
damalige Menschheit hat auch auf Körpermerkmale ge-
achtet und mehr als einer historischen Persönlichkeit nach
einer solchen einen Beinamen verliehen. So strebt denn
auch der frühmittelalterliche Künstler danach, seine Per-
sonen individuell zu gestalten. Dabei ist aber sehr vor-
sichtige Kritik nötig. Z. B. können die Altersgrade, in
denen dieselbe Persönlichkeit in verschiedenen Hand-
schriften dargestellt ist, für die Entstehungszeit der Bilder
nur selten in Betracht kommen, weil wir nur vereinzelt
den Zeitpunkt wissen, wo die betreffende Handschrift
entstanden ist. Es ist also nicht stets gewiß, daß diejenige
Handschrift die ältere ist, die die jüngeren Physiognomien
aufweist. Desgleichen kann die Wiederholung bestimmter
körperlicher Merkmale — wobei wesentlich nur die des
Gesichts in Frage kommen — nicht als Beweismaterial
gelten. Denn auch durchaus unporträtierbare Persönlich-
keiten, wie die Madonna, Heilige, antike Personen usw. haben
wiederkehrende individuelle Züge erhalten. Kemmerich leitet
aus der Vergleichung mit Vorliebe eine Reihe bestimmter
wiederkehrender Merkmale ab, die im eigentlichen Sinne
porträtistisch sein sollen. Sie lassen sich aber auch bei den
eben bezeichneten Figuren ohne alle Schwierigkeit ver-
gleichend feststellen. Dies Mittel verhilft also keineswegs
zur Klarheit. Es ergibt sich daraus nichts zur Überzeugung
als der ohnehin bekannte Umstand, daß die Künstler
gruppen- und schulenweise voneinander abhängig ge-
wesen sind. Das Gegenteil zu dem Bestreben der Indi-
vidualisierung ist die häufige Erscheinung, daß mehrere
Personen auf einem Bilde gleich dargestellt werden. So
in der Viviansbibel, wo Karl der Kahle und seine Be-
gleiter alle dasselbe Gesicht haben. Nach Kemmerich
sollen die letzteren dem Kaiser absichtlich ähnlich gemacht
worden sein. Woraus das zu beweisen wäre und woraus
hervorgehen soll, daß der Kaiser allein porträtähnlich wäre
und die anderen Personen nicht, ist mir unverständlich.
In Wirklichkeit kann man nichts weiter annehmen, als daß
sie insgesamt nach einerlei Typus gebildet sind, nämlich
nach jenem, der der Zeit und der Gegend als Ideal vor-
schwebte. Hieraus ergibt sich dann auch die überraschende
Ähnlichkeit verschiedener Kaiser miteinander, wie die
Karls des Kahlen mit Lothar (Bastard, Band 4, pl. 116)
oder Ottos III. mit Christus (Kemmerich, Porträtmalerei,
Abb. 17) oder Heinrichs II. mit dem hl. Joseph und der-
gleichen. — Die Gebärdensprache ferner gehört nicht
zur Person, sondern zum Sinne der Handlung. Alles
an diesen Figuren zeigt, daß sie den durch die Siegel-
steine und Münzen überlieferten Typen der altrömischen
Imperatoren nachgebildet sind, deren man sich un-
bedenklich noch in ganz späten Zeiten bedient hat.
Besser steht es zum Teil um die Gewänder, deren richtige
Wiedergabe sich an Resten (z. B. aus Speyer) kontrollieren
läßt. Eine Kunst eigentlicher Porträtierung haben jene
 
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