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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 20.1909

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Bernath, Morton H.: Adolfo Venturi und der Baumeister der Kirche San Francesco in Assisi
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https://doi.org/10.11588/diglit.5951#0261

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Adolfo Venturi und der Baumeister der Kirche Sari Francesco in Assisi

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die beiden Begriffe magister und praepositus. Darnach wäre
Filippo zwar als magister (d. b. Doktor der Theologie),
aber nicht als magister des Baues zu betrachten. Weiter
behauptet Venturi in seinem Buche, daß jener Fra Giovanni
da Penna aus Penne in den Abruzzen stammen müßte und
diese Abstammung mache den Stil der oberen Kirche wie
des unteren Portals und der Dekoration erklärlich. Dieser
Stil sei ein Gemisch von Kosmatenstil und Reminiszenzen
an die von französischem Geiste erfüllten Zisterzienser-
Bauten der Abruzzen, e. g. die Kathedrale von Lanciano,
erst 1227 begonnen (die Oberkirche von Assisi wurde 1253,
die untere schon 1236 geweiht!).

Venturis Hypothesen wurden in Italien mit großem
Beifall aufgenommen, und die Tagespresse wie auch Zeit-
schriften ernsteren Charakters feierten in ihm den Entdecker
neuer Wahrheiten und den Zerstörer von Traditionen, die
nur auf den Fabeln der Mönche beruhten. Die Hypothesen,
die Venturi an die Stelle der Tradition heben wollte, sind
aber viel weniger gut begründet als letztere. Dies ist er-
sichtlich aus der kritischen Studie des Minoriten Fra Egidio
Maria Giusto, in den Akten der Accademia Properziana vol. III.
No. 1., 190g in Assisi publiziert. P. Giustos Studie ist auf
eine viel tiefere Kenntnis der historischen Seite der Sache
gegründet als Venturis. Zunächst beweist er, daß die beiden
Fra Giovanni miteinander nicht identisch sein könnten, d. h.
der Mystiker und Seher nicht gleichzeitig der praktische
Konstrukteur von Wasserleitungen war. Dies ist leicht ge-
tan, denn es ist dokumentarisch beweisbar, daß der Mystiker
Fra Giovanni da Penna von 1219—1241 als Minoritenmis-
sionär in der Provence tätig war. Eine Anwesenheit des
anderen Fra Giovanni da Penna, — der in Sassovivo die
Wasserleitung baute, — in Assisi ist dokumentarisch dagegen
nicht nachzuweisen, obwohl aus dem oben erwähnten Briefe
Gregors IX. ersichtlich ist, das Frate Elia ihn dort haben
wollte, aber nur als Konstrukteur der Wasserleitung, die
der Frate um dieselbe Zeit in Assisi in Arbeit nehmen
ließ. Sie existiert bis auf den heutigen Tag und wird
»Sanguinone« oder »Acquedotto di Frate Elia« genannt.
Ganz abgesehen von den Dokumenten, erscheint es höchst
unwahrscheinlich, daß der Architekt der Basilika im Jahre
1236, wo doch die größte Bautätigkeit vor sich ging in
Assisi, sich auf geraume Zeit von dort entfernt haben soll,
um in Sassovivo eine Wasserleitung zu bauen! Venturi
hat den in Frage stehenden Brief Gregors IX. einfach falsch
verstanden. Während Frate Elia, als General des Ordens,
den Fra Giovanni nach Assisi rief, und der Papst nur den
Abgang des letzterer, von Sassovivo durch sein Schreiben
verhindern wollte, verstand der Professor, daß der Papst
den Fra Giovanni von Assisi wegrufen wollte.

Nun aber zum wichtigsten Punkt. Venturis Annahme,
daß Fra Filippo da Campello Magister der Minoriten ge-
wesen sei, entbehrt jeder positiven Begründung. Im Gegen-
teil, der gelehrte P. Giusto, der mit der Geschichte der
Franziskaner ganz anders vertraut ist als Prof. Venturi,
erinnert uns erstens, daß Filippo schon lange an der Basi-
lika als Architekt tätig war, als ihm 1253 das Amt des
spenditore anvertraut wurde, zweitens, daß nur drei Uni-
versitäten, nämlich Paris, Oxford und Canterbury das Recht
hatten, den Magistertitel Franziskanern zu verleihen, und
dies geschah im dreizehnten Jahrhundert äußerst selten.
Die Fälle, wo der Titel eines Magisters an Franziskaner
verliehen wurde, sind uns jedoch überliefert, der Name
Filippos fehlt unter ihnen. Es ist noch zu bemerken, daß
dieser Titel, wie auch der Ruf eines Theologen den Franzis-
kanern jener Zeiten im höchsten Grade verhaßt war, ganz
besonders in den Kreisen von Assisi, wo der zelotische
Geist der unmittelbaren Jünger des Poverello noch wach
war. Ai.ßer den genannten Universitäten hatte nur noch

der Papst das Recht, durch eine Bulle Franziskaner zu
Magistern zu kreiren. Die erste solche Bulle ist aber erst
1340 datiert. Nach diesen Ausführungen des P. Giusto,
die, beiläufig gesagt, überall mit schlagenden Beweisen
unterstützt werden, ist es unmöglich, unter dem Titel magister,
mit dem der Papst den Filippo auszeichnet, etwas anderes
als magister fabbricae zu verstehen. So hat sich der Pro-
fessor in der Interpretation des Briefes Innozenz IV. eben-
falls geirrt. Zu bemerken ist noch, wie dies auch P. Giusto
getan, daß das Komma während des Mittelalters in päpst-
lichen Dokumenten nicht als Trennungszeichen, sondern
als Verbindungsmittel benutzt wird. So wird vorläufig,
und wahrscheinlich für immer, Filippo da Campello die
Ehre, der Architekt von San Francesco gewesen zu sein,
bleiben.

P. Giusto macht noch eine andere interessante Be-
merkung. Es ist bekannt, daß Filippo erst seit 1232 an
der Basilika tätig war, dagegen wurde an derselben schon
seit 1228 gebaut. Der Name des Architekten ist nicht
überliefert worden. Nun zeigt P. Giusto, daß Frate Elia
in den Chroniken als in ipsa arte (sc. architecturae) famosus
genannt und auch sonst als Architekt gefeiert wird. Es
ist z. B. überliefert, daß er in Sizilien verschiedene Festungs-
bauten für Friedrich II. ausführte. (In der Tat hat San
Francesco in Assisi in vieler Beziehung einen festungsartigen
Charakter). Der Pater vermutet, daß Frate Elia der erste
Architekt und der Erfinder des Gesamtplanes des Baues
gewesen sei. In der Tat hat diese Annahme, die übrigens
auch schon von Lempp, in Frere Elie de Cortone, Paris 1905,
aufgestellt wurde, sehr vieles für sich. Das wunderbare
Vermögen, das zur Verfügung stehende Terrain möglichst
auszunützen, in den Bauformen sich den Eigentümlichkeiten
desselben anpassen zu können, — Charakteristiken, die be-
sonders in der Unterkirche auffallend sind, — machen es
wohl wahrscheinlich, daß der im Festungsbau »peritus«
Frate der Urheber des Baues gewesen sei. Dagegen zeigt
die Ornamentation der Oberkirche eine entschieden fran-
zösisierende Tendenz. Enlart hat (Origines de l'arch. goth.
en France) die Vermutung aufgestellt, daß Filippo ein Fran-
zose gewesen sei, da der Ortsname Champeaux in Frank-
reich viel häufiger ist als Campello in Italien. Ist die Orna-
mentation der Oberkirche dem Filippo zuzuschreiben, so
hat dies, trotzdem daß Venturi, wie P. Giusto dagegen pro-
testieren, wohl vieles für sich.

Es sei noch erwähnt, daß das von Venturi auf p. 74 seines
Buches besprochene Grabdenkmal, das bisher als Grabmal
des Niccolö Specchi galt (so noch in Burckhardt-Bode, Cice-
rone, 9. Aufl.), nicht von ihm zum ersten Male als das Grab
eines Florentiner Cerchi erklärt wird. Wie P. Giusto be-
merkt, ist dies schon 1820 von Fra Niccolö Papini in seinem
Buche Notizie Sicure etc. getan worden. —

Es ist merkwürdig zu konstatieren, wie manchmal aus
kleinen Ursachen große Wirkungen entstehen. Noch merk-
würdiger aber ist es, wenn man dann der kleinen Ursache
auf den Grund geht und findet, daß sie eigentlich gar nicht
existiert! Die Leser haben gesehen, welch wichtige Rolle
Venturi dem Komma zwischen den Worten magistro und
praeposito in der Bulle Innozenz des Vierten an Filippo da
Campello zuschreibt. Er faßt es als ein Trennungsglied
auf. Nun habe ich in den letzten Tagen Gelegenheit ge-
habt, das Original der Bulle, das in der Biblioteca Com-
munale in Assisi aufbewahrt wird, näher zu studieren.
Und da fand ich, daß daselbst das Komma fehlt. Es war
niemals vorhanden. Also sind magister und praepositus eins.
Damit wird wohl dieser Punkt in der Diskussion end-
gültig erledigt. Woher kommt aber, daß weder Venturi
noch Padre Giusto dies bemerkt haben? Es ist klar, daß
beide sich auf die Publikation des Textes der Bulle bei
 
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