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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 21.1910

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Londoner Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5952#0131

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245

Londoner Brief

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ist das von der »Glasgow Art Gallery« gesandte Ge-
mälde »Die Ehebrecherin vor Christus gebracht«, mehr-
fach umstritten. In der »Academia Carrara« in Ber-
gamo wird eine Kopie des Bildes aufbewahrt und
Cariani zugeschrieben. Früher galt das Bild als ein
Bonifacio, aber Waagen und andere Kenner weisen
es dem Giorgone zu. Diese Benennung führt es im
Katalog. Raummangel verbietet näher auf die zahl-
reichen und oft entgegengesetzten Kritiken über dies
Gemälde einzugehen, zu dem u. a. auch von Sir Charles
Robinson, Justi, Dr. Bode, Herbert Cook, Sir W. Arm-
strong und Dr. J. P. Richter Äußerungen vorliegen.
Wir kommen naturgemäß zu Tizian, von dem sicher-
lich zwei echte und ein zweifelhaftes Werk vorhanden
sind. Zu jenen gehört Sir Julius Wernhers »Giacomo
Doria«, ungefähr 1560 gemalt, und Lord Darnleys
»Salvator Mundi«, zu diesem »Porträt eines Mannes«
(Nr. 86), an und für sich aber ein erstklassiges Bild,
aus dem Besitz von Sir Hugh Lane. Eine Ausstellung,
die Werke von Andrea del Sarto, Raffael, Ghirlandajo,
Filippo Lippi, Carlo Crivelli, Correggio, Bellini, Mo-
retto, Basaiti, Carpaccio, Dosso Dossi, Mantegna u. a.
erste Meister enthält, und über die, in Betreff der
Wichtigkeit fast jedes einzelnen Werkes hier, es am
Platze wäre, Ausführliches zu berichten, kann eben
leider an dieser Stelle nur gestreift werden.

Nachträglich, ohne Katalogisierung, wurde das viel-
besprochene, etwas schwache Werk eines Nachfolgers
von Leonardo, betitelt »Flora«, ausgestellt, das der
Familie Morrison in Basildon Park gehört. Unter
diesem befindet sich ferner noch eine kleinere von
Charles Mass im Jahre 1820 angefertigte, vom Marquis
von Landsdowne gesandte Kopie des obigen Flora-
bildes auf Email; ebenfalls kein Meisterwerk. Unweit
hiervon sind alsdann erst nach Eröffnung der Aus-
stellung noch einige Arbeiten von dem Bildhauer
K. C. Lucas hinzugefügt, so namentlich solche in Wachs,
die sich auf das Grabmal »Wykeham« in Winchester
beziehen, und sämtlich den Eindruck hinterlassen, daß
ihr Urheber kein bedeutender eigenartiger Meister, wohl
aber gelegentlich ein nicht ungeschickter Nachahmer
der Antike war. Bei den stattgehabten öffentlichen
und privaten Verkäufen von »Lucas-Werken« entstand
für die betreffenden Besitzer, die an eine günstige
Konjunktur geglaubt hatten, eine arge Enttäuschung.
Im Durchschnitt erreichten solche Medaillons und
Wachsbüsten nicht mehr wie ein bis zwei Pfund Sterling.
Der Wertmesser für »Lucas-Skulpturen« blieb also
derselbe, wie er schon bei den Auktionen vor 50 Jahren
registriert wurde.

Die dritte erstklassige Ausstellung alter Meister,
die gleichfalls einen besonderen Artikel für sich ver-
diente, ist die von der Königlichen Akademie in ihren
Räumen veranstaltete. Das allgemeine, der »Grafton-
Gallery« zugewandte Interesse des Publikums ließ
der Akademie alle ihre Kräfte entwickeln, um mit jenem
Institut ebenbürtig in Konkurrenz zu treten. Dies ist
erreicht worden! Alles in allem haben wir eine der
besten in den letzten Jahren bewirkten Ausstellungen,
denn wenn auch einige Benennungen absolut unrichtig,
so sind doch alle großen Schulen gut, und nament-

lich die Italiener zahlreich und hervorragend vertreten.
Die meisten italienischen Bilder kommen aus der Samm-
lung von Mr. Benson, und einige unter denselben
hatten bereits ein schweres Feuer der Kritik zu be-
stehen. Unter den günstig ins Auge fallenden Werken
erwähne ich u. a. eine »Geburt Christi« von Luini,
ein Tondo von Botticini, einem Ekletiker, und ein
anderes Tondogemälde von Rafaellino del Garbo,
einem Schüler Botticellis und Filippino Lippis. Ein
interessantes und ebenso originell wie phantastisch
behandeltes Bild ist »Susanna« (Nr. 15) von Lorenzo
Lotto. Nicht zu übersehen ist ferner ein reizvolles
kleines Werk von Pinturicchio (Nr. 5), sowie ein Leo-
nardeskes Bild von Francesco Melzi, einem Lieblings-
schüler des Meisters, das »die Jungfrau mit Kind und
Joseph« darstellt. Paul Veronese ist durch ein hübsches
und anziehendes Bild »Susanna« vertreten, das sich
als eine kleinere Replika des gleichen Sujets im Louvre
zu erkennen gibt. Der sehr seltene Meister Moretto
wird gut durch das anmutige Gemälde »Die Verlo-
bung der heiligen Katharina« veranschaulicht, während
die venezianische Schule mehrere bemerkenswerte Ge-
mälde aufweist, die aber doch nicht bestimmt, wie
es im Katalog geschehen, Tizian zugewiesen werden
können. So u. a. »Die Tochter des Herodias«, das
kaum als Replika des Meisters von seinem Werke im
Doria-Palast zu gelten vermag.

Die spanische Schule beansprucht hier um so mehr
unser Interesse, als mehrere Hauptbilder zuvor in der
Akademie nicht gesehen wurden. Unter den drei von
Velazquez zur Stelle befindlichen Werken hebe ich
hervor: »Die unbefleckte Empfängnis« und den »Evan-
gelisten Johannes«. Erstgenanntes Bild blieb bis vor
einigen Jahren gänzlich unbekannt. Aus der frühen
Periode von Murillo besitzt die Ausstellung das leider
in der Farbe nicht zu gut erhaltene Bild, betitelt »Die
Heilung des Gelähmten«, das ursprünglich aus der
Sammlung des Marschalls Soult stammt. Man fragt
am besten nicht danach, woher dieser es bekam. Für
die Kirche »La Caridad« in Sevilla hatte Murillo acht
Bilder gemalt, indessen sind dort nur noch zwei vor-
handen.

Die niederländische Abteilung in der Ausstellung
ist außerordentlich lehrreich zusammengestellt, obschon
es an Irrtümern nicht fehlt. So muß Nr. 95, das Bild-
nis einer holländischen Dame, sicherlich Verspronck,
und nicht wie im Katalog geschehen, Frans Hals zu-
geschrieben werden, dagegen sind andere Bezeich-
nungen für diesen Meister richtig gewählt, wie z. B.
in dem »Porträt eines Bürgermeisters« (Nr. 89). Nicht
unerwähnt sollen endlich gute und interessante Arbeiten
werden von Nicolas Maes, Metsu, Cuyp, v. d. Capelle
und Dusart.

Saal III der Ausstellung enthält vor allem ein Ge-
mälde von erheblichem Interesse: Es ist katalogisiert
»Rembrandt, Bildnis des Malers und seiner Frau« (117).
Beide Teile der Beschreibung sind wohl unrichtig, d. h.
das Bild stammt weder von Rembrandts Hand, noch
ist der Meister und Saskia dargestellt, trotzdem der
Einfluß des Meisters zugebilligt werden muß. Die
Bezeichnung »R« (Rembrandt signierte niemals derart)
 
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